Für alle Menschen im Osten der ehemaligen Ukraine ist der Krieg, der seit rund 1 Jahr auf den Straßen von Donbass Hand in Hand mit dem Tod spazieren geht, zum Alltag geworden. Wer das Glück hatte, bis heute das Massaker zu überleben, stellt sich immer wieder die gleiche Frage: Wer wird eigentlich die Verantwortung dafür übernehmen? Für all die zerstörten Leben, Seelen, Familien und Städte von Donbass.
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So auch dieser Vater, der im Zuge dieses gnadenlosen Genozides nicht nur jegliche Hoffnung auf den Frieden und die Gerechtigkeit verloren hat. Sondern auch seinen Sohn, der im Alter von nur 4 Jahren direkt vor seinen Augen getötet wurde:
“Meinen Sohn, der gerade in der Leichenhalle liegt, habe ich mit eigenen Händen aus dem Schutt herausgeholt. Er ist erstickt. Meine Frau musste operiert werden. Ihr wurde das rechte Bein amputiert, etwas über dem Knie. Die Frau ist 29 Jahre alt! Mein Kind, das in der Leichenhalle ist, ist 4 Jahre alt und wird heute beerdigt. Und meinem Sohn Mischa wurde die Nase zerfetzt. Aber die Ärzte haben ihn gerettet. Sie haben ihm einen Splitter aus dem Kopf entfernt und einen aus dem Bein. Jetzt muss der Kleine liegen und qualvolle Schmerzen erleiden. Mich würde interessieren: Wer wird dafür die Verantwortung tragen? WER wird dafür die Verantwortung tragen????”
PERWOMAJSK: 10 MONATE. 120 MENSCHEN. 1 BUNKERLEBEN.

Trotz angeblicher Friedensgespräche und schriftlicher Vereinbarungen, die am 15. Februar in Minsk offiziell getroffen wurden, kennt das Land der wahren Helden bis dato keinen Waffenstillstand. Und wenn plötzlich doch ganz still um sie herum wird, dann rechnen die Donbass Bewohner nicht mit dem Ende der Beschüsse ihrer Wohngebiete, sondern mit dem nächsten Artillerieschlages seitens skrupelloser Kiewer Regierung und faschistischer Nazi-Bataillone.

Bis heute müssen tausende Donbass Bewohner ihr Leben in den Kellern und Luftschutzbunkern verbringen. In der Hoffnung, dass der Tod an ihnen und ihren Liebsten vorbei geht. So auch in Perwomajsk, Volksrepublik Lugansk.

Bereits seit dem Sommer 2014 haben mindestens 120 Bewohner von Perwomajsk kaum Tageslicht zu Gesicht bekommen. Denn seitdem ihre eigene Regierung beschossen hatte, sie und ihre Familien mit Waffen und Gewalt vor dem Frieden und ihren eigenen Vätern, Brüdern und Söhnen “beschützen” zu wollen, wurde der Bunker zu ihrem Zuhause. Und für 12 Kinder zwischen 2 und 15 Jahren sogar auch zur Schule, zum Kindergarten und zum Spielplatz...


Hier kichern die Mädels nicht über die “komische” Frisur ihrer neuen Schulfreundin. Hier träumen die Jungs nicht von Hightech-Turnschuhen aus der TV-Werbung. Hier führen selbst die Kleinsten schon Erwachsenengespräche. Denn hier läuft die Kindheit “etwas” anders ab.

In diesem Bunker von Perwomajsk lebt seit 8 Monaten u.a. auch eine 7 köpfige Familie. Die 5 Geschwister haben in dieser Zeit gelernt, was es heißt, zusammenzuhalten und jeden Moment ihres Lebens hier füreinander da zu sein. Auf ihren Kinderzeichnungen fehlen die fröhliche Männchen, die kleinen süßen Katzen oder Hunde. Sie malen Panzer, Bomben. Sie zeichnen Krieg. Denn er ist hier jede Sekunde allgegenwärtig.

