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© Pommersche Zeitung 1938
Freche Herausforderung Deutschlands

Jude überfällt in der Pariser Botschaft deutschen Diplomaten und schießt ihn mit 5 Schüssen nieder

Legatationssekretär vom Rath wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und schwebt, obwohl er bereits zweimal operiert wurde, in Lebensgefahr - Zynisches Verhalten des feigen Attentäters - Angeblicher "Rache"-Akt gegen den Nationalsozialismus - Der Täter war bereits aus Frankreich ausgewiesen.

[...]

Auf den Legationsekretär an der deutschen Botschaft in Paris vom Rath wurde gestern morgen in seinem Dienstzimmer ein Revolverattentat verübt. Als Täter wurde der jüdisch polnische Staatsangehörige Herschel Feibel Grynszpan (Grünspan) festgestellt. [...] Bei der sofort durchgeführten Untersuchung erklärte der Täter, er habe das Attentat verübt, um seine jüdischen Rassengenossen zu rächen. Die Botschaft hat beim französischen Außenministerium strengste Durchführung der Untersuchung verlangt und Zusage erhalten.
Die Zeilen stammen vom 8. November 1938 aus der Pommerschen Zeitung. Wenn Sie in diesem Artikel das Wort "Jude" mit dem Wort "Moslem" ersetzen, werden Sie mit Erschrecken feststellen, dass es keinen Unterschied gibt zu den aktuellen Ereignissen der traurigen letzten Tage - und Jahre - u.a. in Paris und anderswo auf der Welt.

Ursprünglich wollte Goebbels mit dem Vorfall in Paris einen Schauprozess einleiten, um weiter Hetze gegen die jüdische Bevölkerung zu treiben, jedoch ist es zu diesem Schauprozess nie gekommen. In diesem Zusammenhang wird besonders das Deutsche "Nie Wieder" ins Gedächtnis gerufen und leider schaut auch heute ein Großteil der Bevölkerung bei den aktuellen Ereignissen einfach nur stumm zu. In Frankreich, Belgien und Deutschland finden scheinbar willkürliche Verhaftungen statt, die sich kritisch gegenüber der Regierung und dem Charlie Hebdo-Attentat äußerten.

Die freie Meinungsäußerung in Frankreich - worum es am Anfang ging - wurde innerhalb kürzester Zeit abgeschafft und ebenso springen andere Regierungen - darunter auch Deutschland - auf diesen Zug auf und wollen oder haben bereits verstärkte Überwachungsgesetze in die Wege geleitet. Wenn diese Aktionen mit der Vergangenheit verglichen werden, kommt man unwillkürlich zum Schluss, dass es sich hier um eine neue Version des Faschismus handelt. Und all dies geschieht heutzutage unter dem Deckmantel sogenannter Demokratie und unter Bewahrung von unserer Meinungsfreiheit und Freiheit allgemein.
Wir sollten anmerken, dass eine große Ideologie mit mesmerisierenden Werten sehr leicht auch Menschen der Fähigkeit berauben kann, selbstkritische Kontrolle über das eigene Verhalten auszuüben. Die Anhänger einer solchen Ideologie neigen dazu, die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass die angewandten Methoden - nicht nur ihr Zweck - für die Resultate ihrer Aktivitäten entscheidend sind. Wann immer die Anhänger - nach wie vor überzeugt, ihrer Idee zu dienen - zu allzu radikalen Methoden greifen, sind sie sich nicht bewusst, dass sich ihr Ziel bereits geändert hat. Das Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel“ öffnet die Tür für einen anderen Menschentypus, für den eine große Idee nur den Zweck hat, sich selbst vom unbequemen Druck normaler menschlicher Gewohnheiten zu befreien. Deshalb liegt in jeder großen Ideologie eine Gefahr, besonders für Kleingeister. Aus diesem Grund kann jede große soziale Bewegung und ihre Ideologie zu einem Wirt werden, auf dem eine Pathokratie ihr parasitäres Leben beginnen kann.

