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© Beck Diefenbach/ReutersDie USA müssten jährlich 125 Milliarden in Strassen und Brücken investieren: Reparierte Schlaglöcher in Kalifornien (Archiv).
Das Zugunglück in Philadelphia zeigt: Die US-Infrastruktur ist in einem katastrophalen Zustand. Brücken, Strassen, Gleise verrotten, es fehlt jedoch an Geld.

Am Dienstagabend entgleiste ein Zug auf der Strecke zwischen Washington und New York nahe Philadelphia, wobei mindestens sieben Menschen starben und rund 200 verletzt wurden. Gestern ergaben Ermittlungen, dass der Zug in einer Kurve doppelt so schnell wie erlaubt gefahren war. Zunächst war der Verdacht auf den Zustand der Gleis- und Signalanlagen gefallen: Seit Jahren monieren Mitarbeiter der staatlichen Bahnlinie Amtrak fehlende Mittel und veraltete Gleisanlagen. Tatsächlich verfügte der Streckenabschnitt an der Unglücksstelle nicht über ein Sicherheitssystem, das die Geschwindigkeit des Zuges automatisch reduziert hätte.

Nur einen Tag nach dem Unfall aber beschloss die republikanische Mehrheit im Bewilligungsausschuss des Washingtoner Repräsentantenhauses, das Budget von Amtrak um 251 Millionen Dollar zu kürzen. «Die gestrige Tragödie in Philadelphia sollte ein Weckruf sein - wir müssen genügend Geld für Amtraks kritische Infrastruktur-Projekte bereitstellen, um ein sicheres Verkehrssystem zu gewährleisten», kritisierte der demokratische Abgeordnete David Price den Beschluss des Ausschusses.

Überraschend war die Kürzung nicht: Die amerikanische Infrastruktur ist insgesamt notleidend, der Geldmangel bei der Bahn kein Einzelfall. «Das Land ist ein einziges grosses Schlagloch», klagte Barack Obamas früherer Verkehrsminister Ray LaHood kürzlich in einem Interview. Ob Strassen oder Brücken, ob Kanalisation oder öffentliche Verkehrsmittel: An allen Ende und Ecken fehlen die Mittel zur Instandhaltung, neue Bauvorhaben sind kaum noch finanzierbar. Nur 1.7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts geben die USA für Infrastruktur aus, fünf Prozent sind es in Europa und sogar neun in China.

Weniger Benzin, weniger Geld

Schon befürchtet die amerikanische Handelskammer in Washington, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft deshalb leiden werde. «Wir können unsere Infrastruktur nicht weiter verfallen lassen», warnte die Kammer unlängst. Auch der Präsident hat sich zu Wort gemeldet: Wenn China etwas bauen wolle, «dann wird es gebaut». In den USA hingegen herrsche Stillstand. Auf Dauer werde dadurch die amerikanische Wettbewerbsfähigkeit ausgehöhlt, so Barack Obama im Dezember.

Die Ausgaben für die Infrastruktur werden vor allem durch Steuern auf Benzin finanziert, doch ist das Steueraufkommen geringer geworden, weil die Autos weniger Benzin brauchen und die Amerikaner weniger fahren. Die Hauptverantwortung für die Finanzierung von Instandhaltung und neuen Bauprojekten liegt beim Kongress. Dort aber ist seit Jahren keine Einigung über eine dauerhafte Finanzierungsbasis erzielt worden. Stattdessen wurstelt sich das Parlament durch. Falls sich Demokraten und Republikaner bis Ende Mai nicht auf eine neue Finanzierung einigen, droht dem Infrastruktur-Etat der Nation sogar der Kollaps.

Brückenpfeiler verrotten

Unterdessen beziffert die Vereinigung amerikanischer Bauingenieure den Fehlbetrag zur Instandhaltung von Strassen und Brücken auf jährlich 125 Milliarden Dollar. 2014 berichtete das Washingtoner Verkehrsministerium, 61'365 Brücken seien strukturell gefährdet. Veraltete Dämme, verrottende Fahrbahndecken, erneuerungsbedürftige Gleisanlagen: Schon jetzt würde eine Runderneuerung der maroden US-Infrastruktur Billionen Dollar verschlingen. Verlangt wird sie gleichermassen von den Gewerkschaften wie von der Wirtschaft, von Bürgern wie Bürgermeistern.

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© ReutersDa muss man halt selber Hand anlegen: Bill de Blasio füllt ein Schlagloch in New York. (20. Februar 2014)
So meldeten sich gestern Bill de Blasio, der demokratische Bürgermeister New Yorks, und Mick Cornett, republikanischer Bürgermeister von Oklahoma City, in einem gemeinsamen Beitrag in der New York Times zu Wort und verlangten endlich mehr Gelder aus Washington. New Yorker Brücken seien dringend reparaturbedürftig, U-Bahnen und Züge überfüllt und nicht verlässlich, schrieb de Blasio. Seinem Kollegen aus Oklahoma zu Folge rief die zuständige Behörde in der vergangenen Woche den Notstand aus, weil über die Hälfte der Pfeiler einer wichtigen Autobahnbrücke in Oklahoma City schwere Schäden aufwiesen. «Wir rufen beide Parteien auf, sich zu einigen, damit unsere Städte nicht Opfer eines Verkehrskollaps werden», plädierten die beiden Bürgermeister.