Was entscheidet darüber, ob ein Mensch als charismatisch wahrgenommen wird? Forschern ist es endlich gelungen, das Geheimnis zu entschlüsseln.

Marilyn Monroe hatte es, ebenso Gandhi oder John F. Kennedy: Charisma. Wenn man Menschen darum bittet, bekannte charismatische Persönlichkeiten aufzuzählen, fallen ihnen oft die selben Namen ein. Wer es hat, darauf scheint man sich also recht schnell einigen zu können.

Wenn man jedoch fragt, was es denn genau ist, dieses Charisma, blickt man meist in ziemlich ratlose Gesichter. „Dann wird es sehr vage: Einige sagen, es sei etwas Magisches, eine Gabe.

Andere bezeichnen es als Aufgeschlossenheit oder meinen, es hänge von der Situation ab“, erklärt der US-Psychologe Ronald Riggio vom Kravis Leadership Institute am Claremont McKenna College.

Auch die Psychologen haben sich lange Zeit schwer damit getan, diese beinahe magische Anziehungskraft mancher Menschen genauer zu beschreiben. Auch Riggio hat schon vieles ausprobiert, und in den vergangenen Jahren schließlich den „Social Skill Inventory“ entwickelt.

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© dpaGestik sagt mehr als 1000 Worte: Souveräner Auftritt - die Körperhaltung spricht Bände und signalisiert dem Gegenüber, wie gut sich jemand in seiner Rolle fühlt.
Mit 90 Fragen versucht der Testbogen das Charisma seiner Probanden einzufangen. Er misst drei Komponenten: Expressivität, Kontrolle und Sensitivität und unterteilt sie jeweils in eine emotionale und in eine soziale Facette.

Während soziale Expressivität die Fähigkeit beschreibt, sicher und eloquent öffentlich aufzutreten, zu sprechen und andere mühelos in Gespräche zu verwickeln, ist emotionale Expressivität das Talent, Gefühle unvermittelt und authentisch auszudrücken und an andere weiterzugeben. Charismatische Menschen können das besonders gut mit positiven Gefühlen - sie erhellen einen Raum, den sie betreten, und stecken andere mit ihrer positiven Energie an. „Expressivität ist die Spitze des Eisberges“, sagt Riggio, „das, was am sichtbarsten ist.

Wutausbrüche sind charismatischen Menschen fremd

Aber darunter liegen noch andere, komplexere Verhaltensweisen.“ Soziale Kontrolle bedeutet beispielsweise, sich schnell auf sehr unterschiedliche Menschen und Situationen einstellen zu können und sein Verhalten anzupassen. Und emotionale Kontrolle erfasst die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Gefühlsausdrücke gut zu kontrollieren. Charismatische Menschen treten deshalb selten in ein Fettnäpfchen oder erschrecken andere mit Wutausbrüchen.

Und Sensitivität ist es, die es charismatischen Menschen ermöglicht, schnell sehr tiefe emotionale Verbindungen zu anderen aufzunehmen. Die soziale Facette sorgt dafür, dass sie die Stimmung und Atmosphäre in Gruppen schnell erfassen und sich taktvoll auf sie einstellen. Die emotionale dagegen lässt sie wohlwollend und einfühlsam auf Einzelne zugehen und vermittelt ihnen das Gefühl, in diesem Moment der einzig Wichtige zu sein.

Diese sechs Fähigkeiten sind Riggio zufolge die Grundpfeiler des Charismas. Doch sie müssen nicht nur vorhanden sein, sondern auch in ihrer Ausprägung genau ausbalanciert. Denn wer zwar sehr expressiv ist, aber andererseits wenig sensitiv, der wirkt laut Riggio eher komisch als charismatisch.

Viele Aspekte von Charisma lassen sich also durch eine außergewöhnliche Kommunikation erklären: die sichere, sensible und wortgewandte Fähigkeit, eigene Gefühle auszudrücken und die der anderen bis in Feinheiten wahrzunehmen.

Körpersprache hat entscheidenden Einfluss

Doch auch das ist noch lange nicht alles. Weil Charisma viel Kontrolle und Einfluss über andere geben kann, haben Wissenschaftler besonders erfolgreiche Führungspersönlichkeiten genau studiert. Dabei haben sie herausgefunden, dass neben der Eloquenz auch die Körpersprache einen sehr großen Einfluss darauf hat, ob jemand als charismatisch wahrgenommen wird, oder nicht.

Besonders faszinierende Schauspieler, Politiker oder Musiker sind mit ihrem Körper ebenso ausdrucksstark wie mit ihren Worten. Sie lächeln viel, haben eine große Bandbreite an emotionalen Gesichtsausdrücken und eine lebendige Körpersprache, außerdem eine freundliche und gleichzeitig leidenschaftliche Stimme.

Und sie sind Meister der Synchronizität: sprechen sie mit jemanden, so passen sie sich in ihren Gesten und Gesichtsausdrücken dem Gegenüber automatisch an. Das macht unwillkürlich sympathisch. Menschen, die sehr gut darin sind, wirken charismatischer als andere, fand der US-Psychologe Frank Bernieri von der Oregon State University heraus.

Bei der Analyse von politischen Reden entdeckte Ronald Riggio noch etwas Spannendes. Charismatische Politiker wie Franklin D. Roosevelt oder Barack Obama nutzen demnach doppelt so viele Metaphern wie andere Redner und machen es dadurch ihren Zuhörern einfacher, sich emotional mitreißen zu lassen.

Doch auch die Situation spielt eine entscheidende Rolle dafür, wann jemand als charismatisch erlebt wird. Die Psychologin Maia Young von der University of California konnte mit ihren Kollegen in einer gerade veröffentlichten Studie zeigen, dass Charisma oft eher im Kopf des Betrachters entsteht als aus den Gegebenheiten der Realität.

In der Studie wurden den Teilnehmern in drei Experimenten jeweils unterschiedliche Informationen darüber gegeben, wie ein Manager mit einem Projekt erfolgreich wurde. Als besonders charismatisch und kreativ wurde die Person beurteilt, bei der es keine Informationen dazu gab, wie viele Arbeitsstunden und Mühen hinter dem Erfolg des Projektes steckten. Der Erfolg wurde dann als visionär wahrgenommen und dem Manager besondere Fähigkeiten zugesprochen.

Charisma kann also auch eine Illusion sein, besonders wenn man das Gegenüber nicht so gut kennt. Die Autoren der Studie ziehen daraus den folgenden Schluss: „Erfolg in Geschäftsangelegenheiten und in der Politik kommt nicht nur von erfolgreichen Taten, sondern ist auch maßgeblich davon abhängig, wie gut man die Interpretationen dieser Erfolge beeinflussen kann.“

Charisma ist und bleibt indes eine sehr komplizierte Sache. Auch wenn man inzwischen Rezept und Zutaten für das Erfolgsgeheimnis kennt, hängt das Ergebnis wohl noch immer maßgeblich davon ab, wer den Kochlöffel schwingt.