Maschinengewehre, Flugzeuge, Panzer: Nach dem Rückzug aus Afghanistan und Irak gibt die US-Army überzählige Waffen an die Polizei weiter. Sogar in Kleinstädten entstehen paramilitärische Einheiten. Welche Folgen hat das für Amerika?
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Aiyana Stanley-Jones starb in der Nacht des 16. Mai 2010 an einem mehrfachen Irrtum. Der erste war, dass kurz nach Mitternacht ein SWAT-Team der Polizei von Detroit versehentlich die Wohnung ihrer Familie stürmte. Die Blendgranate, die ein Beamter in den Raum warf, war der zweite Fehler - möglicherweise wollte er dem mitlaufenden Reality-TV-Team etwas "Hollywood" und "Pyrotechnik" bieten. Der dritte Fehler war, dass der Beamte, der als erster in den Raum stürmte, sofort in Richtung der Granate feuerte, weil sich dort etwas bewegte.

Aiyana Stanley-Jones wurde in den Kopf getroffen. Sie wurde nur sieben Jahre alt.

Ein bedauerlicher Unglücksfall, ein Fehlverhalten übermotivierter Polizisten? Vielleicht, aber auch das Resultat eines weiteren Irrtums, wie immer mehr Menschen in den USA finden: Der zunehmenden Militarisierung ihrer Polizeibehörden. Denn mit der Aufrüstung, so die Klage, gehe auch ein immer martialischeres Auftreten und Agieren einher. Für einen Hammer sehe eben alles aus wie ein Nagel.

Die vermeintlich omnipräsente Terrorgefahr

Der Trend zur schweren Bewaffnung setzte bereits Mitte der Achtzigerjahre ein. Behörden in Amerikas Großstädten reagierten auf immer brutalere Formen von Bandenunwesen und organisierter Kriminalität mit dem Aufbau schwer bewaffneter SWAT-Teams. Gepanzerte Truppentransportwagen, Hummer, Humvees und militärische Waffen wurden zum Standard-Equipment.

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Inzwischen gibt es solche SWAT-Einheiten nicht nur in Großstädten, sondern bis hinab ins kleinstädtisch-ländlich geprägte Milieu. Die gängige Begründung ist, dass man sich gegen die Gefahren von Terrorismus und Drogenhandel wehren wolle.


Kommentar: Und der wahre Hintergrund: Terrorisierung der eigenen Bevölkerung und Überwachung.


Dieses Sicherheitsbedürfnis wächst auch da, wo die Gefahr kaum zu bestehen scheint. Eine "überproportionale Menge" von Militärwaffen, berichtete im November 2013 die Daily News, "wurde von Polizeibehörden und Sheriffs in ländlichen Gegenden mit wenigen Beamten und niedrigen Kriminalitätsraten" angeschafft. Wo das SWAT-Team fehlt, fährt jetzt oft genug der Sheriff mit dem minensicheren Panzerwagen (MRAP) in den Einsatz.

432 dieser gepanzerten, 18 Tonnen schweren Fahrzeuge, die zwischen 47 und 78 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbrauchen, landeten seit 2006 in den Fuhrparks US-amerikanischer Polizeibehörden. Dazu kamen 435 weitere gepanzerte Vehikel vom Humvee über armierte LKW bis hin zu Kettenpanzern. 533 Flugzeuge und Helikopter sowie 93.763 militärische Maschinengewehre ergänzten die Lieferungen, rechnete vor kurzem die New York Times auf.

Verteilt wurden daneben auch Munition, Nachtsichtgeräte, Granatwerfer, Schalldämpfer - bald sollen Drohnen dazukommen. Allein 2013 wechselte nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums Ausrüstung im Wert von 449.309.003 Dollar und 71 Cent in die Dienste der Polizei.

Wie die sich das leisten kann? Es kostet nichts

Seit 1997 regelt das "1033 Program" die formell leihweise, kostenlose Überlassung überzähligen Militär-Equipments an Sicherheitsbehörden. Militärgüter im Wert satter 4,3 Milliarden Dollar wechselten so bisher den uniformierten Nutzer, wie das "Law Enforcement Support Office" (Leso) des Pentagon stolz meldet: Die Behörde ist Teil der Defence Logistic Agency, die auch den Verkauf von ausgedientem US-Militärgut an andere Parteien abwickelt. Die aber hat zurzeit wenig zu bieten - die Polizei nimmt schon ab, was die Army zu bieten hat.

