Ein paar Atemzüge Hormonkonzentrat und schon wird aus einer zufälligen Begegnung eine Liebesaffäre voller Sympathie. Die Marketingparolen für Oxytocin-Wässerchen sind nicht nur falsch - Oxytocin wirkt wohl auch nur in bestimmten Fällen.

Wenn das Wort „Liebes-Hormon“ fällt, wissen viele, was damit gemeint ist. Oxytocin ist viel effektiver als große Alkoholmengen, sein Gegenüber im besten Licht erscheinen zu lassen. Ein bisschen von der fabelhaften Substanz in die Nase und schon haben wir mehr Vertrauen selbst zu Unbekannten. Doccheck berichtete 2010 von einer Studie, in der das Aerosol Männern ein Einfühlungsvermögen verlieh, wie man es sonst nur bei Frauen kennt. Wer das Netz durchstöbert, findet schnell dubiose Quellen, die den wundersamen Stoff nicht gerade billig versenden. „Liquid Trust“ - Flüssiges Vertrauen für Frauen und Männer, so steht es in der Werbung.

Forscher wissen es besser

Kann die Medizin Oxytocin für Problemfälle kontaktscheuer Menschen und Verhaltensstörungen im Sozialverhalten nutzen? Schön wäre es, wenn es so einfach wie in der Internetwerbung ginge - und in den Wunschvorstellungen mancher Oxytocinforscher noch vor wenigen Jahren. „Oxytocin ist nicht das Wundermittel, das jeden glücklich und kontaktfreudig macht“ sagt einer, der wohl mehr als die meisten anderen darüber weiß. Markus Heinrichs von der Universität Freiburg erforscht seit mehr als zehn Jahren das Neuropeptid. Er kennt auch die dunkle Seite, die in bisherigen Studien kaum erwähnt - und vielleicht auch nicht beachtet - wurde.

Unerwartete Wirkung: Neid und Schadenfreude

2009 tauchte im Journal of Biological Psychiatry ein Bericht von Simone Shamay-Tsoory von der Universität Haifa auf. Beim Spielen steigerte eine Prise Hormon den Neid auf den Sieger beim Spiel um Geld genauso wie die Schadenfreude beim Sieg. Aber das war nur einer der ersten Berichte, die das Vertrauen in den Hormon-Star erschütterten. Jennifer Bartz von der Mount Sinai School of Medicine in New York fand heraus, dass Oxytocin genau das Gegenteil der erwünschten Wirkung bei besonders ängstlichen und sozial-sensiblen hervorbrachte: Es verringerte deren Vertrauen und Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Noch kein Konsens gefunden

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Carolyn de Clerck von der Universität Antwerpen. Vertrauen und Kooperationsbereitschaft steigen mit Oxytocin nur dann, wenn wir zumindest einen Grundstock an Wissen über unseren Partner in spe haben. Anonyme Fremde können vom „Sympathie-Enhancement“ nicht profitieren. Das geht sogar soweit, dass Carsten de Dreu von der Amsterdamer Universität glaubt, mit Oxytocin nationalistische Charaktereigenschaften hervorrufen zu können. Namen gleicher Nationalität erschienen sympathischer, dafür aber deutsche oder orientalische den holländischen Studienteilnehmern eher widerwärtiger. Allerdings stellten andere Forscher die weitreichenden Schlüsse der Amsterdamer Gruppe in Frage. Nach einem weiteren Science-Paper der de Dreu-Gruppe scheint es jedoch wirklich so zu sein, dass Oxytocin das Vertrauen innerhalb einer Gruppe stärkt, aber zu Außenseitern eher vermindert.

Vom Kontaktscheuen zum Sozialprofi?

Wer den anderen kennt, schaut ihm mithilfe von Oxytocin wohl noch genauer in die Augen und kann seine Gefühle dort ablesen. Davon ist Jennifer Bartz überzeugt. Für Kontaktscheue ist Oxytocin wohl eher nicht der Weg zum Sozialprofi. Zumal da auch noch Faktoren mitspielen, die durch die Erbmasse vorbestimmt und nur bedingt zu beeinflussen sind. Denn der Oxytocin-Rezeptor ist polymorph. Eine Punktmutation bestimmt die Funktion des Vertrauensförderers. In Stresssituationen, so fanden Markus Heinrichs und sein Team heraus, senkte sich der Cortisollevel bei Probanden mit der A-Rezeptor-Variante trotz Hormonhilfe nicht ab. Genau diese Gruppe hatte in anderen Studien im Vergleich zu „G“ auch mehr Probleme mit Einfühlungsvermögen und eine eher pessimistische Lebensanschauung. Wenn notwendig, sind Menschen, die ein „G“ an der richtigen Stelle im Rezeptor besitzen, eher bereit, sich bei Problemen ihren Freunden zuzuwenden.