Eine solche Ideologie mag durch Mängel in Bezug auf Wahrheit und Moral von Anfang an gekennzeichnet gewesen sein, oder durch die Auswirkungen von Aktivitäten pathologischer Faktoren. Die ursprüngliche, edel gesinnte Idee mag auch einer frühen, kontaminierenden Charakteristik der jeweiligen Zeit und der sozialen Umstände erlegen sein. Wenn eine solche Ideologie von fremdem, lokal kulturellem Material infiltriert wird - Material, das die ursprünglich kohärente Struktur der Idee zerstört, da es heterogen ist - , wird ihr realer Wert derart geschwächt, dass sie viel Attraktivität für vernünftige Menschen verliert. Einmal geschwächt kann die soziologische Struktur noch weiterer Degeneration erliegen, einschließlich der Aktivierung pathologischer Faktoren, bis sie zu ihrer eigenen Karikatur transformiert wurde: der Name ist derselbe, doch die Inhalte sind unterschiedlich.

[...]

Psychopathen sind sich darüber bewusst, dass sie anders als normale Menschen sind. Deshalb kann ein durch sie inspiriertes ‚politisches System‘ dieses Bewusstsein über die Andersartigkeit verbergen. Sie tragen eine persönliche Maske der Vernunft und wissen, wie sie eine makrosoziale Maske mit derselben verheimlichenden Natur erschaffen können. Wenn wir die Rolle der Ideologie bei diesem makrosozialen Phänomen beobachten und uns über das Vorhandensein dieses besonderen Wissens des Psychopathen klar sind, können wir verstehen, warum Ideologien zu Werkzeugen abgewertet werden: zu etwas Nützlichem, wenn mit diesen anderen naiven Menschen und Nationen umgegangen werden muss. Nichtsdestotrotz müssen Pathokraten die Funktion der Ideologie, in einer ponerogenen Gruppierung essenziell zu sein, akzeptieren.

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[E]in gut entwickeltes pathokratisches System [hat] keine klare und direkte Verbindung mehr zu seiner ursprünglichen Ideologie. Sie wird nur mehr als traditionelles Hauptwerkzeug behalten und benutzt, um seine Handlungsweisen zu verbergen. Aus praktischen Gründen können für eine pathokratische Expansion auch andere Ideologien nützlich sein, auch wenn diese der Hauptideologie widersprechen und sie moralisch angreifen. Diese anderen Ideologien müssen jedoch sorgfältig benutzt werden; eine offizielle Anerkennung innerhalb jener Umgebungen, in welchen die ursprüngliche Ideologie als zu fremd, verrufen oder nutzlos erscheinen könnte, muss unterbleiben.

Andrzej M. Lobaczewski, Politische Ponerologie, S. 237-242
Und so lange Psychopathen Machtpositionen besetzen und von dort aus ungehindert und unerkannt die Welt regieren, werden sie ihre Weltsicht dem gesunden Menschenverstand normaler Menschen aufzwingen (das ist ein automatischer Prozess in der Ponerisierung der Gesellschaft) und weiter ihre Spiele betreiben können. De facto bedeutet das, dass die heutigen "Demokratien" keine mehr sind, sondern vielmehr faschistische Systeme, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Terror und Einschüchterung zu betreiben und letzten Endes ihre Taten paramoralistisch zu rechtfertigen.

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Angst zu schüren ist die Macht der Medien

Ein weiteres wichtiges Instrument von politischen Systemen, um ihre Ideologien zu verbreiten, sind ihre modernen Medienkanäle. Medien verschärfen Ereignisse durch einseitige Berichterstattung und bereiten somit die Mediennutzer auf künftige Ereignisse vor, wie es auch der eingangs zitierte Ausschnitt des Zeitungsartikels macht. Die technischen Hilfsmittel erlauben das und eine Manipulation und Ausrichtung von Menschenmassen wird heute einfacher sein als zu damaligen Zeiten und dennoch bleibt die Wirkung dieselbe: Unschuldige Menschen werden stigmatisiert.

Was ist nach der Ermordung des Diplomaten Ernst vom Rath geschehen?
Das ist die Antwort!

