Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln steigt. Eigentlich müsste es denjenigen Bauernhöfen gut gehen, die sich kurze Vertriebswege, Tierschutz und Transparenz auf die Fahnen geschrieben haben. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Kühe, Rinder
© Focus OnlineSymbolbild
Florian Seidl, Landwirt und Metzger, hat einen Albtraum erlebt. Er arbeitete in einem industriellen Schlachtbetrieb, „um zu sehen, wie die das dort machen.“ Seidl erinnert sich nicht gern an diese Erfahrung. Zu zwölft wurden die Schweine dort auf einen Kran getrieben. Dieser wurde in ein Gas-Bad abgelassen, das die Tiere betäubte. Danach stachen drei Metzger die Tiere nacheinander an, um sie ausbluten zu lassen. „Das dauerte so lange, dass die letzten Schweine schon wieder aufgewacht sind“, erzählt der Landwirt. „Sie erlebten ihre eigene Schlachtung mit.“ Nur 14 Tage arbeitete Seidl in diesem Betrieb.

Zu Hause, auf dem Thomahof im Süden Münchens, macht er alles anders: „Ich bin dabei, wenn die Tiere geboren werden. Ich bin dabei, wenn sie aufwachsen. Und ich schlachte sie am Schluss. Sie haben ein gutes Leben auf dem Hof.“ Die Seidls sind Direktvermarkter. Sie verkaufen vorwiegend landwirtschaftliche Produkte aus der eigenen Herstellung. Ein Blick in den Hofladen zeigt die enorme Produktbreite: Brot nach dem alten Rezept der Großmutter, verschiedene Käse, hergestellt von der zukünftigen Schwiegertochter, Wurst, Landjäger, Filetstücke von Schwein und Rind, Steak - alles vor Ort verarbeitet, Eier, Schnaps, Birnen, Äpfel, Kohl, Karotten und zahlreiches weiteres Gemüse - das meiste aus eigener Herstellung, manches von Kollegen aus der Umgebung zugekauft, die nach denselben Vorgaben arbeiten.

Mehr Geld für regionale ProdukteTransparenz ist das Stichwort: Ob der Schweinestall mit zwei Auslaufmöglichkeiten oder das Hühnergehege, in dem Hennen frei herumlaufen - alles ist einsehbar, überall hängen Infotafeln. Natürlich bleiben auch Türen verschlossen. Der hygienisch einwandfrei zu haltende Schlachtbereich etwa - ihn können interessierte Kunden erst nach Absprache mit der Familie Seidl besichtigen.

Auf dem Thomahof lebt die ganze Familie: Mutter Rosemarie, Vater Sebastian, die Tochter Rosemarie, der Sohn Florian, seine Freundin Heidi. „Vertrauen und Transparenz sind unser Kapital“, erklärt Sebastian Seidl das Prinzip. Der 53-Jährige ist der Senior-Chef auf dem Hof. Er hat Recht: Transparenz ist Kunden zunehmend wichtig. Das hat jüngst eine Emnid-Umfrage im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums ergeben. Die Hälfte aller Verbraucher achtet demnach beim Einkauf auf Lebensmittel aus der Region. 79 Prozent der Befragten wären bereit, mehr Geld für regionale Lebensmittel auszugeben. „Wir bemerken einen starken Nachfrageschub für Ökoprodukte“, bestätigt Richard Balling, Professor und Leitender Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Eigentlich müsste es kleinen Erzeugern, die sich Transparenz, Tierschutz und kurze Wege auf die Fahnen geschrieben haben, also glänzend gehen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die kleinen Betriebe schwinden. In den letzten Jahrzehnten hat sich ihre Anzahl halbiert. „Bei uns im Landkreis gab es vor 25 Jahren noch 45 Direktvermarkter“, beobachtet auch Sebastian Seidl die Entwicklung. „Heute sind es nur noch zehn.“ Der Strukturwandel in der Landwirtschaft setzt ihnen zu.

Stolpersteine: EU-Recht und Billig-Mentalität
Äpfel, Bio
© Julian RohrerDie Äpfel beim Direktvermarkter sind nur unwesentlich teurer als im Einzelhandel.
Umweltökonom Balling sieht einen der Gründe im immer schärfer werdenden EU-Lebensmittelrecht: „Kleinere Erzeuger stehen zunehmend unter Druck. Neue Auflagen erzeugen Fixkosten, die von den Betrieben unabhängig von ihrer Größe getragen werden müssen.“ Wer zum Beispiel wie die Seidls auf dem Thomahof Hühner halten will, muss den Stall einmal im Jahr waschen und dreimal desinfizieren. Die Hühner müssten in der Zwischenzeit in einem Zweitstall untergebracht werden - dessen Bau und Unterhalt viel Geld kosten würden. Zusätzliche Investitionen wie diese können sich viele Landwirte nicht leisten.

Das zwingt etliche Direktvermarkter zu einem Kompromiss. Die 800 Hühner der Familie Seidl werden bald den Hof verlassen - in Richtung Schlachter. Dann wird der Stall entsprechend der EU-Vorschrift gereinigt, und anschließend kauft Seidl 800 junge Hühner von einem befreundeten Biohof. Seine eigenen Tiere werden zu billigen Suppenhühnern verarbeitet - die die Kunden nur einmal pro Jahr kaufen können.

