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© DPAPolizei vor Flüchtlingsunterkunft in Heidenau (Archiv): Es bleibt nicht mehr bei Parolen

Kommentar: Wie unsere treuen Leser bestimmt wissen, sind wir selten mit Spiegel und Co einer Meinung und beobachten die Aktivitäten der Mainstream-Medien mit einer gehörigen Portion Skepsis. Doch diesem Artikel ist im Grunde nichts hinzuzufügen, denn er spricht für sich selbst eine mehr als deutliche Sprache.



Deutschland erlebt eine Welle der politisch motivierten Gewalt. Flüchtlinge werden überfallen, ehrenamtliche Helfer angegriffen, Polizisten, Politiker und Journalisten attackiert. Ein Überblick.


Die Flüchtlingskrise verändert Deutschland. "Die enthemmte Republik", betitelte der SPIEGEL kürzlich einen Bericht über die Lage im Land: Der Hass ist zurück. Aber es bleibt inzwischen nicht mehr bei Parolen und Plakaten - auch wenn es schon gruselig genug ist, Politiker mit einem Galgen abzubilden oder ihnen zu drohen.

Attacken auf noch unbewohnte Flüchtlingsheime oder geplante Unterkünfte gibt es seit Monaten, aber nun werden immer häufiger auch Menschen angegriffen. Sicherheitsbehörden sehen eine neue Qualität der Gewalt. Beim Bundeskriminalamt (BKA) will man inzwischen nicht mehr ausschließen, dass es künftig auch Todesopfer geben könnte.


Alleine in den vergangenen Tagen gab es mehrere Übergriffe auf Flüchtlinge, aber auch Helfer, Journalisten und Polizisten werden inzwischen gezielt attackiert. Und es ist erst wenige Wochen her, dass die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Wahlkampf schwer verletzt wurde - der Täter hatte einen rechtsextremen Hintergrund.

Droht gar ein Rückfall in Zeiten, als gewalttätige politische Auseinandersetzungen alltäglich waren, wie in der Weimarer Republik?

So weit ist es sicher längst noch nicht. Aber das Maß an Aggressivität ist dennoch besorgniserregend.

Um dieses Phänomen zu dokumentieren, listet SPIEGEL ONLINE besonders brutale - und mutmaßlich politisch motivierte - Angriffe auf Menschen auf, die sich seit Anfang Oktober ereignet haben.

