Helmut Schmidt
© ReutersAltkanzler Helmut Schmidt: Verständnis für Putin.
Die Liste der Putin-Versteher wird länger. Nun äußert auch der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt Verständnis für das Vorgehen von Russland auf der Krim. Scharfe Kritik äußert er an der Isolations-Politik des Westens.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) findet das Vorgehen des russischen Präsidenten Putin auf der Krim „durchaus verständlich“. Das sagte Schmidt in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit, deren Herausgeber er ist.

Heftige Kritik äußerte Schmidt am Umgang des Westens mit der Krim-Krise. Die von der Europäischen Union und den USA beschlossenen Sanktionen gegen Russland bezeichnete er als „dummes Zeug“. Weiter gehende wirtschaftliche Sanktionen würden nach Ansicht Schmidts ihr Ziel verfehlen. Auch sie hätten vor allem symbolische Bedeutung, „aber sie treffen den Westen genauso wie die Russen“.

Schmidt kritisierte auch den Beschluss des Westens, mit Russland nicht mehr im Rahmen der G8 zusammenzuarbeiten. „Es wäre ideal, sich jetzt zusammenzusetzen. Es wäre jedenfalls dem Frieden bekömmlicher als das Androhen von Sanktionen.“ Schmidt fügte hinzu: „Die G8 ist in Wirklichkeit nicht so wichtig wie die G20. Aus der G20 hat man die Russen bisher nicht rauskomplimentiert.“

Der Altkanzler nannte die Situation in der Ukraine „gefährlich, weil der Westen sich furchtbar aufregt“. Dies führe dazu, „dass diese Aufregung des Westens natürlich für entsprechende Aufregung in der russischen öffentlichen Meinung und Politik sorgt“.

Auf die Frage, ob er sich eine Intervention Russlands auch im Osten der Ukraine vorstellen könne, antwortete Schmidt: „Das weiß ich nicht. Und ich enthalte mich der Spekulation. Ich halte es für denkbar, aber ich halte es für einen Fehler, wenn der Westen so tut, als ob das zwangsläufig der nächste Schritt sei. Das führt dazu, dass er möglicherweise auf russischer Seite den Appetit anregt.“

Der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, betonte mit Blick auf die Schmidt-Kritik, dass Russland trotz der Krim-Krise ein wichtiger Partner des Westens bleibe. „Wichtig bleibt: Bei der Bearbeitung internationaler Krisen brauchen wir uns gegenseitig als Partner und wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir dieselben Sicherheitsinteressen haben“, sagte Mützenich Handelsblatt Online Es liege daher auf der Hand, „dass wir auch weiterhin Gespräche mit Russland brauchen“.

In welchen Formaten diese stattfinden könnten, liege auch an Moskau, sagte Mützenich weiter. „In der Vergangenheit haben wir versucht, konstruktive und ergebnisoffene Gesprächsrunden zu etablieren. Leider haben diese wenige Ergebnisse gebracht, was auch russische Vertreter zu verantworten hatten“, erläuterte der SPD-Politiker. „Richtig war, dass sowohl Bedenken gegen die Raketenabwehr als auch Folgen für die konventionelle Abrüstung Bestandteil der Gespräche waren“, fügte Mützenich hinzu. „Allerdings blieben die Versuche ohne konkrete Ergebnisse.“

Vor Schmidt hatten sich auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) und die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) auf die Seite Putins gestellt. Schröder hatte bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung Die Zeit davor gewarnt, dem russischen Präsidenten wegen seines völkerrechtswidrigen Handelns mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen. Er selbst, Schröder, habe das Völkerrecht gebrochen, als es um die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg gegen Serbien während seiner Regierungszeit gegangen sei.

