Die Regisseure von Skandalkampagnen brauchen vor allem eines: ein Publikum, das ihnen bereitwillig folgt und in den Chor der Empörten und Entrüsteten einstimmt. Mit welchen Mitteln sie dabei vorgehen und weshalb ihre Strategien mitunter auch grandios scheitern, weiß der renommierte Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger.

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Nichts bindet mehr Aufmerksamkeit in der medial übersättigten Gesellschaft als ein handfester Skandal. Einstige Superstars stürzen in die Bedeutungslosigkeit, die Reputation einstmals angesehener Menschen wird vernichtet, Unternehmen werden in die Insolvenz getrieben. Die Medien beherrschen das Handwerk der Skandalisierung virtuos. Manager, Politiker und andere Protagonisten des öffentlichen Lebens verschwinden nach einem Skandal für lange Zeit, viele für immer, von der Bühne. Manchen aber gelingt ein fulminantes Comeback.

Der Fernsehzuschauer, Zeitungsleser oder Internet-User empfindet vielfach die Skandalisierung als eine gerechte Strafe für vermeintliche oder tatsächliche Sünder. Ex-Postchef Zumwinkel wurde wie ein Verbrecher vor laufenden Kameras abgeführt, weil er Steuern hinterzogen hatte. Guttenberg jagte man wegen seiner Tricksereien bei seiner Doktorarbeit in Schimpf und Schande aus dem Amt. Und auch dem Wetter-Moderator Kachelmann hat bis zu seinem Freispruch wohl eine Mehrheit der Bevölkerung so ziemlich alles zugetraut.

Die Medienkonsumenten empfinden eine Genugtuung darüber, dass eben sogar den Reichen, Mächtigen und Prominenten Ungemach ins Haus steht, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Tatsächlich aber sind die Bürger nicht nur Beobachter - vergleichbar mit den Zuschauern in einem Gerichtssaal - , sondern Teil der Inszenierung. Sie spielen unbewusst eine wichtige Rolle. Und sie müssen sie spielen, denn ohne breite Resonanz in der Öffentlichkeit läuft der Versuch einer Skandalisierung regelmäßig ins Leere.

Der Politik- und Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger hat jetzt die Mechanismen der Skandalisierung enthüllt. Sein neues Buch stützt sich auf die Befragung Hunderter von Journalisten, Politikern und Managern. Zudem wurden Tausende von Skandalberichten in Presse, Rundfunk und Fernsehen unter die Lupe genommen.

Seine Analysen tragen dazu bei, das Publikum zu immunisieren gegen gezielte Medienmanipulationen. Wer weiß, wie (und warum) die Drehbücher der Skandalisierung geschrieben werden, lässt sich nicht so einfach instrumentalisieren. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Nur in wenigen Fällen werden Skandale von so genannten investigativen Journalisten aufgedeckt. Sie »übernehmen die skandalträchtigen Perspektiven vielfach von Skandalisierern im vormedialen Raum«, schreibt Kepplinger. Die CDU-Spendenaffäre rund um Ex-Kanzler Kohl habe erst dann an Brisanz gewonnen, als ihm sein »Parteifreund« Heiner Geißler in den Rücken gefallen sei.

Wie aber lässt sich ein Skandal am wirkungsvollsten dramatisieren? Mit welchen Methoden wird das Publikum manipuliert? Hans Mathias Kepplinger nennt die sechs perfidesten Strategien, die jedem Fernsehzuschauer und Zeitungsleser sehr bekannt vorkommen dürften.
  1. Die Verwendung von Horror-Begriffen: »Killerbakterien«, »Waldsterben«, »Pandemie« und »Super-GAU« sind wahre Klassiker. Bleibt die Katastrophe am Ende wieder einmal aus, dann war es eben eine »Beinahe-Katastrophe«.
  2. Verbrechens-Assoziationen: Es werden Begriffe verwendet, die an schwerste Formen der Kriminalität erinnern. Beispiele: »Blutbad«, »Wasserdiebstahl«, »Verfassungsbruch«.
  3. Katastrophen-Suggestionen: Die Medien ängstigen das Publikum ausschließlich mit Worst-Case-Szenarien (zum Beispiel im Zusammenhang mit der Vogel- und Schweinegrippe), unabhängig davon, wie wahrscheinlich der Eintritt einer solchen Entwicklung ist.
  4. Katastrophen-Collagen: Dabei werden Missstände und Schäden willkürlich aneinander gereiht. Kepplinger zitiert das folgende Beispiel aus Spiegel-TV vom 29. Mai 1994: »Nach dem unheimlichen Angriff der Aidsviren, des Rinderwahnsinns und der Schweinepest formieren sich nun die Killerbakterien zum finalen Schlag gegen die Menschheit...«
  5. Schuld-Stapelung: Mehrere »Skandälchen«, die für sich genommen noch nicht das Potenzial zu einem Aufregerthema bergen, werden als Teil einer Serie dargestellt. Kepplinger nennt das Beispiel des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und die mit seinem Namen verbundenen Gästehaus-, Koch-, Gärtner-, Putzfrauen- und Yacht-Affären.
  6. Optische Übertreibungen: Wie oft bekamen die Fernsehzuschauer während der SARS-Epidemie die Aufnahmen von Chinesen mit Mundschutz zu sehen, wie oft die unappetitlichen Schlachthofszenen im Zusammenhang mit der BSE-Krise?
Eine zunehmend wichtige Rolle bei der Skandalisierung spielt das Internet. »Der erste internetbasierte Skandal in Deutschland war 2003 die erfolgreiche Skandalisierung des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann«, schreibt Kepplinger. Am 27. Oktober 2003 erschien im Online-Magazin Hagalil.com ein Kommentar von Andrea Livnat, die ihm vorwarf,»antisemitische Argumentationen der übelsten Sorte« aufzuwärmen. Eine Rede, die anfangs kaum beachtet worden war, führte schließlich zum Ausschluss Hohmanns aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und später sogar aus der Partei.

Auch der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg sei »von einer anonymen Meute« im Internet zur Strecke gebracht worden, stellt der Autor fest. Wie überhaupt die Verursacher von Skandalkampagnen oft im Dunkeln bleiben. »Die Informanten betreiben die Skandalisierung von Personen und Organisationen aus unterschiedlichen Motiven, bleiben aber in der Regel unerkannt im Hintergrund, geschützt durch das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten.«Bei den Journalisten unterscheidet Kepplinger zwischen Wortführern, Mitläufern (der überwiegende Teil), Chronisten und Skeptikern.

Allerdings: Nicht immer spielt das Publikum seine ihm zugedachte Rolle in den Skandalisierungs-Inszenierungen. Das bekannteste Beispiel ist die Kampagne gegen Thilo Sarrazin, die in sich zusammenbrach, als die Medien unversehens feststellen mussten, dass ihre Tiraden zu Rohrkrepierern wurden.