Wenige Tage ist es her, dass in Paris durch die feige Mordtat des Juden Grünspan, hinter dem der Hass des ganzen Weltjudenjudentums stand, ein offizieller Vertreter des Reiches erschossen wurde. Als das Ableben Ernst vom Raths an den Folgen der Schüsse bekannt wurde, machte sich die ungeheure Erregung, die das deutsche Volk seit Bekanntwerden der ersten Pariser Nachricht beherrschte, in einer Reihe von Demonstrationen und Vergeltungsaktionen Luft. Aus dem gesunden und richtigen Instinkt heraus, dass nicht ein Jude schuldig zu sprechen ist an diesen ungeheuerlichen Verbrechen, richtete sich die Stimmung des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit gegen alle Juden in Deutschland. Die Schüsse, die einem deutschen Manne und damit dem ganzen deutschen Volke gelten sollten, schlugen auf die Juden zurück. Als dann aber Reichsminister Dr. Goebbels seinen Aufruf erließ, wurde in gewohnter Disziplin jede weitere Aktion unterlassen, und nun wartete das Volk, das bis dahin gesprochen hatte, auf die in dem Aufruf angekündigten Maßnahmen der Regierung gegen die Juden.
Wenige Tage nach der Ermordung fand die verheerende Reichskristallnacht im damaligen dritten Reich statt, wo unter anderem 400 unschuldige Juden brutal ermordet und hunderte Synagogen in Brand gesteckt wurden. Das Attentat wurde dazu als Aufhänger genutzt - wenn nicht sogar inszeniert - um Emotionen innerhalb der deutschen Bevölkerung aufkochen zu lassen und die Pogrome durchführen zu können.

Bis jetzt gab es noch keine Pogrome dieser Art in Frankreich und Europa, doch wird es sie in der Zukunft geben? Die unzähligen Razzien in Frankreich, Deutschland und Belgien sind unserer Meinung nach richtungweisend und es ist eine Hetzkampagne gegen Muslime.

Die Hybris moderner Stigmatisierung muss natürlich aus den USA kommen - dem Land der "Freiheit".


In diesem Video ruft die Moderatorin immer und immer wieder dazu auf, dass "Islamisten getötet werden müssen" und das ist bereits der dritte Fall in kürzester Zeit, wo gegen Muslime innerhalb der amerikanischen TV-Medien vorgegangen wurde. Wie es Russel Brand formulierte, ist es eine Farce dieser Moderatorin, denn damit wird nur noch mehr Hass geschürt. Auch berichtete der Spiegel über eine Studie, dass vorrangig negativ gegen den Islam berichtet wird, was aus den Worten - und gerade auch des Spiegels - überraschend kommt, da ebenso im Spiegel in das Hysterie-Horn des Islamismus geblasen wurde, indem Lügen verbreitet wurden. Doch das ist nicht das letzte Beispiel in den letzten Wochen, denn in San Francisco fahren Busse, die dazu aufrufen alle Hilfen in muslimischen Länder zu stoppen.

islamophobic san francisco,
Warum sind wir so ignorant und blind - zu jeder Zeit? - Ein Blick in die Vergangenheit

Man findet viele weitere erschreckende Parallelen, wenn Zeitzeugenberichte vergangener Tage berücksichtigt werden. So zum Beispiel Sebastian Haffner, der in seinem Buch Geschichte eines Deutschen, seine Lebensgeschichte von 1914 bis zur Machtergreifung Hitlers beschreibt.

