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© ShutterstockDie Masken fallen: Beide Seiten spielen eine Scharade
Letztes Wochenende war es wieder einmal so weit: Ein Mitglied der griechischen Regierung - dieses Mal Nikos Voutsis - verkündete aller Welt, dass sein Heimatland jene 1,5 Milliarden Euro, die im Juni zur Zahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) fällig werden, nicht habe. Daher sei man logischerweise auch nicht in der Lage, das Geld an den IWF zu überweisen. In der Folge vermeldeten einige Medien bereits den Bankrott des Landes - und so manch einer mag sich gedacht haben: Endlich!

Doch wie so oft ein klassischer Fall von zu früh gefreut. Denn der Chef von Voutsis, also der griechische Premier Alexis Tsipras, erklärte kurz darauf, dass man selbstverständlich seine Schulden gegenüber dem IWF begleichen wolle. Dies sei schließlich auch das Ergebnis einer Abstimmung im Syriza-Lager gewesen. Zwar schränkte er seine Aussage gleich dahingehend ein, dass man natürlich nur zahlen werde, wenn man denn könne. Aber er zeigte sich zuversichtlich, dass es auch im Juni noch einmal gut gehen werde. Außerdem, so behauptete er, sei man ja auf einem sehr guten Wege, sich mit den Gläubigern zu einigen.

Vermutlich hatte man einfach nur vergessen, den guten Nikos Voutsis über die Barreserven unter dem Amtssitz von Janis Varoufakis zu informieren. Was ja auch der Arbeitsteilung entspräche, schließlich ist der Mann Innenminister. Das Staatsbudget gehört also nicht wirklich zu seinen Aufgaben. Vielleicht aber, und das erscheint offen gestanden viel wahrscheinlicher, war es einfach nur ein weiterer Akt des Schauspiels, mit dem alle beteiligten Akteure seit nunmehr fast fünf Jahren die Wirtschafts- und Finanzwelt im besonderen und alle übrigen im allgemeinen unterhalten.

Der eine verkündet: „Nun sind wir aber wirklich pleite“, der andere verkündet: „Naja, wir wollen es doch noch einmal versuchen, irgendwie könnte es klappen, und wir sind ja eigentlich auf einem guten Weg“, und dann kommt der Dritte im Bunde vorbei und erklärt: Ja, man werde tun, was man könne, aber die Gegenseite müsse sich nun auch endlich bewegen. Das gebeutelte Griechenland benötige dringend Erleichterungen und die Erlaubnis, den Austeritätskurs etwas aufzuweichen. So war es denn auch. Finanzminister Janis Varoufakis, der scheinbar mit einer Zweitkarriere als investigativer Reporter liebäugelt und dafür schon einmal Material sammelt, übernahm eben jenen Part für dieses Mal.

Dabei ist es ja so, dass die sogenannten Retter - selbst wenn sie denn wollten - sich schon etwas schwertäten, den Griechen noch echte Erleichterungen zukommen zu lassen. Schließlich müssen auf die meisten Kredite bis 2022 gar keine Zinsen gezahlt werden. Darüber hinaus wurden viele Kredite bereits gestundet und ihre Rückzahlung so weit in die Zukunft vertagt, dass man fast von einer Verlängerung bis zum Sankt Nimmerleinstag sprechen darf.

Aus Sicht des Schuldners freilich darf es immer ein bisschen mehr sein, was die Gläubiger ihm zugestehen. Aber sogar glühenden Europäern wie Manfred Schulz oder Jean-Claude Juncker dämmert es inzwischen, dass es auf Dauer nicht gut gehen kann, immer weiter Geld einfach so nach Griechenland zu schicken. Weitere Erkenntnisprozesse allerdings verhindert die glühende, um nicht zu sagen lodernde Europhilie. Etwas weiter scheint da Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er will immerhin den Grexit nicht mehr per se ausschließen. Auch Christine Lagarde, Chefin des IWF, nannte am Rande des G7-Treffens den Austritt der Hellenen aus der Währungsunion „eine Möglichkeit“, die zwar kein Spaziergang sei, aber auch nicht das Ende des Euro bedeuten würde. Den beiden dürfte mit ihrer Haltung viel Zustimmung, gerade bei den Bundesbürgern, zuteilwerden. Schließlich dürfe man sich des Drohpotentials eines möglichen Grexits nicht entledigen, so hört man.

