Die Kürzung von Hartz IV Leistungen in Form von Sanktionen ist nach Ansicht des Sozialgerichts Gotha verfassungswidrig. Die 15. Kammer des Gerichts ist der Auffassung, dass Hartz IV Sanktionen die Menschenwürde antasten und Leib und Leben gefährden können.

hartz iv, algii
Das Sozialgericht Gotha teilte am heutigen Mittwoch mit, dass die Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter, die im SGB II festgeschrieben sind, gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes verstoßen. Aus diesem Grund übergab das Sozialgericht die Prüfung der Sanktionen an das Bundesverfassungsgericht weiter, welches nun die Verfassungsmäßigkeit klären soll.

60 prozentige Hartz IV Sanktion

Geklagt hatte ein Hartz IV Empfänger, dem vom Jobcenter Erfurt nach dem Ablehnen eines Jobangebots die Leistungen um 30 Prozent (117,30 Euro monatlich) gekürzt wurden. Nachdem der Leistungsempfänger noch eine Probearbeit ablehnte, kürzte das Jobcenter seine Hartz IV Leistungen um weitere 30 Prozent monatlich (insgesamt 60 Prozent!), so dass sich seine Sanktion auf 234,60 summierte.

Menschenwürde ist unantastbar

Die Gothaer Sozialrichter sehen die Menschenwürde verletzt, wenn Hilfebedürftigen die Hartz IV Leistungen aufgrund von Terminversäumnissen oder Ablehnung von Jobangeboten gekürzt werden. Die 15. Kammer sieht den Staat in der Pflicht, permanent ein menschenwürdiges Existenzminimum nach den Artikeln des Grundgesetzes (GG) zu gewährleisten. Mitunter stehen Leistungskürzungen im Widerspruch zu den Artikeln 2 und 12 des GG, da sie die körperliche Unversehrtheit und gar das Leben von Hilfebedürftigen gefährden können. Zudem verstoßen Sanktionen gegen die Berufsfreiheit.

Nach eigenen Angaben ist das Sozialgericht Gotha mit seinem Beschluss vom 26.05.2015 das bundesweit erste Sozialgericht, welches die Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter überhaupt in Frage stellt und diese Frage direkt dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegt.

Nun muss das Bundesverfassungsgericht eine Antwort auf die Fragestellung der möglichen Verfassungswidrigkeit finden. Nach eigenen Angaben haben die Karlsruher Verfassungsrichter aktuell noch einige Verfahren offen, die sich mit der Verfassungsmäßigkeit von Hartz IV Sanktionen beschäftigen, jedoch noch keines davon zum Abschluss gebracht und entschieden. In seinem Grundsatzurteil aus Februar 2010 zur Höhe der Hartz IV Sätze hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber jedoch einen gewissen “Gestaltungsspielraum” bei der Verhängung von Sanktionen eingeräumt.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) vom 09.02.2010 im Volltext

Sozialgericht Gotha - Beschluss vom 26.05.2015 - Az.: S 15 AS 5157/14
Hinweis der Redaktion: Von Sanktionen betroffene Hartz IV Leistungsempfänger sollten Widerspruch gegen Sanktionsbescheide beim Jobcenter einlegen die sofortige Aussetzung beantragen. Werden die Leistungskürzungen nicht vom Jobcenter sofort ausgesetzt, sollte das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts offen gehalten werden.