Gewalt gegen Flüchtlinge

Allein in den vergangenen Tagen wurden zahlreiche Flüchtlinge von Angreifern zum Teil krankenhausreif geschlagen.
  • In Wismar wurden zwei Syrer attackiert, die vor einer Notunterkunft standen. Die Täter waren zum Teil mit Baseballschlägern bewaffnet und vermummt.
  • In Magdeburg überfielen Dutzende Rechtsextremisten syrische Flüchtlinge und verprügelten sie mit Baseballschlägern. "Der Angriff war darauf angelegt, Menschen aufs Schwerste zu verletzen oder zu töten", sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel. Bereits seit Tagen, so Striegel, würden in Magdeburg Aufrufe zur Selbst- und Lynchjustiz sowie zur Gründung einer Bürgerwehr kursieren.
  • In Pirna bei Dresden attackierte am vergangenen Freitag eine Gruppe von etwa 25 Menschen zwei junge Männer aus Marokko und Libyen. Beide wurden verletzt.
  • Ebenfalls am 30. Oktober wurde ein Syrer in Hannover angegriffen. Der 23-Jährige wurde zunächst aus einem Auto heraus angepöbelt. Kurz darauf stiegen fünf Männer aus, drückten ihn an eine Mauer, und einer schlug zu. Die Täter flüchteten unerkannt.
  • Bei einem Anschlag auf eine Wohnung von Flüchtlingen wurde inFreital bei Dresden ein Mann leicht verletzt. Der 26-jährige Syrer erlitt Schnittwunden an der Stirn, als vor seinem Schlafzimmerfenster eine Sprengladung explodierte. Ein rechtsextremistischer Hintergrund sei "sehr wahrscheinlich", so die Polizei.
  • Auf die Unterkunft einer dreiköpfigen Flüchtlingsfamilie in Sehnde bei Hannover wurde in der Nacht zum Sonntag ein Brandanschlag verübt. Ein 43-jähriger Mann wurde festgenommen - er hat die Brandstiftung inzwischen eingeräumt. Mit Hilfe der Bewohner konnten Passanten das Feuer noch vor Eintreffen der Rettungskräfte löschen. Verletzt wurde niemand.
  • Nicht nur Asylbewerber werden angegriffen, auch Menschen, die seit Langem in Deutschland leben, werden Opfer von Gewalt. Vor zehn Tagen griffen in Dortmund sechs Rechtsextremisten vier junge Männer mit Migrationshintergrund mit Flaschen und Baseballschlägern an.
  • Anfang Oktober jagten vier Männer einen 19-jährigen Afghanen durchKrölpa bei Saalfeld und bewarfen ihn mit Bierflaschen. Der junge Mann hatte zuvor um eine Mitfahrgelegenheit gebeten. Die Polizei ermittelt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung.
  • In der vorletzten Woche verhinderte die Polizei im fränkischenBamberg durch eine Razzia bei Rechtsextremen nach Angaben der Polizei womöglich in letzter Minute einen Anschlag. Unter den beschlagnahmten Sprengsätzen befanden sich auch sogenannte Kugelbomben. Beim Einsatz der Sprengkörper hätten laut Polizei "Schwerstverletzte und Tote" gedroht. Die verdächtigen Rechtsextremen sollen Verbindungen zu Ablegern der Pegida und zu der rechtsextremen Partei Die Rechte gehabt haben.
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© DPAWaffenfund in Bamberg: Polizei befürchtete "Schwerstverletzte und Tote"
Attacken gegen Helfer
  • Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren, geraten ebenfalls zunehmend ins Visier von Fremdenfeinden - davor warnt auch das BKA.
  • Und das Technische Hilfswerk THW berichtet bereits über Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen Mitarbeiter. Ende September wurden Ehrenamtliche der Organisation im sächsischen Niederau von Rechtsextremen attackiert, als sie mit den THW-Fahrzeugen den Parkplatz vor einer künftigen Flüchtlingsunterkunft verlassen wollten. Die Helfer hatten dort beim Aufbau von Feldbetten geholfen. Bei der Abfahrt bewarfen Fremdenfeinde die Fahrzeuge mit Flaschen und beschimpften die Helfer.
Angriffe auf Journalisten
  • Am vergangenen Freitag wurde in Berlin-Charlottenburg der Tagesspiegel-Redakteur Helmut Schümann von einem Unbekannten von hinten attackiert - mit den Worten: "Du bist doch der Schümann vom 'agesspiegel, du linke Drecksau". Schümann stürzte und verletzte sich; er erstattete Anzeige wegen Körperverletzung. Am Freitag hatte die Zeitung auf der Titelseite die Kolumne Schümanns mit dem Titel "Ist das noch unser Land?" veröffentlicht. Darin schrieb Schümann an gegen "die Immigrationsgegner, die Seehofers und AfDlers, die Pegidas und besorgten Bürger".
  • Dass Journalisten bedrängt und angegriffen werden, ist zum Beispiel auf Kundgebungen der fremdenfeindlichen Pediga längst erschreckende Normalität. Nur ein Beispiel: Videoblogger Jaafar Abdul Karim wollte in Dresden Pegida-Anhänger interviewen - und wurde angeschrien und angegriffen.
  • Aber auch Anhänger der AfD üben Gewalt aus. SPIEGEL-Redakteur Markus Deggerich wurde auf einer AfD-Demonstration in Erfurt von Teilnehmern bespuckt, geschubst und beschimpft.
  • Erst am Montag wurde auf einer NPD-Demo in Berlin ein Videoteam der Welt angriffen.
Attacken auf Polizisten:
  • Polizisten werden bei Demonstrationen immer wieder von Rechtsextremen attackiert - aktuell müssen Beamte häufig Asylbewerber vor Rechtsextremen schützen. Im sächsischen Meeraneversuchten am vergangenen Wochenende etwa 80 Demonstranten, den Weitertransport von Bussen mit 700 Flüchtlingen zu blockieren. Als Beamte die Blockade auflösen wollten, seien sie angegriffen und mit Böllern beworfen worden, teilte die Polizei mit, mehrere Beamte wurden demnach verletzt.
  • Ein ähnlicher Fall ereignete sich in der vergangenen Woche im sächsischen Freiberg: Mit einem Großeinsatz mussten rund 200 Polizisten die Ankunft eines Sonderzugs aus Passau mit mehr als 700 Flüchtlingen absichern. In Freiberg sollten die Migranten in Busse umsteigen und zu Unterkünften nach Dresden und Leipzig weiterreisen. Etwa 400 Demonstranten hatten mit Sitzblockaden versucht, dies zu verhindern, und bewarfen Fahrzeuge mit Lebensmitteln. Drei Polizisten wurden bei den Krawallen leicht verletzt.