Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hat Deutschland vorgeworfen, mit zweifelhaften juristischen Tricks zu operieren, um sich seiner finanziellen Verantwortung für die Verbrechen während der Okkupation Griechenlands durch die Hitlerwehrmacht in den Jahren 1941 bis 1944 zu entziehen. Historiker Hagen Fleischer sieht die Forderungen als berechtigt an.

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Tsipras möchte nun das griechische Parlament mit der Angelegenheit befassen. Berlin jedoch steht auf dem Standpunkt, Deutschland habe alle Forderungen berichtigt.

Die Forderung nach einer Entschädigung für die Verbrechen der Hitlerfaschisten während des Zweiten Weltkriegs heizt die Spannungen zwischen Berlin und Athen noch einmal zusätzlich an. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern haben stark gelitten, seit die im Januar gewählte, von der linksgerichteten Syriza geführte Regierung in Athen eine Neuverhandlung der Bedingungen für das Rettungspaket im Umfang von 240 Mrd. Euro (260 Mrd. US-Dollar) zu fordern begann. Vor allem Deutschland zeigt sich angesichts dieser Forderung wenig kompromissbereit.

Die neue griechische Regierung sieht das von der EU-Troika geschaffene Entschuldungsprogramm, um das Land in der Eurozone halten zu können, als Spardiktat, welches es ausbluten lasse und jede Chance auf Wachstum zunichte mache. Man will deshalb ein Brückenabkommen, das der griechischen Regierung Reformen ermöglicht, die das Land wieder zurück auf den Weg des Wachstums bringen und ihm so künftig die Rückzahlung der Schulden ermöglichen würde.


Die offenen Reparationsforderungen gegen Deutschland auf Grund des Wütens des Hitlerfaschismus in der Zeit von 1941 bis 1944, betrachtet Athen auch als mögliche Sicherheit im Rahmen eines neuen Entschuldungsprogramms.

Der Historiker Hagen Fleischer hat die griechischen Forderungen vor kurzem in einem Interview mit der „Tagesschau“ als berechtigt bezeichnet.

Am 6. April 1941 hatten die Hitlerfaschisten Griechenland angegriffen und innerhalb weniger Monate vollständig besetzt. Neben Unterdrückung, Zerstörung, blutigen Massakern, Hunger und Infektionskrankheiten, die bis zu 600 000 Griechen das Leben kosteten, brachte die Besetzung auch wirtschaftliche Plünderung mit sich.

Die Nazis forderten Griechenland zum einen Besatzungskosten ab, darüber hinaus aber auch noch zusätzliche Beträge für ihre Kriegsführung im östlichen Mittelmeerraum, die von der griechischen Nationalbank requiriert wurden. Vor allem diese Zwangskredite sind es, welche die griechische Regierung heute Deutschland in Rechnung stellen möchte.

Im Übrigen wären diese Forderungen auch leicht zu beziffern. Die Nazis hätten die Verbindlichkeiten auf Grund der Zwangskredite in einem Dokument „für den inneren Gebrauch“ bereits selbst beziffert. Diese Zwangskredite beliefen sich auf eine Gesamtsumme von 476 Mio. Reichsmark, was heute etwa 12 Mrd. US-Dollar entsprechen würde. Sie wurden nie zurückbezahlt. Auch für die übrigen Schäden, die seitens der faschistischen Okkupanten in Griechenland verursacht worden waren, wurde bis heute keine Kompensation geleistet.
Deutschland hat nie wirkliche Reparationen bezahlt für den Schaden, der Griechenland durch die Nazi-Okkupation erwuchs“, äußerte Premierminister Tsipras am Dienstag vor dem Parlament. „Diese Verbrechen, die die Nazis verübt hatten, hinterlassen immer noch Spuren und wir haben die moralische Verpflichtung, uns daran zu erinnern, was diese Macht unserem Land angetan hat.“

Deutschland hingegen betrachtet den „Zwei-plus-vier“-Vertrag, den die beiden deutschen Teilstaaten BRD und DDR vor ihrer Wiedervereinigung 1990 mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich, als Schlussstrich unter allfällige Forderungen auf Grund der Verbrechen des Hitlerfaschismus. Der Vertrag ersetzte nach Auffassung Berlins einen offiziellen Friedensvertrag, in dem auch weitere Länder, die von der Aggressionspolitik Hitlers betroffen waren, Reparationen hätten verlangen können.

Deutschland habe, so heißt es aus Berlin, in den 1950er 25 Millionen US-Dollar für die Beseitigung von Kriegsschäden und in den 1960er Jahren etwa 115 Mio. Deutsche Mark (heute etwa 230 Mio. US-Dollar) an Naziopfer und ihre Angehörigen bezahlt. Griechenland betrachtet dies allerdings nur als Anzahlung und ging davon aus, dass nach der Wiedervereinigung der Rest der noch offenen Forderungen beglichen würde.