Der 10jährige Bogdan ist zu einem wahren Kriegsexperten geworden. Er kann mit bloßem Ohr erkennen, um welches Geschoss es sich handelt, das in der Nähe einschlägt und/oder über ihn fliegt:
“Am Anfang hört man den Schuss, dann sofort die Explosion. Die Explosion hört sich stärker an. Und dann hört man eine Weile, wie etwas zusammenbricht. Aber die Explosion ist kürzer. Und man hört auch das Pfeifen... Wir haben damals alle zusammen auf einer Bank gesessen. Und plötzlich explodierte es... Über der Oma flogen Splitter... Dann sind wir schnell hierher. Wir hatten Angst, dass wir es nicht schaffen. Das war schrecklich. Wir hatten große Angst”.
Der kleine Bogdan war in den letzten 8 Monaten Bunkerleben nur 10 Mal an der Oberfläche. Und seitdem seine Freunde ums Leben gekommen sind, will er gar nicht mehr raus.
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In seinen jungen Jahren interessiert es sich schon für Politik. Er hört sich täglich Nachrichten aus Kiew im Radio an und zieht daraus eigene Schlüsse. Denn er glaubt den Medien in der Ukraine nicht mehr. Und dafür hat er gute Gründe:
“Wegen diesem Krieg bin ich ohne meine Schulkameraden geblieben, ohne meine Freunde. Viele Klassenkameraden sind getötet worden. Viele haben keine Eltern mehr. Einige, die Eltern verloren haben, hat man in die Kinderheime abgeben. Und Einige sind für immer nach Russland gefahren. Bald wird man hier verrückt. Wir haben fast nichts mehr zu essen. Gestern gab’s sogar gar nichts... Es gibt nur 1 Mal am Tag etwas zu essen. Das war’s...”.
Auch zum Thema “Anti-Terror-Operation” in Donbass hat der 10jährige eine eigene Meinung:
“Die machen dort gar nichts. Die schicken nur die Menschen in den Tod. Wie kann es sein, dass Bruder auf Bruder losgeht? Ein Bruder zum Beispiel ist hier und ist zum Widerstand gegangen, der andere - in die Nationalgarde. Und dann treffen sie sich im Kampf. Und jetzt? Was soll man da machen? Sich gegenseitig zu töten???”
Der Älteste von den Kindern in diesem Bunker ist Igor. Er ist 15. Seit der s.g. “Waffenruhe”, die in Donbass (theoretisch) ab dem 15. Februar gilt, war er nur 4 Mal draußen. Wenn tagsüber da oben etwas ruhig ist, hilft er seinen Eltern, ihr durch den Artilleriebeschuss der ukrainischen Armee zerstörtes Haus wieder aufzubauen. Und am Abend geht er wieder zurück in den Bunker. Der 10klässler macht sich Sorgen, dass er bereits seit einem halben Jahr keine Schule mehr besucht hat:
“Wenn ich keinen Abschluss bekomme, werde ich doch keine Chance auf einen Job haben. Vor allem in meinem Beruf. Ich will in die IT-Branche oder ähnliches. Das Einzige, was mir aber bleibt, ist der schlechteste Beruf, den man sich vorstellen kann. Wenn ich aber einen Abschluss hätte, könnte ich studieren und danach eine guten Job haben und etwas aus dem Leben machen.”
Die Jüngste der Bunker-Kinder ist die kleine Sonja. Sie hat schon die Hälfte ihres Lebens unter der Erde verbracht. Die Mama von Sonja erzählt, dass ihr kleiner Sonnenschein hier schon vieles gelernt, aber auch vergessen hat. Zum Beispiel das Sprechen:
“Hier hat sie gelernt, selber zu essen, da wir nicht geschafft haben, es zu Hause zu lernen... Sie begann schon mit 13 Monaten zu sprechen. Aber seitdem sie sich erschrocken hat, spricht sie nicht mehr. Die Straße sieht sie auch nicht mehr, da dort gebombt wird. Sie hat Angst...”
Ihren 2. Geburtstag hat die Sonja auch im Bunker feiern müssen. Da man hier versprochen hatte, dass es zum Geburtstag der Kleinen für alle etwas ganz Besonderes zu essen geben wird, freuten sich v.a. die Kinder besonders darüber. Denn sie haben schon seit 6 Monaten nichts anderes als Graupen gesehen und gegessen:
“Man hat uns gesagt, dass es noch 4 freilaufende Hühner in der Nähe gibt. Die wollte man schlachten und uns geben. Vielleicht als Hühnersuppe”, sagt ein anderes Mädchen.
Ohne die Unterstützung des Widerstandes sowie humanitäre Hilfe aus Russland wären auch diese 120 Menschen womöglich nicht mehr am Leben.