Geschlechtschromosom als weiterer Einflussfaktor

Und noch ein gewichtiger Unterschied bei der Gen-Ausstattung beeinflusst die Hormon-Wirkung: Das Y-Chromosom. Die Reaktion auf eine Bedrohung in Form einer entsprechenden Grimasse steuert Oxytocin je nach Geschlecht in ganz unterschiedliche Richtungen. Bei Männern verringert es die Aktivität der Amygdala, unseres „Gefühlsbewertungszentrums“, bei Frauen steigert sie deren Aktivität. Damit hätte Oxytocin besonders bei ihnen die Funktion eines Vorwarnsignals für Gefahren. Aber auch bei Konflikten in einer Partnerschaft reagieren die Geschlechter unterschiedlich auf einen Hormonstoß: Bei Frauen sinkt der α-Amylasespiegel als Maß für die Aktivität des sympathischen Nervensystems, bei Männern steigt gleichzeitig mit dem Enzympegel die Neigung zu Gefühlsausbrüchen, aber auch positivem Verhalten im Paarstreit.

Eine Funktion, viele Anwendungen

Das eher einfach gebaute Neuropeptid ist - evolutionsgeschichtlich gesehen - uralt und kommt beispielsweise auch im wirbellosen Oktopus vor. Die ersten Erkenntnisse über dessen Funktion lieferten aber Wühlmäuse. Prärie-Wühlmäuse sind lebenslang monogam und kümmern sich gemeinsam um den Nachwuchs. Keine Überraschung ist daher die hohe Hormon-Rezeptor-Expression im Belohnungszentrum ihres Gehirns. Ihre Verwandten aus dem Gebirge haben es dagegen nicht so mit einer festen Bindung und der Aufgabenteilung bei der Kindererziehung. Ihr Spiegel liegt deutlich unter dem ihrer Verwandten. Mit einer Rezeptorblockade lässt sich aber leicht aus der Prärie- eine Bergwühlmaus machen - zumindest charakterlich.

Oxytocin spielt eine große Rolle beim Höhepunkt im Geschlechtsverkehr, genauso wie beim Milcheinschuss zum Stillen oder beim Einsetzen der Geburtswehen. Es scheint, dass das Hormon im Lauf seiner Entwicklungsgeschichte viele Funktionen erworben hat. Die Basis beruht jedoch wohl immer auf der Stärkung der sozialen Bindung im Umkreis und dem Aufbau von Vertrauen - wahrscheinlich per Einfluss im Mandelkern.

Mittel gegen Autismus und Depression?

Ob dieser Effekt auch Patienten mit Autismus oder den verwandten Krankheitsspektren helfen kann, daran forschen im Moment etliche Wissenschaftler. Auch Patienten mit Depressionen und Borderline-Syndrom haben die Wissenschaftler in Freiburg im Visier, klinische Studien dazu haben bereits begonnen. „Aber aus den frühen Daten“ berichtet Markus Heinrichs, „können wir klar erkennen, dass Oxytocin allein nichts ausrichtet“. Nur zusammen mit einer Psychotherapie könnte die neue Strategie eine echte Alternative zu den bisherigen Antidepressiva bieten - denn anders als die bisherigen Wirkstoffe greift Oxytocin direkt an der Ursache der Störungen an.

Nicht effektiv genug

„Die Wirkungen in Heinrichs‘ Studien erkläre ich mir damit, dass Oxytocin auch im restlichen Körper an Rezeptoren andockt und dort die Darmtätigkeit herabsetzt, den Blutdruck leicht steigert und den Cortisolspiegel vermindert. Damit fühlen sich die Probanden entspannter und zeigen mehr soziale Verhaltensweisen.“ Valerie Grinevich vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg zweifelt daran, ob das Oxytocin per Spray überhaupt den Weg ins Gehirn findet. Denn Versuche bei Ratten deuten für sie darauf hin, dass Oxytocin in mehreren Gehirnregionen nur dann wirkt, wenn das Original von den Nervenzellen der Umgebung stammt.

Sicher ist jedenfalls, dass die noch kürzlich hochgelobte Wunderdroge nicht jeden glücklich, beziehungsfähig und vertrauensselig macht. Die Wirkung hängt von den bisherigen Erfahrungen des Probanden, seinem Umfeld und nicht zuletzt seiner genetischen Ausstattung ab.

Markus Heinrichs drückt es drastisch-realistisch aus: „Wenn Du mit mit einer sozialen Phobie zu Hause sitzt und jemand verschreibt Dir Oxytocin - ich wette, der einzige Effekt, den Du spürst, ist eine laufende Nase“.