Tu-95-Bomber
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Mit einem Atomantrieb wäre ein Bomber zu sehr langen Flügen fähig - und es gelang sowjetischen Konstrukteuren, die Aufgabe technisch zu meistern. Auch heute wirken die Ausmaße jenes Projekts beeindruckend.

Da die Raketen in den 1950er Jahren noch nicht so fortgeschritten waren, wurde sowohl in Moskau als auch in Washington damals an anderen Optionen getüftelt, um nukleare Sprengsätze zu transportieren. In dieser Hinsicht kamen atomgetriebene Bomber in Betracht. Nun berichtet der russische Sender Swesda über einige Einzelheiten jenes sowjetischen Projekts.

Ein Regierungsdekret aus dem Jahr 1955 schrieb vor, mit den entsprechenden Entwicklungsarbeiten zu beginnen. Das erste technische Problem bestand darin, einen kleinen Reaktor zu bauen. Der Flugzeugkonstrukteur Tupolew sagte den zuständigen Atomforschern unzufrieden: „Euer Reaktor ist groß wie ein Haus. Ihr solltet aber wissen: Häuser fliegen nicht.“ Letztendlich gelang es doch, die Aufgabe zu meistern. Der konstruierte Reaktor war nicht größer als ein Schrank.

Am eigentlichen Flugzeug arbeitete neben Tupolews Team auch das Konstruktionsbüro Mjassischew. Dieses entwarf einen Bomber mit dem Codenamen M-60 und beispiellosen technischen Daten. Die Geschwindigkeit der Maschine betrug bis zu 3.200 km/h, die Reichweite 25.000 Kilometer, das Startgewicht mehr als 250 Tonnen.

Die Besatzung sollte in einer 60 Tonnen schweren Bleikapsel sitzen, um vor Strahlung geschützt zu sein. Bildschirme und Periskope sollten den Piloten die Sicht ermöglichen. Geplant war eine zum Teil automatisierte Steuerung. Später wurde auch vorgeschlagen, die Maschine völlig unbemannt zu machen. Doch für jene Zeit erschien die Idee allzu revolutionär. Die Maschine verursachte außerdem eine radioaktive Verseuchung - sowohl an ihren Standorten als auch im Flug. Dies trug dazu bei, dass das M-60-Projekt eingestellt wurde.

Für die weiteren Entwicklungsarbeiten war das Konstruktionsbüro Tupolew zuständig, das ein fliegendes Atomlabor auf Basis des Tu-95-Bombers baute. Die Testflüge fanden auf dem nuklearen Versuchsgelände Semipalatinsk statt. Insgesamt stieg die atomgetriebene Maschine 38-mal in den Himmel. Es wurde dabei getestet, wie der Reaktion Überbelastungen und Vibration verkraftet.

Der Reaktor wurde im Heck montiert, um vom Cockpit so weit wie möglich entfernt zu sein. Dieses war insbesondere durch eine fünf Zentimeter dicke Platte aus Blei geschützt. Obwohl die Strahlungsgefahr sowohl für die Umwelt als auch für die Crew deutlich reduziert werden konnte, wurde beschlossen, nur Piloten über 40, die schon Kinder hatten, mit diesen Missionen zu beauftragen. Nach jedem Flug musste die Maschine wegen Radioaktivität für mehrere Wochen in einen isolierten Raum.

Trotz dieser Probleme bestätigten die Testflüge, dass die Aufgabe machbar ist. Tupolews Team startete die Entwicklungsarbeiten am neuen Bomber Tu-120 mit einem Atomantrieb. Aber auch dieses Projekt konnte nicht zu Ende gebracht werden. Zum Teil ging das auf technische Schwierigkeiten zurück: Je stärker wurde der Reaktor, desto mehr Strahlungsgefahr bestand für die Besatzung. Außerdem wurden die Prioritäten korrigiert: In den Vordergrund rückten strategische Atomraketen. Unterdessen stellten auch die USA die Arbeit an ihrem atomgetriebenen Bomber ein.

Dafür versuchte die Sowjetunion Mitte der 1960er Jahre, ein nukleares U-Jagd-Flugzeug zu entwickeln. Für diese Zwecke kam die An-22 in Frage. Die Maschine sollte in der Lage sein, zwei Tage lang über einem Meeresgebiet zu kreisen, um das anvisierte gegnerische U-Boot bei Bedarf zu zerstören. Das Flugzeug startete mit einem konventionellen Triebwerk, erst dann sprang der Atomantrieb an. Insgesamt gab es 22 Testflüge. Die Strahlungsgefahr für die Besatzung erwies sich als minimal, doch es begann eine Entspannung zwischen Moskau und Washington, die zum Verzicht auf das Projekt beitrug.

Im 21. Jahrhundert wurde die Idee eines fliegenden Kernreaktors neu aufgegriffen, obwohl es nicht mehr um Bomber geht. In den USA wurde die Entwicklung eines Atomantriebs für eine Aufklärungsdrohne finanziert. Sowohl in Amerika als auch in Russland beschäftigt man sich außerdem mit der Frage, ob sich interplanetare Raumflüge mit Atomantrieben verwirklichen lassen.