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Mainz - Nächtlicher Fluglärm kann schon bei gesunden jungen Menschen Stressreaktionen auslösen und die Endothelfunktion der Arterien in einer Weise stören, die auf Dauer schwere Gefäßschäden befürchten lässt. Dies zeigt eine Studie im European Heart Journal (2013; doi: 10.1093/eurheartj/eht269).

Die Geräusche von startenden oder landenden Flugzeugen werden von den meisten Menschen als besonders lästig empfunden - besonders wenn sie die Nachtruhe stören. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass nächtlicher Fluglärm nicht nur den Schlaf stört. Er hat auch langfristige Auswirkungen auf Herz und Kreislauf.

Die HYENA-Studie hat beispielsweise gezeigt, dass bei den Anwohnern von sechs euro­päischen Flughäfen (darunter Berlin-Tegel) in Abhängigkeit vom nächtlichen Fluglärm der Blutdruck steigt. Auch in Mainz klagen seit der Erweiterung des Frankfurter Flug­hafens viele Menschen über nächtliche Ruhestörungen. Die Stiftung Mainzer Herz hat deshalb in einer Studie untersuchen lassen, welche Auswirkungen der Lärm auf die Funktion der Blutgefäße hat.

In der Feldstudie wurden 75 gesunde Männer - ohne diagnostizierte Vorschädigung des Herz-Kreislauf-Systems - in einer randomisierten Abfolge während des Schlafs unter­schiedlichen Lärmszenarien ausgesetzt. Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 26 Jahren. Den Probanden, die alle normalerweise keinem Fluglärm ausgesetzt waren, wurden nachts Tonaufnahmen vorgespielt, die die Forscher in der Nähe des Düssel­dorfer Flughafens aufgenommen hatten.

Die Lautstärke der startenden oder landenden Flugzeuge betrug jeweils etwa 60 Dezibel. In einem Szenario waren die Probanden dem Lärm von 30 Nachtflügen ausgesetzt. Das andere Mal gab es 60 An- und Abflüge. Als Vergleich diente ein „lärmfreies Nacht-Szenario“.

Am Morgen nach den einzelnen Szenarien fanden sich die Probanden zur Untersuchung in die Universitätsmedizin Mainz ein. Dort wurde zum einen Blut zur Bestimmung der Stresshormone Adrenalin und Cortisol entnommen. Zum anderen wurde ein „Stresstest“ der Blutgefäße durchgeführt: Dabei wird kurzeitig der Blutfluss im Oberarm mit einer Manschette abgeschnürt. Nach der Wiederdurchblutung wird mittels Ultraschall die Erweiterungsfähigkeit in der Arteria brachialis bestimmt.

Beim Gesunden kommt es infolge der Freisetzung von Stickoxid (NO) zu einer raschen Dilatation der Arterie. Diese flussmediierte Dilatation (FMD) ist ein Standardtest zur Erfassung der Endothelfunktion, deren Störung mit der Entwicklung von arterieller Hypertension und Atherosklerose in Verbindung gebracht wird.

Wie das Team um Thomas Münzel, Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinikder Universitätsmedizin Mainz, berichtet, kam es nach den Lärmnächten nicht nur zu einem signifikanten Anstieg der Adrenalin- und Cortisolkonzentration im Blut. Auch die FMD war vermindert, also gestört. Interessanterweise gab es einen „Priming“-Effekt: Eine Beschallung mit 30 Überflügen induzierte bei einer nachfolgenden Nacht mit 60 Überflügen einen weiteren Rückgang der FMD. Für Münzel bedeutet dies, dass die Probanden sich im Rahmen von mehreren Beschallungen vermutlich nicht an den Fluglärm gewöhnen, sondern das Ausmaß der Gefäßschäden eher zunimmt.

Der Kardiologe führt die endotheliale Dysfunktion auf die Freisetzung von freien Radikalen zurück. Um dies zu prüfen, gaben die Mediziner einigen Probanden vor dem Stresstest Vitamin C. Die Ergebnisse im Stresstest wurden dadurch normalisiert. Dies muss nun allerdings nicht bedeuten, dass Vitamin C ein Gegenmittel gegen nächtlichen Lärmstress ist. Diese Hypothese müsste zunächst in einer klinischen Studie untersucht werden.

Für Münzel steht jedoch fest, dass nächtlicher Fluglärm ein wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Die Lärmbelastung der Bevölkerung sollte deshalb möglichst gering gehalten werden, fordert der Mediziner nicht ganz ohne Eigeninteresse. Das Gelände der Universitätsmedizin mit allen Kliniken in Mainz befindet sich ebenfalls in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens. Der Medizinische Vorstand und Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin Mainz Norbert Pfeiffer fordert deshalb in der Pressemitteilung eine deutliche Entlastung des Geländes der Universitätsmedizin mit allen Kliniken in Mainz.

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