Darauf hatte auch Vollmer (Grüne) hingewiesen, als sie sagte: „Ich habe immer gewusst, dass wir für den Bruch des Völkerrechts im Kosovo-Krieg irgendwann von Russland oder China die Rechnung vorgelegt bekommen.“

Ökonomen: Härtere Russland-Sanktionen „Spiel mit dem Feuer“

Wie Schmidt hält es auch Schröder für einen Fehler, Russland die Zusammenarbeit in der G8 zu verweigern. „Nutzt es wirklich, wenn man sagt, die sollen rausgeschmissen werden aus der G8-Konstruktion? Die G8 ist eine Möglichkeit, die führenden acht Leute in der Welt zusammenzubringen und miteinander zu reden“, hatte Schröder jüngst bei einer Veranstaltung in Paris gesagt.

Auch Ökonomen halten die Sanktionspolitik des Westens gegen Russland für einen Fehler. „In der aktuellen Lage halte ich überhaupt nichts von schärferen Sanktionen gleich welcher Art.“ Am Ende des Tages zahle die Bevölkerung in Russland und der Ukraine die Zeche, sagte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, Handelsblatt Online. „Und auch die Menschen im übrigen Europa könnten schmerzhaft getroffen werden, wenn Absatzmärkte verloren gehen und die Energiepreise steigen“, fügte Horn hinzu. Daher sei jetzt „kluge Außenpolitik gefordert und bei allen Vorbehalten gegenüber der Politik Putins keine kriegerisches ökonomisches Denken“.

Der Frankfurter Ökonom Thorsten Polleit ist überzeugt, dass Deutschland im Fall möglicher EU-Handelssanktionen gegen Russland „besonders hart getroffen“ würde. So betrügen die Direktinvestitionen deutscher Firmen in Russland 19 Milliarden Euro. Deutsche Banken hätten zudem mehr als 50 Milliarden US-Dollar an Kreditforderungen gegenüber russischen Kreditnehmern, sagte Polleit Handelsblatt Online.

Der Wormser Wirtschaftsprofessor Max Otte warnte davor, alle russischen Banken auf eine schwarze Liste zu setzen und die die Finanzflüsse zwischen Russland und den Ländern der Europäischen Union zu kappen. „Wir spielen mit dem Feuer“, sagte Otte Handelsblatt Online. „Alles an negativen Entwicklungen ist möglich. Alles.“

Alle Militärstandorte auf der Krim in russischer Hand

Aus Sicht Polleits können EU-Sanktionen auch den gesamten Euro-Raum hart treffen. So wären beispielsweise die Investitionen von EU-Unternehmen in Russland gefährdet, im schlimmsten Fall drohe sogar Enteignung. Daneben könnten Banken Einbußen ihrer Kreditforderungen erleiden. Eine Störung der russischen Energielieferungen nach Europa könne überdies das Wirtschaftswachstum empfindlich stören - mit entsprechenden weitreichenden Folgeeffekten wie steigende Preise und sinkende Unternehmensgewinne. „EU-Sanktionen gegenüber Russland scheinen daher fragwürdig, ja vermutlich eher kontraproduktiv zu sein“, sagte der Professor an der Frankfurt School of Finance, der zugleich Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel GmbH ist.

Russland hat derweil die vollständige Kontrolle über die Militärstandorte auf der Krim übernommen. Wie Generalstabschef Waleri Gerassimow mitteilte, wurde heute früh bei Zeremonien an insgesamt mehr als 190 Stützpunkten die russische Flagge gehisst. Gestern hatten russische Soldaten nach ukrainischen Angaben das letzte Schiff auf der Krim gestürmt, das noch unter Kontrolle der Ukraine stand.

Nach Angaben von Gerassimow müssen noch knapp 1.500 ukrainische Soldaten die Halbinsel verlassen, weil sie ihren Dienst nicht bei den russischen Streitkräften fortsetzen wollen. Die ukrainischen Streitkräfte sollen nach dem Willen von Übergangspräsident Alexander Turtschinow in diesem Jahr an Militärmanövern mit Nato-Partnern teilnehmen. Er rief das Parlament in Kiew auf, einer Beteiligung an den Übungen zuzustimmen.