Die Reichen werden immer reicher, die Armen ärmer. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten klaffen die Einkommen der Menschen immer weiter auseinander, zeigen aktuelle Daten. Weiter als in Uganda oder Kasachstan.
Obdachlose, New York
© AFPObdachlose in New York
New York - Auf dem Papier haben die USA die vergangene Rezession Mitte 2009 hinter sich gelassen und befinden sich seither auf Wachstumskurs. Bei einem überwältigenden Teil der Bevölkerung des Landes kommt davon allerdings nichts an, dafür umso mehr beim reichsten ein Prozent.

Ein Beispiel ist Anita Reyes, deren Gehalt seit 2009 eingefroren ist. Die Kasino-Angestellte aus Minneapolis leistet sich eine Dosensuppe für 1,67 Dollar zum Abendessen und versucht, ihr Eigenheim zu behalten, das im vergangenen Oktober zwangsvollstreckt wurde. “Noch vor zwei, drei Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich vor der Obdachlosigkeit stehen könnte”, sagt sie.

Ganz anders ergeht es Stephen Hemsley. Sein Gehalt wurde ebenfalls eingefroren, seine Einnahmen allerdings nicht. Seit 2007 verdient der Konzernchef von United-Health 1,3 Mio. Dollar pro Jahr. Doch nachdem die wirtschaftliche Erholung Fuß fasste, übte er Aktienoptionen im Volumen von mehr als 170 Mio. Dollar aus und nahm mindestens 51 Mio. Dollar mit den Verkäufen ein.

Die beiden Beispiele zeigen, dass es zwei Arten der Erholung in den USA gab. Die reichsten 1,2 Millionen Haushalte, die das oberste eine Prozent in der Reichtums-Skala ausmachen, steigerten ihre Einnahmen im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent, wie aus Daten des U.S. Census Bureau hervorgeht. Für die 96 Millionen Haushalte, die die unteren 80 Prozent ausmachen, ging es hingegen gleichzeitig um durchschnittlich 1,7 Prozent abwärts.

Mit anderen Worten: Bei den meisten Amerikanern ist von der Erholung seit Mitte 2009 bislang nichts angekommen. Im Jahr 2010 entfielen auf das Top-1-Prozent der US-Familien 93 Prozent des Einkommenszuwachses, wie aus einer Analyse von Emmanuel Saez, einem Volkswirt an der Universität Berkeley, hervorgeht. Sie beruht auf Daten der US-Steuerbehörde.

Die Einkommenskluft zwischen Arm und Reich war 2011 in Amerika so groß wie seit mehr als vier Jahrzehnten nicht mehr, zeigen Census-Daten. Damit ist das Einkommens-Ungleichgewicht in der weltgrößten Volkswirtschaft schlimmer als in Uganda oder Kasachstan. Die Vorstellung, dass jede Generation mehr verdient als die vorherige - ein zentraler Aspekt des amerikanischen Traums - ist mittlerweile unter Beschuss. Im vergangenen Jahrzehnt ist das mittlere Familien-Einkommen erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gefallen.

Besser Aktien als ein Haus

In der gegenwärtigen Erholung hat es sich als besser erwiesen, Aktien zu besitzen als ein Haus. Aktionären wie Hemsley kam das zugute. Seit dem offiziellen Ende der Rezession im Juni 2009 ist der Wert der Aktien im Umlauf um 6 Billionen Dollar auf nun 17 Billionen Dollar geklettert. Im gleichen Zeitraum ist der Wert von Immobilien, die von ihrem Besitzer bewohnt werden, um 41 Mrd. Dollar gesunken. Seit 2006 ist der Häuser-Wert um insgesamt 5,8 Billionen Dollar gesunken. Für Mittelklasse-Familien machen Immobilien ihren wichtigsten Vermögenswert aus.

“Ein Einkommens-Ungleichgewicht in einer Größenordnung, wie wir dies zurzeit sehen, zerstört unsere Demokratie”, sagt Bob Crandall, früherer Konzernchef von American Airlines, im Interview mit Bloomberg News. “Die ganze Verantwortung scheint verloren gegangen zu sein. Wenn ein Chef einen Bonus erhält, sollte jeder Angestellte in dem Unternehmen auch einen Scheck mit einer Gewinnbeteiligung erhalten.”

Reyes, die 52-jährige Kasino-Angestellte, verdient nach zwei Jahrzehnten in dem Job zwischen 14 Dollar und 17 Dollar die Stunde - ein Großteil davon durch Trinkgeld. Sie arbeitet am liebsten an den Tischen, bei denen der Einsatz gering ist. Denn eines hat sie bei ihrer Arbeit gelernt: Reiche geben nicht viel Trinkgeld.

Zwanzig Meilen davon entfernt streiten die BMWs und andere Luxusautos um Parkplätze in Wayzata; im nahe gelegenen See liegen Schnellboote vor Anker. Der Chef des Einzelhandelsriesen Target Corp., die Erben der Kaufhauskette Dayton's und William McGuire, der frühere Chef von UnitedHealth und Vorgänger von Hemsley, leben alle am See. Allein McGuire besitzt dort mehrere Grundstücke. Sie leisten sich Europareisen zu je 100.000 Dollar, lassen ihre Hunde für 130 Dollar frisieren und füttern sie mit Sushi und Mojitos.

Reyes, die ein Angebot der Bank ablehnte, ihr Haus mit rund 65 Quadratmeter Fläche für 600 Dollar im Monat zu mieten, erhielt in der vergangenen Woche den Räumungsbescheid. Wann immer eine Autotür zuschlägt, zuckt sie zusammen, weil sie befürchtet, dass es der Sheriff sein könnte.

Bloomberg