Glückliche Schweine auf grüner Wiese?

Die Kunden müssen sich auf weitere Kompromisse einlassen. Das Bio-Schwein von der Weide kann auch der Thomahof nicht anbieten: Auf den zur Verfügung stehenden Wiesenflächen wurden die Schweine im Sommer sehr krankheitsanfällig. Sie suhlten sich im Matsch, der - vermischt mit den Exkrementen der Tiere - in der Hitze hochgradig gefährlich für sie wurde. Die Folge: Die Landwirte mussten ihr Vieh mit Medikamenten vollpumpen. Also entschieden sich die Seidls, die Schweine wieder in den Stall und die festen Freiflächen umzuziehen. Diese sind mit Stroh ausgelegt, haben Bürsten, an denen sich die Tiere scheuern können und bieten Platz zum Auslauf.

Allerdings liegt die Schuld für das Dilemma der kleinen Erzeuger nicht allein bei den strengen EU-Vorschriften. Denn zwar gäbe rund die Hälfte der Verbraucher an, sich für Ökoprodukte zu interessieren, doch in den meisten Fällen seien dies bloße Lippenbekenntnisse, meint Umweltökonom Balling: „Nur etwa fünf Prozent nehmen auch den Weg und den Aufwand auf sich, tatsächlich Bio zu kaufen und zu essen.“ Vielen ist Bio zu teuer. Ein Kilogramm Schweinefilet im Discounter kostet knapp zehn Euro. Medienberichte über solches Bio-Fleisch haben jüngst gezeigt, dass die Tiere teilweise unter schrecklichen Bedingungen gehalten werden. Das vergleichbare Produkt im Bioladen kostet denn auch 32,80 Euro. Auf dem Thomahof kostet das Kilogramm Bio-Schweinefilet knapp 15 Euro.

„Wir müssen alle lernen, dass nachhaltige Landwirtschaft zum Billig-Tarif nicht zu haben ist“, sagt Claudia Salzborn, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Wenn Menschen Fleisch kaufen wollen, müssen sie sich bewusst machen, was damit verknüpft ist.“

Was ist ein Direktvermarkter?
Bio
© Julian RohrerEs ist angerichtet: Bei dem Direktvermarkter Thomahof gibt es auch Obst und Gemüse.
Wer regional und ökologisch erzeugte Lebensmittel kaufen will, ist im Supermarkt nicht immer richtig. Dort ist die Herkunft der Produkte aufgrund verschlungener Produktionspfade kaum nachzuvollziehen.

Dagegen ist der Ursprung aller Produkte eines Direktvermarkters bekannt. Betriebe, die wie der Thomahof organisiert sind, suchen den Kundenkontakt. Andere Direktvermarkter vermitteln ihre Produkte in Supermärkte der Umgebung. Die Lebensmittel legen keine langen Wege zurück, und auch die Supermarktkunden können in diesem Fall erkennen, woher ihre Ware stammt.

Durchblick im Label-Dschungel

Unter den Direktvermarktern mit Hofladen gibt es wiederum Unterschiede: Zum einen in der Produktvielfalt, zum anderen in der Vermarktung. Der Thomahof ist nicht nur Bio, sondern auch Mitglied von Naturland, einem Verband für ökologischen Landbau. Die Mitglieder verpflichten sich wie bei Demeter oder Bioland dazu, kontrolliert biologisch zu produzieren. Hinter den Verbänden stehen verschiedene Träger: Beispielsweise der Tierschutzbund, der selbst ein Tierschutzlabel auf den Markt bringt. Eines ist ihnen gemein: Sie sehen schärfere Regeln als das Bio-Siegel der EU vor. Das bezieht sich auf Faktoren wie Gentechnik, Tierhaltung, regelmäßige Untersuchungen, Zukauf von Waren oder Nachhaltigkeit.

Andere Direktvermarkter schließen sich keinem Verband an. Deutlich weniger als die Hälfte der Direktvermarkter ist sogar offiziell Öko, erklärt Umweltökonom Richard Balling vom Bayrischen Landwirtschaftsministerium. Zentral sei hier, dass Kunden hinter die Kulissen schauen können. Wenn die Produktion den Ansprüchen genügt, spräche nichts gegen einen Einkauf.

Der Verbraucher muss entscheiden, ob ihm der Geschmack, die Transparenz, der Tier- und Umweltschutz einen Aufpreis wert sind. Die Möglichkeit, sich derart ausführlich über die Produktion und den Erzeuger zu informieren, bieten allerdings nur Direktvermarkter. Miteinberechnen sollte der Kunde allerdings die Benzinkosten auf dem Weg zum Hof und - zum Thema der Nachhaltigkeit - ebenso den CO2-Austoß.


Wer auf den Geschmack gekommen ist, kann auf Portal „Einkaufen-auf-dem-bauernhof.com“ nach den nächsten Direktvermarktern in der Region suchen.