Aktuelle archäologische Untersuchungen im »türkischen Stonehenge« lassen darauf schließen, dass dieser uralte Tempel einst auf den hellen Stern Sirius ausgerichtet war. Die faszinierende Megalith-Anlage von Göbekli Tepe in Südostanatolien wurde bereits vor rund 11 000 Jahren errichtet.
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Als »Bauchiger Hügel« ist jener geschichtsträchtige Höhenzug bekannt, der sich nahe der anatolischen Stadt Şanlıurfa erstreckt. Auf der mehrere Hundert Meter langen Erhebung befinden sich seltsame ringförmige Einfassungen aus Stein, in die T-förmige Pfeiler mit bis zu sechs Metern Höhe integriert sind. Das merkwürdige Arrangement besteht insgesamt mindestens aus 20 Ringen mit 200 mächtigen Pfeilern.

Seit Mitte der 1990er Jahre graben Archäologen in dieser bemerkenswerten Anlage. Stück um Stück legten sie neue Megalithen frei, stießen auf bizarre Reliefs mit Darstellungen wilder Tiere sowie auf verborgene Kammern und Räume ungeahnten Ausmaßes. Eine wirklich einzigartige Anlage der Superlative. Die T-Megalithen erreichen die Ausmaße der Riesenblöcke von Stonehenge in Südengland, allerdings übertreffen sie deren Alter um 6000 Jahre! Auch die Kammern des »türkischen Stonehenge« sind einmalig. "Niemand hätte erwartet," in einer steinzeitlichen Stätte dieses extremen Alters riesige Hallen zu entdecken, die von einer Seite zur anderen gut 20 Meter messen.

Irgendwann haben die Erbauer ihren fantastischen Tempel dann offenbar mit aller Sorgfalt zugeschüttet, so meinen die an den Ausgrabungen beteiligten Archäologen. Warum sie die Steinringe und das Kammersystem wieder mit Erde bedeckten, bleibt ebenso rätselhaft wie der gesamte Sinn und Zweck der Anlage. Die allgemeine Auffassung tendiert natürlich standardmäßig hin zu kultischen, religiösen Aufgaben. Das scheint naheliegend. Aber selbst mit dieser konventionellen Deutung wäre in Göbekli Tepe die übliche zeitliche Reihenfolge der kulturellen Entwicklung nicht mehr gegeben.

Die neolithische Revolution verbindet die Erfindung des Ackerbaus mit menschlicher Sesshaftigkeit und dem Entstehen von Zivilisation, Kunst und Religion. Da aber um das alte Monument herum keinerlei Anzeichen von Ackerbau anzutreffen sind, gehen die Archäologen davon aus: "Die Religion war hier zuerst da." Nur weiß bis heute niemand, wofür die komplexe Anlage wirklich diente.

Das Beispiel demonstriert recht gut, auf welch schwachen Füßen die Altertumswissenschaft zuweilen steht. Allerdings, ein großes Wunder ist das nicht, angesichts des hohen Alters von Göbekli Tepe. Trotzdem gibt es einige interessante Hinweise aus jener urzeitlichen Epoche. Und sie rücken den geheimnisvollen Hügel in ein buchstäblich neues Licht, ins Licht eines ganz besonderen Sterns: des Sirius. Er ist der scheinbar hellste Stern am nächtlichen Himmel. Nur die Sonne, der Mond und Venus strahlen noch heller als er. Sirius ist in Wirklichkeit größer als unsere Sonne und »lediglich« elf Lichtjahre von ihr entfernt. Das erklärt seine enorme Helligkeit.

In den antiken Kulturen war dieser auffallende Stern häufig ein zentrales Objekt der Verehrung. Im alten Ägypten schenkten Priesterastronomen ihm ihre ganz besondere Aufmerksamkeit. Denn damals fiel der Frühaufgang des Sirius mit dem Eintreten der bedeutsamen Nilschwemme zusammen: Nach einer jahreszeitlich bedingten Unsichtbarkeitsperiode von 70 Tagen zeigte sich Sirius am Morgenhimmel kurz vor Sonnenaufgang, um unmittelbar darauf im Tageslicht zu verblassen. Sobald er wieder erstmals am Morgen ausfindig gemacht werden konnte, wussten die damaligen Sternkundigen, dass der Nil nun beginnen würde, über seine Ufer zu treten.

