Die Durchsuchung eines Moscheevereins am vergangenen Samstag in Bremen löst nachträglich Kritik aus: Einerseits schlagen die Ermittler angeblich zu spät zu, andererseits sollen sie dabei zu martialisch vorgehen.
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© Carmen Jaspersen/dpa
Bremen - SEK-Beamte sind selten zimperlich. Wenn sie eine Razzia machen, kommen sie gerne mit Rammböcken und Maschinenpistolen. Oft hinterlassen sie Schäden nicht nur am Mobiliar, sondern auch in den Köpfen von Unschuldigen, zum Beispiel von zufällig anwesenden Kindern. Am vergangenen Samstag traf ein solcher Einsatz den Moscheeverein „Islamisches Kulturzentrum Bremen“ (IKZ) - wegen Terrorverdachts. Die im IKZ vermuteten Kriegswaffen fanden sich zwar nicht, aber nach allem, was mittlerweile bekannt wurde, hatten die Ermittler nachvollziehbare Gründe für die Durchsuchung. Umstritten sind jedoch die Umstände des Einsatzes.

Eigentlich richtete sich die Razzia wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz nicht gegen den Verein an sich, sondern vor allem gegen ein Mitglied. Der 39-jährige Libanese soll sich im Herbst 60 MPs und zusätzlich Automatikpistolen beschafft haben. Angeblich verteilte er sie dann bis Mitte Dezember an Personen aus dem IKZ-Umfeld.


Kommentar: Wenn das angeblich so war, warum hat die Polizei da nicht eher eingegriffen und nur zugeschaut?


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© dpaMohammad Omar Habibzada: "Wir lehnen den Salafismus ab"
Diesen Verdacht kannten die Ermittler schon lange. Bereits am 10. Januar erwirkten sie einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Libanesen. Doch aus bisher unbekannten Gründen - vielleicht wollten sie noch weiter ermitteln? - warteten sie mit dem Zugriff bis vergangenen Samstag und durchkämmten dann auch gleich das IKZ, weil sie dort einen Teil der angeblichen Kriegswaffen vermuteten. Warum gerade am Samstag? Weil am Freitagabend ein neuer Hinweis eingegangen war: Vier Bewaffnete aus dem Ausland, vermutlich Franzosen, seien nach Bremen gereist und würden sich womöglich im IKZ mit zwei Waffenhändlern treffen.


Kommentar: Könnte es sein, dass auf einem eventuell fiktiven Moment gewartet wurde - weil zufällig ein paar Informationen kamen -, um die ganze Gemeinschaft zu terrorisieren?


Da klingelten bei den Behörden die Terror-Alarmglocken. Am Samstagmorgen stellte die Polizei die City deshalb unter Polizeischutz. Doch erst abends begannen die Durchsuchungen im IKZ und bei dem Libanesen. Gefunden wurde nichts - aber warum? Weil es gar keine Waffen gibt und die Ermittler vielleicht auf einen windigen V-Mann hereingefallen sind? Oder weil die Verdächtigen durch das Polizeiaufgebot gewarnt wurden, wie die CDU-Opposition vermutet?

Eine weitere kritische Frage: Warum befürchtete die Innenbehörde einen Anschlag ausgerechnet in der Hansestadt? Im Durchsuchungsbeschluss gegen den Libanesen wurde nur der Verdacht erwähnt, dass sich Bremer bewaffnen wollten, um ihren „Brüdern“ in Kobane beizustehen, also vermutlich den syrischen IS-Kämpfern. Es wären nicht die ersten, denn in den vergangenen Monaten waren bereits Anhänger eines anderen Bremer Moscheevereins in den Krieg gezogen. Dieser „Kultur- und Familienverein“, dem das IKZ wohl nicht radikal genug war und der sich deshalb 2007 von ihm abspaltete, ist mittlerweile von Innensenator Ulrich Mäurer verboten worden.

Die Fragen, die der jüngste Polizeieinsatz auslöste, dürften für SPD-Senator Mäurer etwas unangenehm sein, denn am 10. Mai wird in Bremen gewählt. Am Mittwoch tagten seine Leute stundenlang, um Antworten geben zu können. Am späten Nachmittag gaben Polizei und Staatsanwaltschaft dann eine gemeinsame Erklärung heraus. Demnach wollten die Ermittler am Freitagabend zunächst verdeckt nach den vier Angereisten fahnden und nicht sofort zuschlagen. Der Polizei war aber wichtig, parallel dazu am Samstag die City zu schützen. Der Aufschub der Razzia bis zum Samstagabend hing auch damit zusammen, dass nach Einschätzung der Behörden erst ein Durchsuchungsbeschluss nötig war. Denn im Laufe des Samstags habe sich die Gefahrenlage nicht weiter zugespitzt; daher wäre ein Zugriff wegen „Gefahr im Verzuge“ ohne Durchsuchungsbefehl nicht zulässig gewesen. Bis der Beschluss beantragt und bewilligt wurde, sei das IKZ aber ständig bewacht worden, so dass niemand unerkannt habe ein- oder ausgehen können, versichern die Behörden.

