Der langjährige amerikanische Kongressabgeordnete Ron Paul aus Texas nimmt bei seiner Bewertung der Ereignisse in Boston und Umgebung nach den "terroristischen Anschlägen" vom 15. April während des berühmten Marathonlaufs kein Blatt vor den Mund: Nach seiner Ansicht ähnelt das Vorgehen der lokalen Polizei und der Beamten der beteiligten Bundesbehörden bei der Fahndung nach den Tatverdächtigen dem militärischen Vorgehen, wie man es von »Bananenrepubliken« erwartete.
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Aus seiner Sicht - die von vielen Millionen anderer Amerikaner, die die Ereignisse auf eine oder andere Weise verfolgten, geteilt wird - wirkten die auf das Attentat folgenden Durchsuchungen aller Häuser und die an Kriegsrecht erinnernden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, um nur einige Aspekte zu nennen, furchteinflößender als die Anschläge selbst.

»Dies sollte uns mehr Sorge bereiten als der Anschlag«

»Die Bombenanschläge boten der Regierung die Möglichkeit, die eigentlich gebotene und angemessene polizeiliche Ermittlung praktisch in die militärische Besetzung einer amerikanischen Großstadt zu verwandeln«, erklärte Paul auf der libertären Internetseite Rockwell, wie das Internetnachrichtenportal "Politico" berichtete. »Dieses beispiellose Vorgehen sollte uns größere Sorge als die Anschläge selbst bereiten.« Bei den Anschlägen selbst wurden drei Menschen getötet und 264 weitere Personen verletzt. Zahlreiche Verletzte verloren dabei Gliedmaßen.

Weiter sagte Paul, vor allem die systematische Durchsuchung aller Häuser in den Stunden und Tagen nach dem Anschlag sei besorgniserregend und beunruhigend. Die Bilder dieser Durchsuchungen sowie die Videoaufzeichnungen, die von Anwohnern erstellt wurden, hätten ihn an einen »Militärputsch in einer abgelegenen Bananenrepublik« erinnert. »Die Verhängung einer Ausgangssperre und die Abriegelung einer ganzen Stadt; paramilitärische Polizeikräfte, die mit gepanzerten Fahrzeugen patrouillierten; Durchsuchung aller Häuser durch bewaffnete Kräfte ohne einen richterlichen Beschluss; Familien, die mit vorgehaltenen Waffen aus ihren Häusern gezerrt wurden, damit diese ohne hinreichenden Verdacht durchsucht werden konnten; Geschäfte, die geschlossen werden mussten, und die Einstellung des öffentlichen Personenverkehrs«, zählte er auf. »Das sind nicht etwa Bilder aus einer entlegenen Bananenrepublik, in der ein Militärputsch stattfindet. Diese Szenen spielten sich vor mehr als einer Woche in Boston ab und liefern den USA einen Vorgeschmack auf Zustände unter Kriegsrecht.«

Paul erinnerte in seinem Beitrag daran, dass der zweite überlebende Tatverdächtige, der 19-jährige Dschochar Zarnajew, schließlich durch einen aufmerksamen Bürger und nicht etwa im Verlauf polizeilicher Razzien entdeckt wurde. »Er wurde durch einen normalen Bürger entdeckt, der dann die Polizei informierte«, schrieb Paul. »Und nicht die Überwachungskameras der Regierung trugen zu seiner Identifizierung bei, sondern Aufzeichnungen und Fotos privater Bürger, die diese bereitwillig der Polizei zur Verfügung stellten.« Auch andere haben in ähnlicher Weise ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen.

So schrieb Timothy P. Carney in einem Kommentar am 21. April in der Tageszeitung Washington Examiner:
»Wie im Zusammenhang mit jedem Terroranschlag und Morden, die breite Beachtung in den Medien fanden, wurde auch nach den Bombenanschlägen in Boston die Forderung laut, die Amerikaner müssten im Gegenzug für höhere Sicherheit [weitere] Einschränkungen ihrer Bürger- und Freiheitsrechte hinnehmen. Aber diesmal geht es nicht um schärfere Waffengesetze oder noch intimere Leibesvisitationen an Flughäfen. Diesmal wird die Einrichtung eines Netzwerks polizeilicher Überwachungskameras nach dem Vorbild des Großen Bruders gefordert, das es den Behörden ermöglichen soll, die Menschen auf den Straßen noch engmaschiger und weitreichender zu beobachten.

Aber die Hintergründe der Attentäter von Boston - Einzelheiten ihres Verbrechens sowie ihrer Festnahme - beweisen das Gegenteil. Wir brauchen keine stärkere Überwachung durch die Regierung. Wir müssen vielmehr eine gefestigte Zivilgesellschaft und Gemeinsinnorientierung beibehalten und stärken.«
»Es ist Aufgabe der Regierung, unsere Freiheitsrechte zu schützen«

»Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis wichtig, dass die Attentäter von Boston zwar von Überwachungskameras erfasst wurden, dies aber die Anschläge nicht verhinderte. Und mit welchen Maßnahmen müssen wir jetzt rechnen - Überwachungskameras in unseren Wohnungen und Häusern?«

Zudem weist Carey darauf hin, dass es sich bei den Überwachungskameras, die später die Bilder der Attentäter lieferten, größtenteils um private Kameras handelte. Sie waren entweder von lokalen Geschäftsleuten zur Abschreckung von Dieben und Einbrechern fest installiert worden, oder es handelte sich um Handykameras im Besitz normaler Passanten. Mit anderen Worten - es gibt bereits Kameras in ausreichendem Maße.

»Was gewinnen wir also, wenn die Regierung ihre eigenen Kameras installiert? Dies könnte bedeuten, dass die Polizei in Zukunft nicht mehr [in dem Maße] auf die Hilfe der Öffentlichkeit angewiesen wäre. Dies erhöhte möglicherweise die Effizienz der Polizeiarbeit, aber haben die Öffentlichkeit und die Bürger in der vergangenen Woche nicht außerordentlich effektiv reagiert?«, fragt Carney.

Und Paul schlussfolgert:
»Leider wurden wir gezielt dazu gebracht, das Dogma zu verinnerlichen, dass es die Aufgabe der Regierung sei, für unsere Sicherheit zu sorgen, aber in Wirklichkeit hat die Regierung die Aufgabe, unsere Freiheitsrechte zu schützen. Wenn sich die Regierung einmal dazu entschieden hat, es sei ihre Aufgabe, in wirtschaftlicher oder physischer Hinsicht unsere Sicherheit zu gewährleisten, kann sie dieses Ziel nur erreichen, wenn sie unsere Bürger- und Freiheitsrechte einschränkt oder sogar ganz abschafft. Und genau das ist in Boston geschehen.«