Unter alldiesen Umständen hat die kleine Sabrina, die seit Sommer 2014 allein mit ihrer Tante hier ist, das Lachen und Lächeln gänzlich verlernt. Ihre Eltern sind mit ihrem kleinen Bruder in der Stadt geblieben, da sie arbeiten müssen/wollen. Aus ihrer Sicht gibt es für sie auch keinen wirklichen Grund zum Lachen und Toben mehr:
“Hier gibt’s nichts zu lachen. Hier ist sehr langweilig. Wir können hier nichts machen. Ich habe Heimweh. Und ich vermisse meinen kleinen Bruder. Und meine Mama, und meinen Papa...”.
Sogar in den heutigen “Friedenszeiten” haben die Menschen in Perwomajsk Angst, diesen Bunker zu verlassen. Denn auch 10 Meter unter der Erde ist der Krieg nicht zu überhören.


OXANA (12) AUS DONEZK: “TÖTET UNS NICHT! GEBT UNS UNSERE KINDHEIT ZURÜCK!”

Am 12. Januar hörte auch die kleine Oxana aus Donezk auf, zu sprechen. Denn an diesem Tag beschoss die ukrainische Armee, auf Befehl von Poroschenko persönlich, ihren Heimatort Makeewka, in der Volksrepublik Donezk. Dabei wurde ihr Haus von einem Geschoss getroffen. Das Mädchen musste zusehen, wie ihr Vater starb. Sie selbst hätte beinahe ihre Beine verloren.

Da sie in Donezk - ohne Medikamente und die nötige ärztliche Hilfe - kaum Heilungschancen gehabt hätte, wird Oxana heute in Moskau behandelt. Die Ärzte tun alles, um ihr bald das Laufen wieder zu ermöglichen. Seitdem befindet sich die Kleine im gleichen Krankenhaus, wie der kleine Wanja, der am 2. Januar, direkt vor seiner Haustür, 2 Beine, 1 Hand und die Sehkraft verloren hatte.

Um ihren Schmerz und den Verlust ihres Vaters zu verarbeiten, wird Oxana im Moskauer Krankenhaus auch psychologisch betreut. Und auch wenn sie kaum mehr sprechen mag, macht Oxana laut ihren Psychologen gute Vorschritte. Nun hat sie auch einen Brief geschrieben - an alle, die die Welt heute regieren - und hofft, ganz bald gehört zu werden:
“Tötet uns nicht! Gebt uns unsere Kindheit zurück! Die Kinder sollen keinen Verlustschmerz erfahren! Sie sollen nicht wissen, wie Geschosse wehtun! Stoppt diesen Krieg! Ich will nach Hause”!
Dieser Brief von Oxana wurde in Moskau zum Anlass genommen, eine humanitäre Aktion ins Leben zu rufen. Unter dem Motto “Kinder haben nichts mit Politik zu tun”. Der Erlös soll in die Heilung der Kinder fließen, die im Zuge des Bürgerkrieges in Donbass verletzt wurden. Danke, Russland, dass es dich für Donbass gibt.


Hallo, Welt! Wir hoffen, dass dich die Stimmen all dieser Kinder heute noch erreichen. Damit der Genozid in Donbass endlich ein Ende hat.