Das französische Politestablishment macht sich an die Aufräumarbeit: wenn es nach Präsident Hollande geht, soll demnächst das Internet so weit wie möglich von der Bedrohung durch die wilden Verschwörungstheorien gesäubert werden. Dass die dortige Ausübung von unkontrollierter Meinungsvielfalt und ungeregelter freie Meinungsäußerung in Form der verschiedensten Wirklichkeitsdeutungen Politikern aller Coleur ein Dorn im Auge ist, ist ja nichts Neues. Neu ist, dass nun auf Worte Taten folgen sollen.


zensur
Ebenfalls neu ist die Aggressivität, mit der nun völlig undifferenziert und pauschal jede tatsächliche und angebliche Verschwörungstheorie mit Nazipropaganda gleichgesetzt und als “die” neue Bedrohung für Gesellschaft und Gemeinwesen in Stellung gebracht wird, um Druck für Gegenmaßnahmen zu schaffen. Dabei wird ausgerechnet die Verhinderung von Faschismus und Nationalsozialismus als Vorwand missbraucht, um die Einebnung der Meinungsvielfalt in Gesetze zu gießen.

Bislang geschah die Gleichsetzung von Verschwörungstheorien mit rechten Umtrieben aller Art eher suggestiv und indirekt. Ein Beispiel unter vielen dafür war die Scheindebatte um das in der Bevölkerung immer weiter verbreitete Wort “Lügenpresse” und seiner Ernennung zum Unwort des Jahres. Die Verwendung des Begriffs ist zwar tatsächlich aus mehreren Gründen fragwürdig, doch das ist eine andere Diskussion als diejenige um die flächendeckende Manipulation und Meinungsmache in den etablierten Massenmedien. Der Medienzirkus um den Begriff hat hier die Ebenen (bewusst?) durcheinandergeworfen und war vielleicht das Startsignal für eine härtere Gangart gegen abweichende freie Meinungsäußerung. Er führte dazu, dass nur noch darüber geredet wurde (und wird), wie rechts und antisemitisch diejenigen sind, die das Wort benutzen, während das ursprüngliche Thema - die Lügen der Presse - weitgehend unter den Tisch fiel.

Wenn diese Entwicklung sich fortschreibt, wird man über kurz oder lang vermutlich auch “all die anderen Verschwörungstheoretiker” nur noch in einem Atemzug mit Faschisten oder Neonazis nennen - während Inhalt und Thema der Theorien völlig nebensächlich werden. Dass es in vielen alternativen Auslegungen von Weltgeschehen, Geschichte, usw. “rechte Auswüchse” jeglicher Art gibt, ist natürlich trotz allem nicht von der Hand zu weisen. Doch das kann nicht das Totschlagargument gegen jede Form von “exotischen” Meinungen und Ansichten sein.


Kommentar: Das ist eine altbekannte Taktik, wenn es keine faktenbasierten Argumente mehr gibt: Ad hominem-Attacken, um Personen zu diskreditieren, lächerlich zu machen oder als Bedrohung hinzustellen - denn der, der die Wahrheit sagt, ist für manche Kreise schließlich sehr gefährlich: schließlich können gewisse Pläne nur verwirklicht werden, wenn man die Wahrheit unterdrückt.


Doch genau für diese Umwandlung zum Totschlagargument benutzt Präsident Hollande die tatsächlich vorhandenen rechten Umtriebe, indem er sie zum Kernbestandteil aller Verschwörungstheorien und zu einer umfassenden Angstkulisse aufbläst. Im folgenden seine Begründung, die er bei der Einweihung eines Shoa-Denkmals in Anwesenheit diverser anderer hochrangiger Politiker zum Besten gab:
“[Der Antisemitismus] unterhält die Verschwörungstheorien, die sich ohne Begrenzung ausbreiten. Verschwörungstheorien, die in der Vergangenheit schon zum Schlimmsten geführt haben, “(...) “[Die] Antwort ist, der Sache bewusst zu werden, dass die komplotistischen Thesen sich über das Internet und soziale Netzwerke verbreiten. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Vernichtung zuerst durch das Wort vorbereitet wurde. Wir müssen auf europäischer und sogar internationaler Ebene handeln, damit ein rechtlicher Rahmen definiert werden kann, und die Internet-Plattformen, welche die sozialen Netzwerke verwalten, zur Verantwortung gezogen werden, und dass, im Falle einer Verletzung, Sanktionen verhängt werden”
Ist das nicht selbst eine Verschwörungstheorie par excellence? Es gibt laut Hollande offenbar eine antisemitische Weltverschwörung, die das Internet infiltriert, um letztendlich einen neuerlichen Holocaust vorzubereiten. Das klingt, nun ja, etwas verwegen, doch damit geht er ja durchaus konform mit einer gesellschaftlich weit verbreiteten Meinung, die hinter jeder Verschwörungstheorie einen neuerlichen Holocaust als eigentliches Ziel wittert. Die anwesenden Minister pflichteten dem Präsidenten jedenfalls eifrig bei, indem sie die Verschwörungstheorien als “Keime des Hasses und des Zerfalls der Gesellschaft” bezeichneten.


Wenn es ihm nutzt, scheint Hollande auch sonst gern selbst zum Anhänger von Verschwörungstheorien zu werden: so setzte er bereits in seinem Wahlkampf von 2012 die Geschichte von der Inszenierung eines europaweiten Komplotts der Konservativen gegen seine Wahl zum Präsidenten in die Welt, als er von Kanzlerin Merkel entgegen üblicher Gepflogenheiten nicht im Kanzleramt empfangen wurde. Zwar ist es tatsächlich durchaus möglich, dass die damaligen konservativen Staatschefs entsprechende Absprachen getroffen haben, doch wenn man ansonsten jegliche Existenz von inoffiziellen Vereinbarungen oder Hinterzimmerabsprachen strikt negiert und Diejenigen, die sie für möglich oder wahrscheinlich halten, pauschal als rechtsradikal und antisemitisch bezeichnet, wirkt man mit solcher Wankelmütigkeit eher unglaubwürdig.

Doch Glaubwürdigkeitsprobleme sind bei den nun geplanten Maßnahmen gegen sämtliche Verschwörungsumtriebe sicher kein Hindernis. Der französische Journalist und Analytiker Thierry Meyssan fasst die Vorhaben, die unter einem rechtlichen Rahmen a la “Patriot Act” geplant sind, in seinem Dossier folgendermaßen zusammen:
“Letztlich hatte die Regierung der Vereinigten Staaten beschlossen, Einzelpersonen zu finanzieren, sowohl im Inland als auch im Ausland, um die Foren der ’Verschwörung’ Websites zu stören und um Gruppen zu erstellen, die ihnen Widerspruch brachten. Da dies nicht genügte, wird Frankreich autoritäre Maßnahmen ergreifen. Wie in der Vergangenheit haben sich die französischen Eliten, deren angeblicher linker Flügel die Sozialistische Partei bildet, unter das Kommando der wichtigsten Militärmacht der Zeit gestellt, in diesem Fall der Vereinigten Staaten. Für die Umsetzung dieses Projekts bleibt zu definieren, welches Organ, der Verwaltung natürlich, für die Zensur zuständig wird und welche Kriterien angewendet werden. Seien wir nicht naiv, wir nähern uns einer unausweichlichen Kraftprobe.”
Nur eine weitere Verschwörungsfantasie? Wer weiß ... Sicher ist jedenfalls eins: der Kampf um Meinungs- und andere Freiheit hat die nächste Runde der Zuspitzung erreicht.