Nach dem Schock und der Empörung über die jahrelange Vertuschung von hundertfachem Missbrauch versprach die katholischen Kirche Aufklärung. Damit ist es vorbei. Besonders der Münchner Kardinal Reinhard Marx soll die Aufklärung behindert haben. Offenbar seien bei einer Voruntersuchung im Bistum neun Mal so viele Taten in den Akten entdeckt worden, als die Kirche bisher angegeben hatte.
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Eine härtere Gangart gegenüber Tätern sowie umfassende Aufklärung solle es geben, eine neue Offenheit angesichts rasant steigender Austrittszahlen. Drei Jahre nach Losbrechen des Skandals steht die Kirche nun aber erneut am Pranger. Sie habe Zensur bei der Untersuchung von Missbrauchsfällen ausüben wollen, lautet der Vorwurf des Kriminologen Christian Pfeiffer. Kritiker zweifeln am Aufklärungswillen und der Glaubwürdigkeit der Kirche.

Sie wolle »der Wahrheit auf die Spur kommen« und »eine ehrliche Aufklärung«, hatte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz und Trierer Bischof Stephan Ackermann vor eineinhalb Jahren erklärt, als Pfeiffer mit einer umfassenden Studie beauftragt wurde. Statt Geheimhaltung sollte es erstmals Zugang zu kirchlichen Akten für externe Experten geben, möglicherweise noch unentdeckte Sachverhalte sollten ans Tageslicht geholt werden.

Genau dagegen aber habe sich schnell Widerstand in Reihen der Kirche gerührt, vor allem in den Bistümern München/Freising und Regensburg, beklagt Pfeiffer. Die Kirche habe daraufhin auf ein Vetorecht bei der Veröffentlichung von Ergebnissen gepocht - für den renommierten Kriminologen aus Hannover eine unannehmbare Einschränkung seiner Arbeit.

Selbst eine Vernichtung von Akten habe es gegeben, sagt Pfeiffer. Die Bischofskonferenz bestreitet das. Es sei um den Datenschutz von Mitarbeitern und keinen Eingriff in die Aufklärung gegangen, heißt es aus der Kirche, die statt Pfeifer nun anderen Forschern die Studie übertragen will.

»Die Frage ist, ob die Kirche bereit ist, sich der Aufklärung und der Wissenschaft zu stellen«, sagt Christian Weisner von der Bewegung »Wir sind Kirche«. »Sie sollte alles tun, damit es nicht nach einer Zensur oder einem Gefälligkeitsgutachten aussieht.« Der Münchner Kardinal Reinhard Marx müsse sich fragen lassen, warum gerade von ihm und seinem Generalvikar versucht worden sei, das Rad zurückzudrehen. Offenbar seien bei einer Voruntersuchung im Bistum neun Mal so viele Taten in den Akten entdeckt worden, als die Kirche bisher angegeben hatte. »Da hat man wohl kalte Füße bekommen.«

Seit dem Jahr 2010, als der jahrzehntelang praktizierte sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen etwa durch Priester oder Heimmitarbeiter bekanntwurde, hat die katholische Kirche einiges unternommen, um Opfern zu helfen und verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Mit dem Trierer Bischof wurde ein Missbrauchsbeauftragter ernannt, die Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt wurden verschärft. Bei jedem Verdacht wird nun automatisch der Staatsanwalt eingeschaltet.

Eine Entschädigung von Opfern mit bis zu 5000 Euro wurde vereinbart und deutschlandweit sammelten die Bistümer Hinweise auch auf lange zurückliegende Missbrauchsfälle. Neben Geld bot die Kirche therapeutische Hilfen und richtete unter Einbindung externer Experten Ansprechstellen für Opfer ein. Bundesweit gingen 1200 Anträge auf Entschädigung ein, teilte die Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch mit. Tausende Anrufe gab es bei der zentralen Hotline für Missbrauchsopfer in Trier.

Kein gutes Beispiel für schonungslose Aufklärung lieferte allerdings der Missbrauchsbeauftragte Ackermann selbst. Vor gut einem Jahr musste er »gravierende Fehler« bei der Aufarbeitung eines Missbrauchsfalls in seinem eigenen Bistum einräumen. Und in Niedersachsen flog erst vor eineinhalb Jahren der jahrelange Missbrauch durch einen Priester auf, auf den es schon 2006 Hinweise an die Kirche gegeben hatte.

dpa