Die Nahrungsmittelpreise steigen rapide - doch in Zukunft könnten sie förmlich explodieren. Dürren und Überschwemmungen wurden in bisherigen Prognosen kaum berücksichtigt, warnen Forscher in einer Studie. Die Folgen könnten besonders für arme Länder verheerend sein.
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© ReutersDürre im indischen Dorf Badarganj (im August 2012): Der Monsun brachte in diesem Jahr 20 Prozent weniger Regen. Auf langfristig steigende Preise können sich betroffene Bevölkerungsgruppen vielleicht noch einstellen - auf kurzfristige Schocks dagegen nicht.
Die Preise für Lebensmittel kennen derzeit nur eine Richtung: steil aufwärts. Weizen, Mais und Soja sind an den Rohstoffbörsen dramatisch teurer geworden. Schuld daran sind derzeit unter anderem Dürren in den USA und Indien, die Nutzung riesiger Ackerflächen für die Biospritproduktion und Spekulationen auf den internationalen Märkten.

Zwar sind die Getreidepreise in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig Achterbahn gefahren. Doch der Klimawandel wirkt langfristig - und eine neue, im Auftrag der Hilfsorganisation Oxfam erstellte Studie legt nahe, dass die Preissteigerung durch die Erwärmung bisher stark unterschätzt wurde. Dirk Willenbockel vom Institute of Development Studies an der britischen University of Sussex macht dafür Extremwetterereignisse wie Dürren und Überflutungen verantwortlich.

"Bisher haben sich Forscher vor allem auf die langfristigen Folgen des Klimawandels konzentriert", sagt Willenbockel zu SPIEGEL ONLINE. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass der Einfluss von extremen Wetterlagen auf die Nahrungsmittelproduktion schwierig in Computermodelle zu fassen ist. So ist etwa wichtig, wann eine Dürre über ein Anbaugebiet hereinbricht. Sind die Samen gerade ausgebracht? Haben die Pflanzen ihre Früchte schon angesetzt? Dazu kommt die weiterhin nur schwach nachweisbare Beziehung zwischen dem menschgemachten Klimawandel und der Zahl extremer Wetterereignisse.


Externe Schocks im Computermodell

Willenbockel hat nun für die verschiedenen Weltregionen extreme Wetterlagen zwischen 1979 und 2009 analysiert und deren Einfluss als externe Schocks in ein Computermodell der verfügbaren Nahrungsmittelmengen im Jahr 2030 eingespeist. So simuliert er etwa, wie sich ein Ereignis in den Dimensionen der großen Dürre von 1988 auf die Weizenproduktion Nordamerikas auswirken würde - oder was verheerende Trockenperioden wie in Indien 1979 mit dem Angebot an Reis anstellen würden.

Das Ergebnis: Zunächst einmal lässt der Klimawandel mit steigenden Temperaturen und vielfach sinkenden Niederschlägen die Nahrungsmittelpreise klettern. Im Einzelnen könnte demnach:
  • der Preis von Mais in der Zeit von 2010 bis 2030 um 177 Prozent steigen, wobei bis zu 50 Prozent des Anstiegs auf die Folgen des langfristigen Klimawandels entfallen würden,
  • der Weizenpreis um 120 Prozent zulegen, etwa ein Drittel davon bedingt durch den Klimawandel,
  • der Preis für verarbeiteten Reis um 107 Prozent klettern. Ebenfalls ein Drittel davon würde auf den Klimawandel entfallen.
Doch zusätzlich - und das ist die Kernbotschaft der Studie - drohen weitere Aufschläge durch die extremen Wetterkapriolen. Einer oder gar mehrere solcher Schocks binnen eines Jahres könnten die Preise kurzfristig verdoppeln. Bei Mais ist demnach sogar ein Plus von 140 Prozent drin - wegen der weiter steigenden Abhängigkeit von Lieferungen aus den USA. Bei Weizen würde eine Dürre in Nordamerika mit einem zusätzlichen Aufschlag von 33 Prozent zu Buche schlagen. Durch Trockenperioden im südlichen Afrika wäre mit einer Preissteigerung von 50 Prozent zu rechnen.

Dadurch seien vor allem ohnehin verwundbare Bevölkerungsgruppen gefährdet, warnen Hilfsorganisationen. Die Rede ist von etwa einer Milliarde Menschen, die bereits jetzt etwa 75 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen. "Rücklagen, um kurzfristige Preisschocks auszugleichen, haben diese Menschen in der Regel nicht", sagt Jan Kowalzig von Oxfam. "Plötzliche Preissteigerungen infolge von Dürren oder Überschwemmungen in den Kornkammern der Welt werden für Millionen Menschen nicht verkraftbar sein."

Zum Vergleich: In Deutschland sind im Schnitt gerade einmal elf Prozent des Einkommens nötig, um satt zu werden. Die Menschen hier betrifft das Problem der steigenden Preise also bestenfalls am Rande - zumal der Klimawandel den deutschen Bauern sogar steigende Getreideerträge in Aussicht stellt.

Andere Forscher reagieren skeptisch

Unter Agrarökonomen wird die Studie für Diskussionen sorgen. Nicht alle Kollegen teilen Willenbockels Einschätzungen im Detail. "Wir gehen davon aus, dass die Preisanstiege bis zum Jahr 2050 noch vergleichsweise moderat ausfallen", sagt zum Beispiel Harald Grethe, Vorsitzender des Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium und Mitglied des Food Security Centers an der Universität Hohenheim. "Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts werden die Effekte des Klimawandels auf der Südhalbkugel richtig durchschlagen." Die in der Oxfam-Studie errechneten Preissteigerungen aufgrund des langfristigen Klimawandels fielen vor diesem Hintergrund sehr hoch aus, vielleicht zu hoch.

Harald von Witzke, Agrarökonom an der Humboldt-Universität Berlin, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: "Die meisten Grundnahrungsmittel kann man lagern. Solange die Lager nicht leer sind, haben Extremwetterereignisse einen eher kleinen Einfluss."

Willenbockel räumt zwar ein, dass sein Modell von leeren Lagern ausgehe. Doch dass ein solches Szenario nicht allzu weit von der Realität entfernt sei, zeige die aktuelle Lage: Die derzeitige Dürre habe den Planeten in einem besonders ungünstigen Moment getroffen, nämlich bei leeren Vorräten.

Man könne, so sagt der Forscher, diesen Aspekt auch als Handlungsempfehlung an die Politik sehen: Wer rechtzeitig vorsorgt, dessen Nahrungsversorgung wird von Überschwemmungen, Dürren und ähnlichen Unbilden weniger schwer getroffen.