Und das ist nicht wenig. Mit dem Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan und vor allem aus dem Irak im Jahr 2011 sah sich das Pentagon mit dem Problem konfrontiert, was es mit der nun überzähligen Ausrüstung anfangen sollte. Einen MRAP so zu "demilitarisieren", dass ihn nach einem Verkauf an fremde Drittparteien niemand gegen die USA einsetzen könne, koste rund 12.000 Dollar, rechnete die Times auf. Erheblich billiger scheint da das Durchreichen der Kolosse an vertrauenswürdige Partner. Von 2010 auf 2011 stieg der Wert der von Leso weitergegebenen Militärgüter von 212 Millionen Dollar auf 498 Millionen.

Viele Polizeibehörden begrüßen, dass "Leso" ihnen Zugriff auf Ausrüstungen ermöglicht, die sie selbst niemals finanzieren könnten. Auch das US-Militär sieht das alles natürlich als gutes Werk:

Defence Logistics Agency: Werbevideo für das Leso-Programm


Andere sehen das kritischer. Vielen Amerikanern erscheint die Polizei-Aufrüstung unverhältnismäßig, wenn nicht gar gefährlich. Seit März 2013 bemüht sich die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) darum, belastbare Zahlen über das Ausmaß militärischer Aufrüstung der Sicherheitsbehörden zu bekommen. Anfragen in 260 konkreten Fällen laufen, Resultate gibt es noch nicht.

Auch viele US-Medien begleiten das Thema seit Jahren, tragen Berichte über tragische Fälle wie den Tod von Aiyana Stanley-Jones zusammen. Die vorhandene Ausrüstung scheint die Nutzung martialischer Taktiken zu fördern: So mehren sich die harten, überfallartigen Hausdurchsuchungen durch SWAT-Teams - Schätzungen gehen inzwischen von 40.000 pro Jahr aus. Mitunter kommt es dabei zu unbeteiligten Opfern, wie die fortlaufend ergänzte Razzia-Karte des Cato-Institutes so interaktiv wie beängstigend dokumentiert.


Offizielle Statistiken gibt es weder zu polizeilichem Fehlverhalten, noch zu versehentlichen Opfern. Rund 400 Todesfälle von Unschuldigen werden jedes Jahr als durch die Umstände gerechtfertigt klassifiziert, in der Regel ohne Konsequenzen für die Beamten. Bürgerrechtler zählen bis zu 5000 Todesfälle durch "überzogene Polizeigewalt" in den letzten zehn Jahren. Das statistische Risiko, durch ein SWAT-Team ums Leben zu kommen, soll in den USA inzwischen achtmal höher liegen als durch Terrorismus.

Die größten Kosten aber, glauben Kritiker wie der Journalist Radley Balko, der seit rund zehn Jahren über Polizei-Militarisierung schreibt und im Herbst 2013 ein viel beachtetes Buch dazu veröffentlichte ("Rise of the Warrior Cop: The Militarization of America's Police Forces"), zahlten die Bürger des Landes. Denn mit der Aufrüstung der SWATs, legte er in einem 2006 veröffentlichten Whitepaper dar, habe sich auch der Umgang mit dem Bürger militarisiert.

Mit dem Image vom Freund und Helfer ist der martialisch-gepanzerte Auftritt modern aufgerüsteter Polizei tatsächlich kaum vereinbar. Für viele US-Polizisten ist das trotzdem ohne Alternative: Sie nehmen den kostenlosen Schutz gern in Anspruch. Denn auch, dass ihr Job lebensgefährlich ist, ist ja wahr.

Trotzdem wächst das Unbehagen. Anfang März wandte sich der demokratische Kongressabgeordnete Hank Johnson über einen Artikel in USA Today an die Öffentlichkeit. Er kündigt darin einen ersten Gesetzesentwurf an, der "Program 1033" auf Eis legen soll - um erst einmal Bilanz zu ziehen, bevor "Kankakee wie Kabul aussieht oder Boise wie Bagdad". Viel Chancen hat der Antrag wohl nicht.