Der Klimawandel steigert die Gefahr von Kriegen - und befeuert sogar Konflikte zwischen einzelnen Menschen: Das besagt eine Studie im renommierten Fachblatt "Science". Doch der Report stößt auf ungewöhnlich heftige Kritik. Experten werfen den Autoren grobe Fehler und verzerrende Datenauswahl vor.
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© Joe Penney/ReutersAus Timbuktu in Mali wollen viele Menschen nur noch weg. Die Stadt war jüngst nicht nur Kriegsschauplatz, sie liegt auch am Rande der Sahara, so dass Sandstürme durch den Ort fegen. Der Klimawandel dürfte die Wüste wachsen lassen, vielen Bewohnern endgültig die Lebensgrundlage rauben und womöglich die Konflikte in der Region verschärfen.
Der Klimawandel wird verheerende Folgen für die Umwelt haben, die Ressourcen werden knapper - und die Zahl von Kriegen steigt dadurch geradezu zwangsläufig, heißt es oft. Doch so einleuchtend das erscheinen mag: Wissenschaftler streiten seit mehr als 20 Jahren darüber, ob die Erwärmung tatsächlich Konflikte begünstigt. Die Erkenntnislage ist trotz einer Flut von Studien mager: Manche Forscher sehen einen konfliktfördernden Einfluss des Klimawandels, manche sehen keinen, andere wiederum glauben gar, dass die Erwärmung die Gefahr von Kriegen reduziert.

Umso erstaunlicher ist das klare Ergebnis einer groß angelegten Studie, die jetzt im renommierten Fachblatt Science erschienen ist. Die Autoren um Solomon Hsiang von der University of California in Berkeley haben 60 Studien aus unterschiedlichen Fachgebieten ausgewertet. Ihr verblüffendes Fazit: Liegt die Temperatur um eine Standardabweichung über dem Durchschnitt der Jahreszeit, steigt das Gewaltpotential zwischen einzelnen Menschen um vier Prozent und das zwischen Gruppen sogar um 14 Prozent.

Ungewöhnlich heftige Kritik

Eine Standardabweichung - ein Maß aus der Statistik - ist nach Angaben der Forscher beispielsweise in einem Bezirk der USA erreicht, wenn die Temperatur in einem Monat drei Grad über dem langjährigen Mittelwert liegt. Die Sprengkraft dieser Aussage wird erst im Zusammenspiel mit gängigen Klimasimulationen deutlich: Sollte die globale Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2050 tatsächlich um zwei bis vier Grad steigen, könnte das laut Hsiang und seinen Kollegen die Häufigkeit von Gewaltkonflikten in manchen Regionen um rund 50 Prozent steigern.

Die Ergebnisse beträfen alle großen Weltregionen, wie die Forscher betonen. Plötzliche Anstiege häuslicher Gewalt in Indien und Australien, mehr Körperverletzungen und Morde in den USA und Tansania, ethnische Ausschreitungen in Europa und Südasien, Landkonflikte in Brasilien, Polizeigewalt in Holland, sogar historische Ereignisse wie der Zusammenbruch des Maya-Reichs: Alles Beispiele, die ihre Theorie stützten. Die Studie sei die erste umfassende zum Thema, niemals zuvor seien so viele Daten zusammengetragen worden.

Das Problem: Andere Experten kritisieren die Untersuchung ungewöhnlich heftig. Sie werfen Hsiang und seinen Kollegen fragwürdige statistische Methoden, fehlerhafte Schlüsse und sogar eine tendenziöse Auswahl von Daten vor.

Vorwurf der verzerrenden Datenauswahl

Jürgen Scheffran, Professor für Klimawandel und Sicherheit an der Uni Hamburg, hat gemeinsam mit Kollegen 2012 selbst eine Überblicksarbeit zum Thema vorgelegt. Eine Kurzversion davon erschien auch in Science. Die Forscher hatten 27 Studien ausgewertet, die vor ihrer Veröffentlichung von Experten begutachtet worden waren. "16 davon ergaben statistisch signifikant, dass die globale Erwärmung die Wahrscheinlichkeit von Gewaltkonflikten erhöhte", sagt Scheffran. Elf Studien besagten dagegen, der Klimawandel könnte die Gefahr von Konflikten in einigen Fällen erhöhen, in anderen aber auch senken - oder gar keinen nachweislichen Effekt haben. "Acht dieser elf Arbeiten haben Hsiang und seine Kollegen nicht berücksichtigt", sagt Scheffran.