Man kann sich natürlich fragen, warum wir Menschen zu jeder Zeit ignorant sind und warum ähnliche Fehler wieder und wieder begangen werden. Eventuell liegt es daran, wie es Lobaczewski im oberen Auszug von Politischer Ponerologie beschrieb, dass neue Ideologien karikiert werden und letzten Endes einem das Wissen über die Psychopathie fehlt und dass Pathokraten alte Lügen neu verkaufen, wie wir es in den letzten Jahren immer wieder sehen konnten. Wie verhielten sich die Menschen in den dreißiger Jahren? Dazu werden im Folgenden Auszüge aus Haffners Buch zitiert.
sebastian haffner
Sebastian Haffner im Jahre 1984
Umso mehr, als man gleichzeitig vollkommen beschäftigt und abgelenkt wurde durch eine nicht abreißende Folge von Festen, Feiern und nationalen Weihestunden. Das begann bereits mit einer riesigen Siegesfeier vor den Wahlen, dem »Tag der nationalen Erhebung« am 4. März: Massenaufmärsche und Feuerwerke, Trommeln, Kapellen und Fahnen über ganz Deutschland, Hitler aus Tausenden von Lautsprechern tönend, Schwüre und Gelöbnisse - alles, obwohl ja noch gar nicht feststand, ob nicht die Wahlen den Nazis vielleicht eine Schlappe bringen würden. Tatsächlich taten sie das: Diese Wahlen, die letzten, die je in Deutschland abgehalten wurden, brachten den Nazis nur 44 Prozent der Stimmen (vorher hatten sie 37 gehabt) - die Mehrheit wählte immer noch gegen sie. Wenn man bedenkt, daß der Terror schon in vollem Gange, daß den Linksparteien in der letzten entscheidenden Woche vor der Wahl bereits der Mund verboten war, muß man sagen, daß sich das deutsche Volk in seiner Masse noch ganz anständig gehalten hatte. Das war aber gar keine Störung. Die Niederlage wurde einfach wie ein Sieg gefeiert, der Terror verstärkt, die Feste verzehnfacht. Die Fahnen verschwanden jetzt für vierzehn Tage überhaupt nicht mehr aus den Fenstern, eine Woche später schaffte Hindenburg die alten Reichsfarben ab, und die Hakenkreuzfahne wurde zusammen mit der schwarzweißroten »vorläufige Reichsflagge«. Und zugleich täglich Umzüge, Massenweihestunden, Dankkundgebungen für die nationale Befreiung, Militärmusik von früh bis spät, Heldenehrungen, Fahnenweihen, schließlich, als Höhepunkt, die bombastische Schmierenvorstellung des »Tages von Potsdam«, mit dem alten Verräter Hindenburg am Grabe Friedrichs des Großen, Hitler zum x - ten Male Treue zu irgendetwas gelobend, Glockengeläute, feierlicher Zug der Abgeordneten zur Kirche, Militärparade, gesenkte Degen, fähnchenschwenkende Kinder, Fackelzüge.

Die ungeheuerliche Leere und Sinnentblößtheit dieser nicht abreißenden Veranstaltungen dürfte wiederum keineswegs unabsichtlich gewesen sein. Die Bevölkerung sollte eben daran gewöhnt werden, zu jubeln und sich zu erheben, auch ohne daß sie einen eigentlichen Grund dazu sah. Grund genug, daß Leute, die allzudeutlich nicht mitmachten - psst! - alltäglich und allnächtlich mit Stahlpeitschen und Drillbohrern zu Tode gebracht wurden. Jubeln wir also und heulen wir mit den Wölfen, heil, heil! Außerdem kam man auf den Geschmack dabei.

Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen, S. 132-135, Betonungen hinzugefügt
Ein Vergleich zu heute, denn wir haben: Facebook, YouTube, Partys, Internet überall und Feiern zu jeder Zeit und an jeder Ecke, womit man alle dunklen Gedanken im wahrsten Sinne des Wortes verdrängen kann und sich von einem High zum nächsten bewegt. Kann man es den Menschen übelnehmen? Wie Haffner beschreibt, könnte man vermuten, dass viele Dinge heutzutage auch nicht unabsichtlich vorhanden sind, um Menschen von der Realität abzulenken. Schließlich gibt es Brot und Spiele schon seit Rom. Weiter bei Haffner:
Der einfachste Grund, und fast überall, wenn man bohrte, der innerste, war: Angst. Mitprügeln, um nicht zu den Geprügelten zu gehören. Sodann: ein wenig unklarer Rausch, Einigkeitsrausch, Magnetismus der Masse. Ferner bei vielen: Ekel und Rachsucht gegenüber denen, die sie im Stich gelassen hatten. Ferner, eine seltsam deutsche Figur, dieser Gedankengang: »Alle Voraussagen der Gegner der Nazis sind nicht eingetroffen. Sie haben behauptet, die Nazis würden nicht siegen. Nun haben sie doch gesiegt. Also hatten ihre Gegner Unrecht. Also haben die Nazis Recht.« Ferner bei einigen (namentlich Intellekuellen) der Glaube, jetzt noch das Gesicht der Nazipartei ändern und ihre Richtung abbiegen zu können, indem man selbst hineinging. Sodann, selbstverständlich, auch echte gewöhnliche Mitläuferei und Konjunkturgesinnung. Bei den primitiver und massenartiger Empfindenden, Einfacheren schließlich ein Vorgang, wie er sich in mythischen Zeiten abgespielt haben mag, wenn ein geschlagener Stamm seinem offenbar ungetreuen Stammesgott abschwur und den Gott des siegreichen Feindesstamms zum Schutzherrn wählte. St. Marx, an den man immer geglaubt hatte, hatte nicht geholfen. St. Hitler war offenbar stärker. Zerstören wir also St. Marx' Bilder auf den Altären und weihen wir sie St. Hitler. Lernen wir beten: Die Juden sind schuld, anstatt: Der Kapitalismus ist schuld. Vielleicht wird uns das erlösen.

