Die Meinungsfreiheit immer weiter einschränken, um sie zu schützen? Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg hält das für geboten. So müssten "Desinformation" und "Propaganda" unter Strafe gestellt werden, fordert die ehemalige Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes.
1984, george orwell
In einem Interview mit der Berliner Zeitung hat Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg die Bundesregierung aufgefordert, eine aus ihrer Sicht bestehende Gesetzeslücke zu schließen: Desinformation und Propaganda müssten unter Strafe gestellt werden.

Anlass des Interviews war das einjährige Amtsjubiläum der Senatorin, die zuvor unter Hans-Georg Maaßen Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes war. Der Inlandsgeheimdienst sei ein "Frühwarnsystem", das sich "für Demokratie und den Rechtsstaat" einsetze und "auf extremistische Gefahren" hinweise, begründete die gebürtige Iranerin, warum sie sich auf eine Stellenausschreibung des Dienstes beworben hatte:
"Was mir sehr wichtig war, und das hat mich sehr beruhigt, dass der Verfassungsschutz keine polizeilichen Befugnisse hat. Das ist ja ganz anders als in vielen anderen Staaten, vor allem anders als im Iran. Daher hatte ich das gute Gefühl, dass der Verfassungsschutz kein Geheimdienst ist, wie man ihn kennt, der auch Leute festnehmen kann. Sondern es geht um die Informationssammlung für eine Gefahrensituation."
Und die "Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung" zeigten sich heute "komplexer und vielseitiger als noch zu Zeiten des Kalten Krieges". Mit dem Internet wirkten sich Konflikte "in der ganzen Welt unmittelbar auch in Deutschland und damit auf die deutsche Innenpolitik aus", so Badenberg.

Und im Unterschied zu früher würden Extremisten jedweder Couleur nunmehr an einem Strang ziehen, wofür die Senatorin folgendes Beispiel anführt:
"Heute haben Sie das Phänomen, dass bei bestimmten Krisen alle ein Ziel haben, das sie vereint, nämlich, die Demokratie zu schwächen. Das hat man sehr gut bei den Corona-Demonstrationen gesehen: Das Ziel ist, das System zu schwächen. Sie haben bei den Corona-Demonstrationen Menschen aus der rechtsextremistischen Szene gehabt, klar sichtbar, Teile der AfD, neonazistische Parteien, Teile aus der linksextremistischen Szene, türkische Nationalisten. Die sind alle gemeinsam gegen den Staat marschiert."
Auf die kritische Nachfrage, ob es nicht Aufgabe des Staats gewesen wäre, das Demonstrationsrecht derer zu schützen, die legitim gegen die Maßnahmen demonstriert haben und deren Anliegen durch die Präsenz der Extremisten diskreditiert wurden, erwiderte Badenberg: "Da bin ich ganz bei Ihnen. (...) Es gibt aber eine rote Linie, die man nicht überschreiten darf, und das ist die Begehung von Straftaten."

Der Fragesteller hakt weiter nach und merkt an, dass in der Corona-Zeit pauschal alle Demos verboten wurden, unabhängig davon, ob dort Straftaten begangen wurden. Aber das sei ja "nicht zum Zwecke der Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern aus gesundheitlichen Gründen" geschehen, beschwichtigt die Ex-Geheimdienstlerin.

Neben der Gefahr, die von inländischen Extremisten ausgehe, werde die Demokratie von ausländischen Autokratien herausgefordert. Badenberg nennt etwa Iran, Russland, Syrien und China - "das sind Mächte, die gegen die westlichen Demokratien sind".

Längst würden sich diese Mächte nicht auf das klassische Spionagehandwerk beschränken:
"Es werden auch zunehmend Informationen nach Deutschland eingesteuert, um Einfluss auf unsere demokratischen Prozesse zu nehmen. Welche Gefahren sich aus einem derartigen Verhalten ergeben können, sehen wir gerade eindrücklich."
Das sei aber kein auf Deutschland beschränktes Phänomen, wie die angebliche "Beeinflussung des amerikanischen und des französischen Präsidentschaftswahlkampfs" gezeigt habe. Das seien ebenso "Angriffe auf unsere Demokratie" wie die "russische Einflussnahme im Vorfeld der letzten Bundestagswahl" - worin diese bestanden haben soll, führte die Senatorin jedoch nicht aus.

Angesichts der vor allem von Russland ausgehenden Gefahr müsse man darüber sprechen, "ob unsere Gesetze Deutschland noch ausreichend vor diesen Gefahren schützen und die Berliner Strafverfolgungsbehörden die rechtlichen Instrumente dafür haben". Das Strafrecht schütze vor Sabotagemaßnahmen aus der Zeit des Kalten Krieges. Heute sei aber nicht mehr nur das Abgreifen von Informationen, "sondern auch das Einbringen von Desinformationen und Propaganda gefährlich". Deshalb fordert die parteilose Senatorin: "Die Sabotage des Meinungsbildungsprozesses muss unter Strafe gestellt werden." Die Bundesregierung sei in der Verantwortung, eine entsprechende Regelung vorzulegen, denn "der freie Willensbildungsprozess [ist] der erste Angriffspunkt für autokratische Regime".

Dabei ist Badenbergs Forderung selbst nichts anderes als ein Anschlag auf den freien Willensbildungsprozess und somit auf die Demokratie. Denn wer bestimmt, was "Desinformation" und "Propaganda" ist? Oder gilt als solches dann alles, wenn es aus dem Munde eines Vertreters Russlands, Chinas oder sonstiger "autokratischer" Länder kommt?


Kommentar: Sehr wahrscheinlich, alles, was nicht unseren Demokraten entspricht.


Propaganda und Desinformation sind ebenso schwammige Begriffe wie die inzwischen vom Verfassungsschutz zur Erkennung und Kennzeichnung vermeintlicher Extremisten eingeführte Kategorie "Delegitimierung des Staates". Erstmals wurde diese Formel im Juli 2022 in einem Themenpapier des Verfassungsschutzes bemüht, das die Gegner der Coronamaßnahmen praktisch zu Staatsfeinden erklärte.

Badenbergs Vorstoß reiht sich ein in die demokratiefeindlichen Bestrebungen der Ampel-Regierung, die der Öffentlichkeit - wie etwa beim "Demokratiefördergesetz" - in Orwell'scher Neusprech-Manier als Maßnahmen zur Rettung der Demokratie verkauft werden.

"Die Akteure, die das machen, haben gar nicht richtig verstanden, was eigentlich die Essenz der Demokratie ist", kritisierte der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler vergangenen Monat die von der Bundesregierung beförderten undemokratischen Tendenzen im Land.
"Diese Freiheit der Ideen und dieser Wettkampf der Ideen, das ist die Essenz der Demokratie. Und wenn man sagt: 'Na ja, das darfst du nicht mehr sagen, das darfst du nicht mehr sagen, und das ist die Delegitimierung, und das ist zwar unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, aber trotzdem problematisch, dann sag es lieber auch nicht", so der Rechtswissenschaftler.
Und Badenberg will nun noch eins draufsetzen: Künftig sollen (regierungs-)kritische Meinungen, nachdem sie von den Demokratiewächtern zu "Propaganda" oder "Desinformation" erklärt wurden, nicht mehr unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen - um den "freien Willensbildungsprozess" zu schützen. Und wenn man bedenkt, dass nach Ansicht mancher Grünen-Politiker selbst wahre Begebenheiten Desinformation sein können, so wäre staatlicher Zensur-Willkür Tür und Tor geöffnet, sollte die Forderung der Berliner Justizsenatorin umgesetzt werden.