Durch die Razzia sieht sich der Verein zum wiederholten Mal an den Pranger gestellt. Seit seiner Gründung 2001 seien die Gemeinderäume schon viermal durchsucht worden, sagte der Vorsitzende Mohammad Omar Habibzada (37), als er in dem nüchternen IKZ-Gebäude am Rande einer Hochstraße eine Pressekonferenz abhielt. „Jedesmal wird etwas konstruiert, aber am Ende werden die Verfahren immer eingestellt.“ Der Diplom-Betriebswirt mit langem Vollbart hat inzwischen mit dem beschuldigten Libanesen gesprochen. Der will demnach nichts mit Waffen zu tun haben und wirft den Beamten vor, sie hätten seine Wohnung verwüstet, sogar Tapeten abgerissen und seine Kinder über ihn befragt, nachdem sie ihn abgeführt hätten.

Auch Habibzada klagt über das Vorgehen der SEK-Beamten: Sie seien kurz nach dem Abendgebet in die Räume gestürmt. Mit ihren Stiefeln und Spürhunden hätten sie die Moschee geschändet und entweiht. Die meisten Anwesenden - laut Polizei insgesamt 28 Männer sowie fünf Männer und Jugendliche - hätten mit gefesselten Händen und mit dem Kopf nach unten auf dem Boden liegen müssen, sogar über 70-Jährige.

Mehr als zwei Stunden soll es gedauert haben, bis der Letzte nach seiner Personalienfeststellung freigelassen wurde. Habibzada widersprach damit der Behördendarstellung, dass die Identifizierung nur eine Stunde gedauert habe. Einig sind sich beide Seiten darin, dass erst die später dazugestoßenen Zivilbeamten Überschuhe trugen, als sie mit der genaueren Durchsuchung des Objekts begannen.

Bei der Pressekonferenz im IKZ standen drei Türen wie Mahnmale an der Wand des Männergebetsraums - zwei von ihnen völlig zertrümmert, eine stark beschädigt. Laut Habibzada waren es insgesamt sieben Innentüren, die demoliert wurden. Dabei hätte der Hausmeister sie gerne aufgeschlossen - „aber der lag gefesselt auf dem Boden“. Habibzada: „Die Polizisten hatten Rammböcke dabei gehabt und wollten sie auch einsetzen.“ Außerdem hätten sie Schränke ausgeräumt und Kissen aufgeschlitzt. „Hier sah es chaotisch aus.“ Wegen der Durchsuchung seien die Gläubigen zudem am späteren Nachtgebet gehindert worden.

Ein bartloser Algerier in Trainingsjacke erzählte den Journalisten, das Spezialkommando sei „wie ein Wirbelsturm gekommen“. Seine Einschätzung: Wer ein Attentat verüben wolle, treffe sich bestimmt nicht zum Gebet in einer Moschee. „Wir haben nichts zu tun mit Terrorismus“, versicherte er.

Ein Vater mit Kind auf dem Schoß erzählte, der Dreijährige habe während des Einsatzes „die ganze Zeit geschrieen“; er selber habe zunächst nicht zu ihm gehen dürfen.

Gegen die Razzia hat der Verein inzwischen Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt. Die Durchsuchung basiere auf vagen Geheimdienstangaben, verletze die Religionsfreiheit und sei völlig unverhältnismäßig, argumentiert Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, bekannt geworden als einer der Verteidiger des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan.

Allen Vorwürfen zum Trotz findet Innensenator Mäurer, dass seine Polizei angesichts der Terrorgefahr „so rücksichtsvoll wie möglich“ vorgegangen sei.


Kommentar: Das sieht man an den Zeugenaussagen der Betroffenen, wie vorsichtig die Polizei war.


Was den Moscheeverein auch ärgert, ist seine Einstufung als salafistisch. Der Verfassungsschutz, der das IKZ seit Jahren beobachtet, habe den „Kampfbegriff Salafismus konstruiert und uns in diese Schublade gesteckt“, meint Habibzada. In Wirklichkeit träfen sich hier verschiedene religiöse Richtungen aus 21 Nationen zum gemeinsamen Gebet. Inzwischen „fühlen wir uns sozusagen als Unberührbare“.

Doch die Innenbehörde bekräftigt ihren Salafismus-Vorwurf: Das IKZ werde „finanziell und ideologisch stark aus Saudi Arabien unterstützt, um die dortige als extrem fundamentalistisch einzustufende wahabistisch-salafistisch ausgerichtete Staatsreligion nach Deutschland zu importieren“. Habibzada nennt das „eine ungeheuerliche Unterstellung“ und versichert den Bremern: „Sie brauchen vor uns keine Angst zu haben. Es geht keine Gefahr von uns aus, wir sind ganz normale Bürger.“