Haffner, S. 138f.
Bild
Wie Haffner beschreibt - und es auch Lobaczewski benannte - werden die Namen einfach ausgetauscht und es vor der Bevölkerung so hingestellt, dass der Feind immer von außen kommt, so zum Beispiel der "Krieg gegen den Terror" und dass hinter jedem Bärtigen ein Terrorist stecken könnte.

Persönlich hätte ich nicht vermutet, dass dieser Prozess der Verachtung und Handlungen in Europa gegenüber Muslimen so schnell umgesetzt wird, jedoch deuteten die Zeichen seit dem 11. September 2001 in den USA darauf hin, dass es irgendwann dazu kommen würde. Auch bereitete die deutsche Regierung ihre Bürger seit längerer Zeit auf eine Gefahr von Außen hin, wie zum Beispiel die Salafisten-Bewegung, oder der Bombenfund in Bonn zeigte.
Dies war der Vorgang, wie er heute, unverkennbar, klar und abgerückt, vor der rückschauenden Betrachtung steht. Während ich ihn erlebte, war es freilich unmöglich, ihn zu übersehen. Ich spürte, furchtbar genug, das Würgend - Ekelhafte des Ganzen, aber ich war unfähig, seine Elemente zu erfassen und zu ordnen. Vor jeden Versuch, sich klar zu werden, legten sich wie Schleier jene, ach so unendlich müßigen und sinnlosen Diskussionen, in denen man sich immer wieder abmühte, die Dinge in ein ihnen nicht mehr passendes System obsoleter politischer Begriffe einzuordnen. Wie gespenstisch diese Diskussionen heute anmuten, wenn man sich, durch einen Zufall der Erinnerung, noch einmal Stücke und Fetzen von ihnen vergegenwärtigt! Wie völlig hilflos wir geistig waren, mit all unserer historisch - bürgerlichen Bildung, vor diesem Vorgang, der in allem, was wir gelernt hatten, einfach nicht vorkam! Wie sinnlos die Erklärungen, wie unendlich töricht die Rechtfertigungsversuche, aber auch wie hoffnungslos oberflächlich die Notkonstruktionen, mit denen der Verstand das unbeirrbare Gefühl des Grauens und des Ekels zu umbauen versuchte! Wie überaus abgestanden alle die - Ismen, die man ins Feld führte. Ich denke mit einem gewissen Schauder daran.

[...]

