Bei einem Überfall von Neonazis auf eine DGB-Maikundgebung in Weimar wurden vier Menschen verletzt. Der SPD-Abgeordnete Carsten Schneider war vor Ort - und zieht Parallelen zu den 30er-Jahren.
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© dpaTeilnehmer einer Mai-Kundgebung werden von Rechtsextremisten bedrängt, Weimars Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD, Mitte blaues Sakko) geht dazwischen
In Weimar haben Rechtsextreme am Freitag eine Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) gestürmt. Die etwa 50 Angreifer hätten die Versammlung auf dem Marktplatz der thüringischen Stadt gestört, wie eine Polizeisprecherin mitteilte. Sie entrissen dem Weimarer Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD) und dem SPD-Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider die Mikrofone, brüllten rechte Parolen und rempelten mehrere Zuhörer an.

Schneider ist noch am Freitagnachmittag, Stunden nach der Nazi-Attacke, schockiert. "Ich habe so etwas lange nicht mehr erlebt", sagt Schneider der "Welt". "Die Nazis traten sehr bewusst und aggressiv auf, fast militärisch. Sie schüchterten all diejenigen ein, die der Einladung der Gewerkschaften gefolgt waren."

Schneider, zu dessen Wahlkreis Weimar zählt und der hier schon lange ein Büro unterhält, zieht eine historische Verbindung zum rechtsextremen Terror während der Weimarer Republik. "Das war wie ein Überfall in den 30er-Jahren", sagt der 39-Jährige, "als die Nationalsozialisten damals Veranstaltungen von Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaften störten."

Den Polizeiangaben zufolge wurden vier Menschen verletzt, Wolf und Schneider blieben unversehrt. 29 Angreifer wurden vorläufig festgenommen, sie seien teilweise als Angehörige der rechten Szene bekannt.

Gut organisiert und offenbar von langer Hand geplant worden sei der Auftritt der jungen Rechtsextremen. "Die sind geschlossen marschiert, haben sich nicht auseinanderdividieren lassen", sagte Schneider. Er schätzt das Alter der Täter auf 20 bis 23 Jahre, "und sie wussten genau, was sie taten".

"Die waren ja nicht einmal vermummt"

Erst drängten sie Schneider vom Mikrofon weg, kaperten dann das Mikrofon, umringten jenen Kameraden, der das Mikro in der Hand hielt, berichtet der SPD-Politiker. "Arbeiterverräter" und andere Parolen hätten sie gebrüllt.

"Das waren auswendig gelernte Sprüche, klar choreografiert", sagt Schneider. Er selbst steht am Freitagnachmittag nach eigenen Worten noch so unter Adrenalin, dass er den genauen Wortlaut des Nazi-Vokabulars nicht wiedergeben kann.

Mit Holzschildern hätten die jungen Rechtsextremen unter anderen auf einen älteren Herrn eingeprügelt, ihn sodann in den Schwitzkasten genommen. "Als wir dann den Strom abgestellt haben, verschwanden sie ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren", berichtet Schneider. Was den Politiker bei alldem umtreibt, ist das direkte und konfrontative Auftreten der Nazis.

"Die waren ja nicht einmal vermummt. Offenbar fühlen sie sich von Teilen der Gesellschaft unterstützt. Wenn das so ist, dann haben wir es wirklich mit einer zugespitzten gesellschaftlichen Stimmung zu tun." Immerhin, die Rechtsextremisten konnten später in einer Tiefgarage festgenommen werden. "Das ist das einzig befriedigende an diesem Tag", sagt Schneider.

Die Linke fordert harte Konsequenzen

Thüringens Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow zeigte sich erschüttert. Der Überfall, den sie der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten zuschrieb, "muss harte Konsequenzen haben", forderte Hennig-Wellsow. Das Verbot von Neonazi-Strukturen müsse schnell auf die politische Tagesordnung.

In Thüringen fanden am Freitag zudem zwei Neonazi-Aufmärsche statt. In Erfurt standen nach Polizeiangaben rund 200 NPD-Anhänger ebenso vielen Gegendemonstranten gegenüber. In Saalfeld demonstrierten etwa 600 Menschen gegen einen rechtsextremen Aufmarsch mit rund 500 Teilnehmern.

mit dpa