In Mali findet ein ganz besonderer Siriuskult statt: Der Dogon-Stamm, dessen astronomisches Wissen aus Ägypten zu stammen scheint, verehrt nämlich nicht den hellen Sirius A, sondern seinen erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Sirius B, einen winzigen weißen Zwergstern, der seine grell strahlende Hauptkomponente alle 50 Jahre einmal vollständig umkreist und über 10 000 Mal lichtschwächer ist.

Die Dogon feiern ihren Sirius-B-Kult offenbar bereits seit Jahrhunderten und sprechen sogar noch von weiteren Begleitobjekten im Sirius-System. Woher sie ihr Wissen wirklich bezogen haben, kann niemand sagen, denn auch die alten Ägypter können nach konventioneller Auffassung keine Ahnung von Sirius B gehabt haben.

Das Rätsel von Göbekli Tepe scheint ebenfalls mit dem Sirius verbunden zu sein. Hier könnte er als neuer Stern begrüßt worden sein. Allerdings nicht im Sinne seines Frühaufgangs. Was hingegen geschah, betraf eine weit längere Zeitspanne, die auf der Kreiselbewegung der Erdachse beruht. Über Jahrtausende hinweg verändert sie ihre Position im Raum, sie dreht sich alle 26 000 Jahre einmal um die Senkrechte auf der Erdbahn. Dadurch verschieben sich auch die Sternpositionen am Himmel und horizontnahe Sterne können für lange Phasen untertauchen. Irgendwann führt die Präzession, jene Kreiselbewegung, die »verschollenen« Sterne allmählich wieder über den Horizont einer Region. Und genau das scheint auf Göbekli Tepe vor 11 000 Jahren mit Sirius geschehen zu sein.

Der Archäoastronom Giulio Magli von der Polytechnischen Universität Mailand stellt fest, dass Sirius auf dieser geografischen Breite bis zum Jahr 9300 vor Christus unsichtbar war. Dann machte der Stern plötzlich durch sein helles Funkeln direkt am Horizont auf sich aufmerksam, um allmählich und sehr langsam höher zu steigen. Magli zufolge wurde auf dem »Buckligen Hügel« einst also die »Geburt« des neuen Sterns begrüßt. Man habe den Tempel errichtet, um dieses Ereignis genau zu verfolgen. »Man kann sich gut vorstellen, dass das Erscheinen eines neuen Himmelsobjekts zum Auslöser einer neuen Religion geworden sein kann«, so Magli.

Die Rekonstruktion der astronomischen Verhältnisse zu jener megalithischen Epoche belegt: Immerhin drei der Monumente von Göbekli Tepe weisen genau auf jenen Punkt am Horizont, an dem (sic) seinerzeit der Sirius erstmalig wieder erschien. Magli hofft nun, mit präziseren Berechnungen und durch neue Ausgrabungen zusätzliche Bestätigungen seiner interessanten These zu erhalten. Die Archäologen hingegen zeigen sich bei solchen kosmischen Deutungen eher sehr zurückhaltend. Sie diskutieren derzeit, ob die Steinringe ursprünglich vielleicht einmal Dächer besaßen. Dann, so erklärt auch der Archäologe Jens Notroff vom Deutschen Archäologischen Institut in Berlin, wäre die astronomische Variante wohl aus dem Rennen, denn schließlich bedarf es zur Sternbeobachtung eines freien Blicks zum Himmel.

Der anatolische »Urhügel« dürfte aber wohl noch einige Überraschungen bereit halten. Und vielleicht spielt Sirius dabei wirklich eine besondere Rolle. Dessen Bedeutung in der alten Zeit kann wohl kaum überschätzt werden.