Dennoch war es, seltsam genug, auch und gerade dies mechanisch und automatisch weiterlaufende tägliche Leben, was es verhindern half, daß irgendwo eine kraftvolle, lebendige Reaktion gegen das Ungeheuerliche stattfand. Ich habe geschildert, wie der Verrat und die Feigheit der Führer es verhinderte, daß die Mannschaften der andern politischen Machtgruppen gegen die Nazis eingesetzt wurden und Widerstand leisteten. Das läßt immer noch die Frage offen, warum nicht ganz spontan, hier und da und dort, ein Einzelner aufstand und sich wehrte - wenn nicht gegen das Ganze, so doch vielleicht gegen irgendein spezielles Unrecht, irgendeine besondere Schandtat, die gerade in seiner Reichweite geschah? (Ich übersehe nicht, daß diese Frage auch einen Vorwurf gegen mich selbst einschließt.) Dem war eben der weiterlaufende Mechanismus des täglichen Lebens im Wege. Wie anders würden wahrscheinlich Revolutionen, wie anders würde die gesamte Geschichte verlaufen, wenn die Menschen heute noch, wie vielleicht im antiken Athen, auf sich stehende Wesen mit einer Beziehung zum Ganzen wären - und nicht so rettungslos eingespannt in ihren Beruf und ihren Tagesplan, abhängig von tausend Unübersehbarkeiten, Glieder eines unkontrollierbaren Mechanismus, auf Schienen laufend gleichsam und hilflos, wenn sie entgleisen! Nur in der täglichen Routine ist Sicherheit und Weiterbestehen - gleich daneben fängt der Dschungel an. Jeder europäische Mensch des 20. Jahrhunderts hat das mit dunkler Angst im Gefühl. Daher sein Zögern, irgendetwas zu unternehmen, was ihn »entgleisen« lassen könnte - etwas Kühnes, Unalltägliches, nur aus ihm selbst Kommendes. Daher die Möglichkeit solcher immenser Zivilisationskatastrophen wie der Naziherrschaft in Deutschland.

Noch von einer dritten Versuchung muß ich sprechen. Es ist die, mit der ich es selber zu tun hatte, und wiederum ganz und gar nicht als Vereinzelter. Ihr Ausgangspunkt ist gerade die Erkenntnis der vorigen: Man will sich nicht durch Haß und Leiden seelisch korrumpieren, man will gutartig, friedlich, freundlich, »nett« bleiben. Wie aber Haß und Leiden vermeiden, wenn täglich, täglich das auf einen einstürmt, was Haß und Leiden verursacht? Es geht nur mit Ignorieren, Wegsehen, Wachs in die Ohren tun, Sich - Abkapseln. Und es führt zur Verhärtung aus Weichheit und schließlich wieder zu
einer Form des Wahnsinns: zum Realitätsverlust.

Haffner, S. 140f., S. 209
Haffner benennt hier einen wichtigen psychologischen Vorgang, der häufig Anwendung findet: Der Normalitätsfehler. Das heißt, die mögliche Gefahr einfach zu rationalisieren.
Die regelmäßige übertriebene Panik verbreitete Berichterstattung der Medien über Themen wie das Jahr-2000-Problem, die Schweinegrippe, [der Terrorismus] und Ähnliches trägt dazu bei, weltweit den Normalitätsbias zu fördern. Experten aus entgegengesetzten politischen Lagern warnen vor Krisensituationen, die angeblich nur abzuwenden sind, wenn man die andere Partei wählt [und Kriege in anderen Ländern führt]. Wenn so oft "Wolf" geschrien wird wie in unserer hektischen Informationslandschaft, fällt es schwer herauszufinden, wann es sich um echte Alarmsignale und nicht um die übliche Beeinflussung handelt. Unser erster Instinkt ist zu ermitteln, wie sehr sich eine Situation tatsächlich von der Normalität unterscheidet, und erst dann zu reagieren, wenn diese eine Schwelle überschritten hat, nach der sie nicht mehr zu ignorieren ist. Aber dann ist es natürlich oft schon zu spät zum Handeln.

David McRaney, Ich denke, also irre ich, S. 86
Doch spielt auch unser normales Leben heutzutage eine Rolle, Dinge nicht mehr beim Namen zu nennen und hilflos wegzuschauen. Eine traurige Wahrheit, die scheinbar niemand mehr wahrhaben möchte und besonders was in den letzten Jahren weltweit geschah: Die Hysterisierung der Menschheit mit dem Resultat, dass uns Dinge weggenommen werden können, die uns so lieb sind: Unsere Freiheit, Freunde und eventuell unsere Liebsten.

Bewegen wir uns also nun auf einen neuen traurigen Holocaust zu? Die Zeichen deuten darauf hin, doch geben die momentanen Anti-Pegida-Demonstrationen innerhalb Deutschlands auch ein wenig Hoffnung, dass einige Menschen noch differenzieren können, oder es ist auch eine von Außen gesteuerte Gegenmaßnahme, um von den eigentlichen Problemen mal wieder abzulenken...
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die [Muslime] holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein [Moslem].
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

~ Martin Niemöller