Allerdings darf man auch annehmen, dass die beiden „Topjuristen“ Lagarde und Schäuble sehr genau wissen, dass der Grexit nur dann eine Möglichkeit ist, wenn ihn die Hellenen selbst wollen. Genau das aber kann mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Ein Austritt aus der Währungsunion ist schließlich nur mit einem Austritt aus der EU möglich. Dann aber brächte sich Athen um wenigstens 40 Milliarden Euro, die dem Land aus den diversen Fördertöpfen der EU bis 2020 zufließen werden. Viel Geld, das sicherlich fest eingeplant und vielleicht auch schon ausgegeben ist.

So darf man also auch davon ausgehen, dass das ganze Gerede vom Grexit Teil der Scharade ist, die beide Seiten aufführen. Schäuble gibt dabei den ganz harten Hund. Auch der IWF zeigt sich hart, gibt aber schon ein bisschen die Richtung vor. Schließlich sprach Lagarde nicht nur vom Grexit als einer Möglichkeit, sondern auch davon, dass EZB und EU den Griechen etwas „Luft zum Atmen“ geben sollten. Irgendwer spielt den Vermittler - vielleicht Juncker - , und am Ende darf noch irgendjemand, der gerade etwas Publicity nötig hat, vor die Kameras treten und eine erfolgreiche Einigung verkünden.

Zu Hause können beide Parteien dann jeweils den Bürgern und Wählern die großen Erfolge der jeweils eigenen Hartnäckigkeit verkünden. Die mit der EZB assoziierten Investmentbanken und Hedgefonds erfahren während der Hintergrundgespräche im Kaminzimmer wie immer als erste von den konkreten Inhalten des gerade abgeschlossenen Deals. Dank des so von den befreundeten Direktoren der EZB konziliant gewährten Informationsvorsprungs machen sie satte Gewinne. Diese nutzen sie theoretisch zur Auffüllung des Eigenkapitals und ganz praktisch zur Finanzierung der nächsten Bonuszahlung.

Eines ist wohl sicher: Spätestens zum 5. Juni, wenn eine weitere Tranche an den IWF fällig wird, ist Griechenland „gerettet“ - vorerst wenigstens. Danach geht das Spiel von neuem los. Spätestens im Herbst schließlich wird uns dann die Notwendigkeit eines dritten Hilfspakets für Griechenland präsentiert werden. Offiziell natürlich nicht, weil das Land pleite ist, sondern weil es ja auf einem guten Wege ist, den man als solidarischer Europäer unbedingt unterstützen müsse. Im Zweifelsfall wird dann auch nicht mehr von einem Hilfspaket gesprochen werden, sondern von einem Solidaritäts- und Restrukturierungsfonds oder so, den man einrichten will. Das Geld hierfür kommt dann vermutlich auch nicht mehr direkt von den EU-Ländern, sondern vom ESM. Ob damit weitere Vertragsvereinbarungen gebrochen werden, stört sicherlich niemanden. Also zumindest niemanden, der den Vertragsbruch verhindern könnte.

Davon abgesehen werden alle Hilfs- und Rettungsprogramme auch weiterhin nicht zur Besserung in Griechenland führen. Die Wirtschaft wird sich weiterhin nicht erholen. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die der Jugend, wird weiterhin dramatisch hoch bleiben. Echte Reformen wird es nicht geben. Die Etablierung einer funktionierenden Rahmenordnung, innerhalb derer sich die Wirtschaft frei entfalten kann, werden die Griechen ebenso wenig erleben. Mit anderen Worten: Die Verelendung des Volks wird weitergehen, weil innerhalb der Euro-Zone keine Chance auf Erholung besteht und der Austritt aufgrund der dann ausbleibenden EU-Gelder noch viel unattraktiver ist.

Übrigens spüren auch die Deutschen keinerlei Folgen aus den Rettungsprogrammen und den Milliarden, die über den Jordan oder passender den Isthmus von Korinth gehen. Sie wähnen sich im Paradies mit boomender Wirtschaft, boomenden Aktien- und Immobilienmärkten und einer vermeintlich sensationell niedrigen Arbeitslosenquote. Gut, es gab mal eine Zeit, da hätte eine Arbeitslosenquote von sechs Prozent Massenproteste ausgelöst, aber sei’s drum. Das ist zum einen lange her, und zum anderen sind solche Quoten ja stets relativ. Wie dem auch sei, hierzulande werden die Folgen des alternativlosen Euro-Rettungsreigens im Namen der viel beschworenen europäischen Solidarität und des Friedens an sich erst sehr viel später gespürt werden. Dann nämlich, wenn die Rechnung kommt - und die kommt bekanntlich erst ganz zum Schluss.