Dabei seien diese Arbeiten den Autoren durchaus bekannt gewesen, denn erst im April habe die Fachgemeinde bei einer Konferenz in San Francisco das Thema debattiert. Dabei sei auch eine Vorabversion der Studie von Hsiang und seinen Kollegen zur Diskussion gestellt worden und auf Kritik gestoßen. "Wenn man seine Datenbasis auf diese Weise einschränkt, ergibt sich ein bestimmtes Bild", sagt Scheffran. "Das ist problematisch, insbesondere wenn man den Anspruch erhebt, erstmals einen umfassenden Überblick vorzulegen."

Der Redaktion von Science scheint geahnt zu haben, dass die Hsiang-Studie Kritik herausfordern würde. Sie wird in dem Magazin von einem Hintergrundartikel begleitet, in dem teils harte Kritik laut wird. Der Osloer Ökonom Halvard Buhaug wird in dem Artikel mit der Aussage zitiert, Hsiang und sein Team hätten bei der Auswertung der Studien bestimmte Daten ignoriert. "Noch besorgniserregender" sei, dass sie anscheinend Daten genutzt hätten, "die den stärksten Effekt hergeben". Buhaug ist Mitautor einer Studie, die im April erschienen ist, der Hsiang-Studie zuwiderläuft und in diese ebenfalls keinen Eingang gefunden hat.

Ähnlich äußert sich Jochem Marotzke, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Hsiang und seine Kollegen würden alternative Erklärungen für den Anstieg von Gewaltkonflikten "vom Tisch wischen" und dadurch "die augenscheinliche Erklärungskraft von Klimaschwankungen maximieren". Alles in allem, so Marotzke, sei er "skeptisch, was die Robustheit der Ergebnisse betrifft".

Wetter mit Klima verwechselt?

Die verzerrende Auswahl von Daten bleibt nicht der einzige Vorwurf an Hsiang und seine Kollegen. "Sie verwechseln Wetter mit Klima", meint Richard Tol, Wirtschaftsprofessor an der britischen University of Sussex. Tatsächlich scheinen Hitzewellen Menschen aggressiver zu machen. Dabei aber handelt es sich um Wetterphänomene. Veränderungen des Klimas dagegen werden in Zeiträumen von Jahrzehnten gemessen. Die meisten vom Hsiang-Team ausgewerteten Studien beträfen aber Wetterphänomene, meint Tol. Die Vorhersagen über die konfliktsteigernde Wirkung des zukünftigen Klimas seien deshalb "stark übertrieben".

Marshall Burke, einer der Autoren der Science-Studie, hält dagegen. Man habe mitnichten Wetter und Klima miteinander verwechselt. "Wir haben herausgefunden, dass menschliche Gesellschaften bemerkenswert schlecht darin sind, mit Abweichungen vom durchschnittlichen Klima umzugehen." Das gelte sowohl für kurz- als auch für langfristige Temperaturveränderungen.

Der Soziologe Nico Stehr sieht den "gröbsten Fehler" der Hsiang-Studie darin, dass die innovativen Möglichkeiten des Menschen "unterschätzt werden, mit Wetter- oder Klimaereignissen umzugehen". Auch nach Meinung von Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum in Geesthacht, gehen Hsiang und seine Kollegen fälschlicherweise davon aus, "dass die Reaktion der Menschen unverändert auf klimatische Stimulantien sei".

Umweltveränderungen, meint auch Jürgen Scheffran, würden Menschen oftmals zur Lösung von Problemen zwingen. "Das kann auch zu mehr Kooperation und Innovation führen." Nur sei das in der Forschung bisher ein wenig unterbelichtet: "Es ist eben spektakulärer, sich mit Konflikten zu beschäftigen." Burke erklärt dazu, dass Gesellschaften in der Zukunft zwar möglicherweise besser mit Wetterextremen umgehen können als heute. "Aber wir glauben, dass es gefährlich wäre, das einfach anzunehmen."

Auch Scheffran hält es keineswegs für ausgeschlossen, dass die globale Erwärmung in Zukunft zu mehr Kriegen führen könnte. "Aber eine übertriebene Darstellung der Gefahr kann zurückschlagen, wenn sich später herausstellt, dass die Ergebnisse fragwürdig waren."