Seit Wochen wird EU-Binnenkommissar Michel Barnier attackiert. Der Vorwurf: Er wolle die Trinkwasserversorgung europaweit zwangsprivatisieren. Jetzt wehrt sich Barnier - und kommt Kritikern entgegen.

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© dpaEU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier geht im Streit um die europäische Trinkwasserversorgung einen Schritt auf seine Kritiker zu
Ein Schreckgespenst geht um in Europa: Die EU-Kommission wolle Städte und Gemeinden verpflichten, die Wasserversorgung zu privatisieren, klagen Kritiker. Befürchtet werden sinkende Qualität beim Wasser und vor allem steigende Preise. Mehr als eine Million Unterschriften hat die Bürgerinitiative "Wasser ist ein Menschenrecht - Right 2 Water" schon gesammelt.

Die Initiative kämpft gegen einen Vorschlag von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier zur Vergabe öffentlicher Konzessionen. Sie wirft ihm vor, ein kostbares öffentliches Gut in die Hände von Geschäftemachern geben zu wollen und kämpft damit - gegen ein Phantom.

Denn in Barniers Richtlinienvorschlag, den er vor mehr als einem Jahr präsentierte, ist keine Rede von einer Pflicht zur Privatisierung, keine Hintertür steht dieser Lesart offen, die grundlegendem EU-Recht offen widerspräche. Ministerrat und Europaparlament sahen ebenfalls keinen Grund, an der Lauterkeit des Franzosen zu zweifeln.

Barnier macht Front gegen Vorwürfe

Der verteidigt sich jetzt gegen die Anwürfe: "Der aktuelle Text erkennt ganz klar die Freiheit der EU-Mitgliedsstaaten und die Autonomie der Kommunen an", sagte Barnier der Welt. "Es sind demnach auch die Kommunen, die weiterhin über die Vergabe der öffentlichen Aufgaben entscheiden. Es obliegt ihnen, ob sie beispielsweise die Wasserversorgung selbst übernehmen oder sie an externe Anbieter vergeben."

Der Kommissar selbst sieht sich nicht als Ultraliberalen, der dem Markt alles zutrauen würde. "Ich persönlich bin dafür, die Wasserversorgung in der öffentlichen Hand zu behalten", sagt er. Was er aber will: dass Kommunen Konzessionen für öffentliche Dienstleistungen wie Wasser und Abfallentsorgung nach einem europaweit einheitlichen und transparenten Vorgehen vergeben müssen.

"Der Kommissionsvorschlag sieht lediglich vor, dass im Falle einer Vergabe an ein privates Unternehmen der Auftrag öffentlich ausgeschrieben werden muss", sagt Barnier. "Das ist im Interesse der Bürger, der Steuerzahler und der Verbraucher. Wir brauchen hier Transparenz - und das ist es, was ich vorschlage."

Vorgaben sind in jedem EU-Land anders

Öffentliche Aufträge stehen für fast ein Fünftel der Wirtschaftsleistung der EU. Dieses gewaltige Volumen aber dürfen Städte heute weitgehend nach ihren eigenen Kriterien vergeben. Die sehen in jedem EU-Land anders aus, in Deutschland, den Niederlanden, in Belgien und Finnland und auch im Vereinigten Königreich gibt es keinen gesetzlichen Rahmen für die Konzessionsvergabe.

Rechtssicherheit schufen bisher nur Gerichtsurteile über Einzelfälle, eine verbindliche Regelung brächte erstmals Barniers Richtlinie. Milliardensummen könnten gespart werden, so sieht es die Kommission, wenn mehr Wettbewerb in diesen Markt kommt - und vermieden würde, dass der direkte Draht ins Rathaus eines Anbieters Konkurrenten schon aussticht, bevor die überhaupt geboten haben.

Für Unternehmen im Besitz der Kommunen, die klassischen Stadtwerke und Zweckverbände, würde sich nichts ändern, wenn die Richtlinie kommt wie vorgeschlagen. Einer direkten Vergabe ohne Ausschreibung stünde nichts im Weg.

"Die öffentlichen Betriebe, die im Namen ihrer Bürger in ihrer eigenen Kommune Wasser bereitstellen, sind vom Kommissionsvorschlag überhaupt nicht betroffen", sagt Barnier. Zudem seien von der öffentlichen Ausschreibung auch diejenigen Stadtwerke und Betriebe ausgenommen, die 80 Prozent ihres Umsatzes im Auftrag einer Kommune erwirtschaften. Das ist der eine klare Fall.

Ausnahmen von Ausschreibungspflicht

Und auch für ein zweites Konstrukt sind die Regeln klar: für rein privatwirtschaftliche organisierte Versorgungsunternehmen, die auch in anderen Kommunen in Deutschland oder Europa ihre Dienste anbieten. "Hier müssen die Regeln der Transparenz greifen wie für alle anderen auch, ansonsten wird der Markt verzerrt. Es ist im ureigenen Interesse dieser Firmen, dass sie in einem transparenten Markt agieren können", sagt der Kommissar.

Es gibt aber etliche Unternehmen, die keiner der beiden Gruppen recht zuzurechnen sind: Ehemalige kommunale Betriebe etwa, an denen längst Privatunternehmen beteiligt sind, wie in 80 Prozent der Fälle in Deutschland.

"Diversifizierte Stadtwerke, die in Kommunen unter anderem, aber nicht ausschließlich die Wasserversorgung anbieten", nennt Barnier diese Betriebe. Sie verdienen ihr Geld außer mit Wasser auch noch damit, anderswo Stromversorgung, Abfallentsorgung oder Transport zu gewährleisten.

Für diese Mischformen will der Kommissar nun Ausnahmen von der strengen Ausschreibungspflicht zulassen, wie er der Welt verrät: "Solche Unternehmen können kaum 80 Prozent ihres Umsatzes innerhalb einer Kommune verdienen, wenn sie noch in anderen Geschäftsbereichen tätig sind", sagt Barnier. "Ich bin daher bereit, mich auf Folgendes einzulassen: Auch Unternehmen mit mehreren Geschäftsbereichen können von der öffentlichen Ausschreibung ausgenommen und direkt von den Kommunen beauftragt werden. Ich bin in diesem Fall bereit, die 80-Prozent-Bedingung allein auf den Dienstleistungsbereich Wasserversorgung anzuwenden."

Kompromissvorschlag - unter einer Bedingung

Damit kommt der Kommissar Kritikern aus Deutschland entgegen. Das Europaparlament will seine Anregung aufnehmen und formal in die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten einbringen, die noch im ersten Halbjahr abgeschlossen werden sollen. Nur eine Bedingung stellt Barnier - die buchhalterische Trennung von Wasser und restlichem Geschäft.

"Dann aber müssen die Unternehmen für ihr Wassergeschäft eine getrennte Buchführung einführen. Die Stadtwerke müssten in ihrer Bilanz zwischen öffentlichen Dienstleistungen trennen und den Leistungen, die sie als Unternehmen auf einem liberalisierten Markt anbieten, Energie etwa."

Damit wäre zweierlei gewährleistet: Die Wasserversorgung könnten Kommunen weiter direkt vergeben, auch an Stadtwerke, an denen längst die großen deutschen Versorger wie RWE und E.on beteiligt sind. Die aber könnten nicht mehr aus dem Wassergeschäft mit seiner Monopolstruktur - der einzelne Verbraucher kann anders als beim Strom ja nicht den Versorger wechseln - andere Geschäftsbereiche quersubventionieren.