Merkel und Davutoglu im Bundeskanzleramt
© dpaBundeskanzlerin Angela Merkel mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu am Freitag im Bundeskanzleramt in Berlin.
Angela Merkel hält an ihrem Flüchtlingskurs unbeirrt fest. Das Treffen mit der Türkei, die für Merkel das Flüchtlingsthema lösen soll, brachte nur eine Erkenntnis: Die Türkei schraubt ihre finanziellen Forderungen hinauf. Die Kriegs-Beteiligung der Türkei in Syrien wurde nicht erwähnt. Für den Terror-Anschlag von Istanbul wird es offenbar keine weitere Aufklärung geben. Es gilt die Aussage Erdogans, dass der Täter ein IS-Mitglied gewesen sei.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will ihren Kurs in der Flüchtlingskrise gegen alle Kritik fortsetzen und sieht sich trotz großer Uneinigkeit der EU-Partner nicht isoliert. «Einzelne Lösungen, jeder Staat für sich, werden uns da nicht weiterhelfen, sondern wir brauchen einen gesamteuropäischen Ansatz» sagte sie nach den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen am Freitag in Berlin. Die Kanzlerin räumte «Verspätungen» bei der Umsetzung von EU-Vereinbarungen ein, betonte aber auch mit Blick auf den EU-Gipfel Mitte Februar: «Darauf werde ich sehr stark achten.»

Die Verspätungen sehen etwa so aus: Von den 100.000 aus Italien und Griechenland über die EU zu verteilenden Flüchtlingen wurden per Januar 2016 etwa 200 Personen verteilt. Zur Sicherung der Außengrenzen laufen Beratungen auf EU-Ebene, mit Ergebnissen wird bis Juni gerechnet. Allein im Januar sind etwa 37.000 neue Flüchtlinge in Griechenland gelandet - zehn Mal so viele wie im Januar 2015. Die Türkei hat von den zugesagten drei Milliarden Euro bis heute keinen Cent gesehen. In der EU wird diskutiert, ob Deutschland den gesamten Betrag zahlen soll, weil sich mittlerweile alle anderen EU-Staaten weigern, zu zahlen. Die Osteuropäer haben ihre Grenzen dichtgemacht, ebenso Schweden, Dänemark und Österreich. Zuletzt hat Frankreich die Flüchtlingspolitik Merkels abgelehnt und ist hinsichtlich der Quote ebenfalls aus der EU-Vereinbarung ausgeschert.


Kommentar: Wenn mehr und mehr EU-Länder Flüchtlinge abschieben und ihre Grenzen dichtmachen, wo sollen die Flüchtlinge sonst hin - eingedenk, dass zahlreiche EU-Staaten neben den USA eine Mitschuld an ihrer Lage tragen? Auch hier sticht Russland wieder positiv heraus:
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Auf die Frage, ob sie sich einsam fühle, sagte Merkel: «Den Eindruck habe ich nicht.» Sie sei «innerlich sehr davon überzeugt», dass man bei den Fluchtursachen ansetzen müsse und dass es ein großes Interesse der Europäischen Union gebe, den Schengen-Raum mit seinem freiem Reiseverkehr aufrechtzuerhalten. Merkel sagte, dass der in der EU vereinbarte Aufbau von Hot-Spots für Flüchtlinge in Griechenland und Italien umgesetzt werden müsse.


Kommentar: Bei den Ursachen für Flucht anzusetzen wäre eben das Richtige. Das bedeutet die Beendigung der Konflikte in Herkunftsländern der Flüchtlinge, inklusive der Einstellung deutscher Waffenexporte zur Befeuerung derselben. Doch im gleichen Atemzug mehr Hot-Spots zu verlangen, die eher Gefängnissen gleichen, hebt den positiv klingenden Ansatz von Merkels Aussage wieder auf:
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Merkel sicherte der Türkei ausdrücklich die von der EU in Aussicht gestellten drei Milliarden Euro für eine bessere Versorgung der dort lebenden 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien zu. Die EU und die Türkei hatten dazu einen gemeinsamen Aktionsplan vereinbart. Noch ist aber kein Geld geflossen. Auch Maßnahmen der Türkei zur Reduzierung der Zuwanderung über die Balkanroute kommen schleppend voran. Zum EU-Gipfel am 18. Februar sollen konkrete Projekte erarbeitet werden. Merkel betonte, bei der von ihr angekündigten Zwischenbilanz nach dem Gipfel gehe es nicht darum, «dass man den Grundansatz hinterfragt».

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte, es handele sich nicht um eine Herausforderung für Deutschland, die Türkei oder Europa allein. Wenn jeder nur irgendwie versuche, die Krise auf den anderen zu schieben, werde es nicht gelingen, die Probleme zu lösen. Der Kanzlerin sagte er Solidarität zu. «Weder Frau Merkel noch Deutschland ist in diesem Zusammenhang allein.» Die Türkei gehe in dieser kritischen Phase «Hand in Hand mit Deutschland».

Vor den Regierungskonsultationen hatte Davutoglu deutlich gemacht, dass Ankara von der EU mehr als die versprochenen drei Milliarden Euro erwartet. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, die bisherigen Zusagen seien «nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen». Der Ministerpräsident fügte hinzu: «Niemand kann von der Türkei erwarten, die gesamte Last alleine zu tragen.» Der DLF berichtet, die Türkei fordere nun 10 Milliarden Euro.

Zu dem jüngsten Anschlag in Istanbul sagte Davutoglu bei dem gemeinsamen Auftritt mit Merkel auf Deutsch: «Das war ein Terrorakt gegen die Menschlichkeit.» Deutschland und die Türkei seien vereint im Kampf gegen den Terrorismus. Dieser dürfe niemals seine schmutzigen Ziele erreichen. Bei dem Attentat waren in der vergangenen Woche zehn deutsche Urlauber getötet worden. Eine Untersuchung, wer wirklich hinter dem Anschlag steckt, wird es von deutscher Seite offenbar nicht geben. Die Bundesregierung begnügt sich offenkundig mit der von Präsident Erdogan unmittelbar nach dem Anschlag geäußerten Mitteilung, der Täter sei IS-Terrorist gewesen. Von unabhängiger Seite liegen keinerlei Erkenntnisse vor. Die Türkei hat das Thema mit einer Nachrichtensperre erledigt

Zu den Verwicklungen der Türkei in Öl-Geschäfte mit dem IS wurde nicht gesprochen. Die Rolle der Türkei am Krieg in Syrien kam nicht zur Sprache. Der Bürgerkrieg der türkischen Regierung gegen die Kurden wurde von Merkel mit dem Ausdruck des Bedauerns für zivile Tote am Rande der Pressekonferenz erwähnt.