Der italienische Neurochirurg Sergio Canavero hat für Ende 2017 die Transplantation eines menschlichen Kopfes angekündigt. Er beschrieb eine 36-stündige Operation, bei der der Kopf eines hirntoten Körperspenders entfernt und durch den gesunden Kopf eines körperlich schwer Kranken ersetzt werden soll.

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Die Technik zur Durchführung des Verfahrens existiere bereits, behauptet Canavero. Er schätzt die Erfolgsaussichten auf circa 90 Prozent. Indes erheben viele Chirurgen und Wissenschaftler ernste Einwände gegen seine Argumente.

In der britischen Zeitung The Independent untersucht Darren Ó Hailín, der an der Universität Freiburg an seiner Doktorarbeit über molekulare Medizin forscht, die wissenschaftlichen Probleme, die in Canaveros ehrgeizigem Plan nicht zur Sprache kommen.

Das Rückgrat wieder zusammenfügen?

Canaveros Plan beginnt damit, dass das Rückenmark des Spenderkörpers und der Kopf des Patienten auf unter 20 °C heruntergekühlt würden; dadurch blieben beide Nervensysteme für weniger als eine Stunde am Leben. In dieser Zeit müssten die Chirurgenteams beide Köpfe entfernen und den Kopf des Patienten an Rückgrat und Blutgefäße des Spenders anschließen.

Canavero plant, beide Rückgrate mit einer Klebstoff-ähnlichen Substanz namens Polyethylenglykol (PEG) zu verkleben. Blutgefäße, Muskeln und Bindegewebe würden dann mit konventioneller Nahttechnik verbunden. Der Patient würde anschließend für drei bis vier Wochen in ein künstlichesKoma versetzt, um sich von dem Eingriff zu erholen.

Der Vorschlag basiert auf der Tatsache, dass sich das Rückenmarksgewebe zwar technisch gesehen wieder verbinden kann, es jedoch praktisch nie dazu kommt, weil bei Rückenmarksverletzungen fast immer zu viele der empfindlichen Nervenverbindungen zerquetscht werden, sodass eine Erholung unmöglich ist.

Canavero besteht darauf, mit einem hinreichend scharfen Skalpell, dem PEG-Klebstoff und einer elektrischen Stimulation ließen sich die beiden Rückgrate verbinden.

Kein Beweis, dass das Verfahren funktionieren könnte

Ó Hailín identifiziert mehrere schwere Fehler an Canaveros Vorschlag. Zunächst sei es im Tierversuch noch nie gelungen, zwei Rückgrate zu vereinen. Außerdem wurde nie demonstriert, dass ein abgetrennter Kopf für die Stunde, die Canaveros Plan verlangt, am Leben gehalten werden könnte.

Zudem bestehen bei dem Plan theoretische Probleme. Nervengewebe kann sich zwar theoretisch selbst heilen, Rückgratverletzungen führen jedoch fast immer zu sogenannten Glianarben. Die bilden sich, wenn Immunzellen das Gebiet einer Rückgratverletzung fluten, um Lücken in Neuronen zu schließen und weitere Schäden zu verhüten. Die Zellen fluten das Gebiet auch mit chemischen Substanzen, um zu verhindern, dass sich Nerven wieder verbinden. Dieses Problem wird in Canaveros Plan nicht einmal erwähnt.

Darüber hinaus bezweifeln Forscher, dass sich durch PEG plus elektrische Stimulation tatsächlich ein funktionierendes Rückenmark bilden ließe. Einige Tierstudien haben zwar gezeigt, dass sich das Rückgrat von Tieren so weit wieder verbinden lässt, dass gewisse Muskelbewegungen ermöglicht werden.

Es ist aber nicht klar, ob sich auch das Gefühl wiederherstellen lässt. Zudem wurden keine Experimente durchgeführt, bei denen das Rückenmark im Nacken durchtrennt wurde.

»Bei Canaveros Verfahren würde das Rückgrat in der Zervikalregion durchtrennt, wo Axone Signale übertragen, die an lebenswichtigen Funktionen beteiligt sind«, schrieb Ó Hailín. »Eine nichterfolgreiche Fusion dieser Axone würde einen Patienten gelähmt lassen, er müsste mit einer Maschine atmen.«

Canavero verweist auf eine chinesische Studie, die seiner geplanten Operation ähnele. Dabei wurde der Hirnstamm des Spenderkörpers, der lebenswichtige Funktionen wie die Atmung steuert, intakt gelassen.

Selbst in diesem Fall überlebten nur 18 der 80 Mäuse, und das nur als »Köpfe ... die im Wesentlichen auf einen paralysierten Inkubator genäht wurden«, sagte Ó hAilín.

Weitere Hürden sind unter anderem die nicht beantwortete Frage, ob ein Gehirn die Kontrolle über einen völlig neuen Körper übernehmen kann, und die Möglichkeit, dass sich die beiden Körper abstoßen oder bekämpfen.

Selbst bei Handtransplantationen, die deutlich weniger kompliziert sind, kommt es oft vor, dass das Immunsystem die neue Hand attackiert.

Quellen für diesen Beitrag waren u.a.:

Independent.co.uk