Erstmals wollen Forscher belegt haben, wie gefährlich Zusatzstoffe in Zigaretten sind. Ihre Analyse zeigt, wie der Tabakkonzern gezielt Gesundheitsrisiken verharmlost.
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© Martin Gerten/dpa
Menthol, Feuchthaltemittel und Konservierungsstoffe: In Zigaretten ist weit mehr enthalten als nur Tabak. Zahlreiche Zusatzstoffe werden je nach Sorte beigemengt, um die Produkte haltbar zu machen und den Geschmack zu verändern. Die Schädlichkeit der Zusätze ist zwischen Industrie und Tabakgegnern umstritten. Wissenschaftler werfen nun dem Konzern Philip Morris vor, in der Diskussion gezielt negative Forschungsergebnisse heruntergespielt zu haben.

Die Forscher konnten zeigen, dass Zigaretten mit Zusatzstoffen deutlich mehr Giftstoffe abgeben: Der Gehalt an 15 krebserregenden Chemikalien - wie Arsen, Cadmium, Blei und Formaldehyd - sei mindestens ein Fünftel höher als bislang angegeben, schreibt ein internationales Team von Wissenschaftlern in der Zeitschrift PLoS Medicine. Damit seien Ergebnisse zur Wirkung von 333 Tabak-Zusätzen widerlegt, die im Auftrag des Tabakkonzerns Philip Morris erstellt worden waren. Nach Unternehmens-Angaben erhöhen die Zusatzstoffe die Gesundheitsgefahr von Zigaretten nämlich nicht.

Die Wissenschaftler um Stanton Glantz von der Universität von Kalifornien in San Francisco werteten Dokumente des Tabakkonzerns noch einmal aus, die im Zuge von Haftungsklagen öffentlich zugänglich waren. In den Studien im Auftrag des Konzerns seien wissenschaftliche Standards umgangen worden, sagt Thomas Kyriss, Lungenchirurg von der Klinik Schillerhöhe in Gerlingen bei Stuttgart. Er arbeitete an der Überprüfung der Tabakstudien mit. So sei etwa die Zahl der Versuchstiere zu gering angesetzt worden. Auch von "nachträglichen Veränderungen in den Analyseprotokollen" berichten die Wissenschaftler in der Veröffentlichung. Zu kritisieren sei zudem die statistische Aufbereitung. Wären die Tests korrekt ausgeführt worden, wäre ein wesentlich breiteres Spektrum an Auswirkungen der Zusatzstoffe aufgedeckt worden, schreiben die Autoren.

Manipulation als bekanntes Vorgehen in der Tabakindustrie

"Der Hersteller hat natürlich die Intention gehabt, dass hinterher herauskommt, was herauskam: nämlich, dass Zusatzstoffe nicht gefährlich sind oder nur in geringem Maße. Um dies zu erreichen, sind wissenschaftliche Standards an einigen Stellen umgangen worden", sagt Kyriss. Manipulation und bewusste Täuschung seien ein Vorgehen in der Tabakindustrie, das in der Fachwelt seit Längerem bekannt, nun aber erstmals in Bezug auf Zusatzstoffe nachgewiesen worden sei. Der Konzern habe die schädliche Wirkung der umstrittenen Zusatzstoffe heruntergespielt, "um Politik und Öffentlichkeit insbesondere in den USA zu beeinflussen", sagt der Mediziner.

Der Tabakkonzern wies die Vorwürfe zurück. Zusatzstoffe in Tabakprodukten, inklusive Menthol, erhöhten die "inherente Toxizität von Zigaretten" nicht. Dies habe die Ausgangsstudie gezeigt, ebenso wie "andere von Fachleuten überprüfte, umfassende Studien zum Thema Tabakzusatzstoffe".

Philip Morris wirft den Forschern vor, unsauber geprüft zu haben

Philip Morris warf seinerseits den Autoren der Überprüfungsarbeit vor, nicht sauber vorgegangen zu sein: "Die Autoren des Berichts haben nicht die tatsächlichen Protokolle der Studien studiert, sondern basieren ihre unvollständige Bewertung auf Dokumente aus dem Internet." Die ursprüngliche Analyse dagegen habe sich an etablierte Prinzipien und toxikologische Standardrichtlinien gehalten.

Tabakgegner dagegen hoffen, dass die neuen Ergebnisse ihren Anliegen Rückenwind verschaffen. Zu ihnen gehört Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Die Studie habe der Industrie "bewusste Veränderungen bei der Datenauswertung und der Bewertung der Studienergebnisse" nachgewiesen, sagt die Expertin: "Schon die Logik der Toxikologie sagt, dass die beigemengten Zusatzstoffe gesundheitsschädlich sind, wenn man sie verbrennt. Die Tabakverordnung muss deshalb grundsätzlich verändert werden."

Die Diskussion lebt zu einem Zeitpunkt wieder auf, zu dem offenbar auch die Politik ein Auge auf die Zusatzstoffe geworfen hat: Erst vor wenigen Wochen hatte CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer nach Gesprächen mit EU-Gesundheitskommissar John Dalli angekündigt, die Wirkung der Tabak-Zusätze solle neu untersucht werden, um die Raucher vor gesundheitsschädlichen Wirkungen zu schützen.

ZEIT ONLINE, dpa