ruined building Libya
© Esam Omran Al-Fetori / ReutersEin historisches Gebäude, das während eines Kampfes zerstört wurde, Benghazi, Libyen, 28. Februar 2018
Libyen bleibt ein gesetzloses Land, in dem rivalisierende Milizen in den Straßen von Tripolis gegeneinander kämpfen und über 1 Million Menschen Hilfe benötigen. Aber die "liberalen Interventionisten" des Westens interessieren sich nicht für die Katastrophe, die sie angerichtet haben.

"Hunderte von Menschen entkommen aus Gefängnis inmitten tödlicher Auseinandersetzungen in Tripolis", lautete eine Schlagzeile auf der Website der BBC News, die diese Woche veröffentlicht wurde.

Mehr als 60 Menschen sind bei den derzeitigen Kämpfen ums Leben gekommen, viele weitere wurden verletzt und Hunderte von einfachen Bürgern sind vertrieben worden. Die jüngsten Unruhen begannen, nachdem die 7. Infanterie-Brigade "Kaniat" der Tarhuna ihren Vormarsch in die Hauptstadt vom Süden aus vornahm und mit einer Koalition von Tripolis-Milizen zusammenstieß.

Da fällt es wirklich schwer, die kämpfenden Parteien auseinanderzuhalten. Wenn Sie glauben, dass die Situation in Syrien kompliziert ist, dann haben Sie sich noch kein Bild von Libyen gemacht. Der BBC-Artikel bestätigte: "Libyen musste anhaltendes Chaos durchstehen, seitdem die von der NATO unterstützten Milizen, darunter einige Rivalen, im Oktober 2011 den langjährigen Herrscher Colonel Gaddafi gestürzt hatten."

Libyen hat konkurrierende Regierungen, die jedoch nicht den Großteil des Landes kontrollieren. Es gibt keine "Rechtsstaatlichkeit", sondern nur blanke Waffengewalt. Es ist schwer zu verkraften, dass sich Libyen, das vor nur zehn Jahren das Land mit dem höchsten Human Development Index [Index für Menschliche Entwicklung - AdÜ] in ganz Afrika war, zu einem fragmentierten und sehr gefährlichen "Failed State" [Gescheiterter Staat - AdÜ] zurückentwickelt hat. Im vergangenen Jahr berichtete die UN-Agentur IOM, dass Sklavenmärkte in das Land zurückgekehrt seien.

Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenbruch hat verheerende Auswirkungen auf das Leben der einfachen Libyer gehabt.

Schauem Sie sich beispielsweise die Gesundheitsversorgung an. Eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Gesundheitsministerium durchgeführte Umfrage zur Dienstverfügbarkeit und Einsatzbereitschaft im Jahr 2017 ergab, dass 17 von 97 Krankenhäusern geschlossen sind und nur vier Krankenhäuser zwischen 75 und 80 % ihrer Leistungskapazität erreichten. Über 20% der Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung sind geschlossen, und der Rest ist nicht zu einer "ausreichenden Dienstbereitstellung in der Lage".

Im Mai 2016 äußerte die WHO auch "große Besorgnis" über den Tod von 12 Neugeborenen auf der neonatalen Intensivstation des Sabah Medical Centre in Sabha, Südlibyen. Sie berichtet: "Die Todesfälle sind auf eine bakterielle Infektion und den Mangel an medizinischem Fachpersonal zurückzuführen."

Das Bildungssystem ist ebenfalls im Zusammenbruch oder Beinahe-Zusammenbruch begriffen. Im Jahr 2016 wurde berichtet, dass der Beginn des Schuljahres aus "Mangel an Büchern, mangelnder Sicherheit und vielen anderen Faktoren" verschoben wurde.

Es wurde festgestellt, dass das libysche Schuljahr seit dem Sturz von Gaddafi keinen regelmäßigen Verlauf mehr gehabt hatte. UNICEF erklärte in diesem Jahr, dass 489 Schulen von dem Konflikt betroffen seien und dass rund 26.000 Schüler aufgrund von Schließungen zum Schulwechsel gezwungen waren.

UNICEF sagt auch, dass 378.000 Kinder in Libyen humanitäre Hilfe benötigen, 268.000 Menschen sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygieneartikel. 300.000 Menschen brauchen eine Soforthilfeausbildung. Insgesamt sind es 1,1 Millionen Menschen in Libyen, die humanitäre Hilfe benötigen.

Angesichts der katastrophalen Situation ist es nicht verwunderlich, dass so viele Libyer das Land verlassen haben und es immer noch verlassen. Im Jahr 2014 wurde berichtet, dass zwischen 600.000 und 1 Million Menschen nach Tunesien geflohen seien.

Wenn wir jene hinzuzählen, die nach Ägypten und anderswohin ausgewandert sind, werden es wahrscheinlich mehr als 2 Millionen sein, was ziemlich erschütternd ist, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung Libyens im Jahr 2011 etwa 6 Millionen Einwohner zählte.

Wie ich in einem vorangegangenen Gastkommentar argumentierte, war der Angriff des Westens auf Libyen ein noch schlimmeres Verbrechen als die Invasion des Irak, weil er später stattfand. Angesichts der folgenschweren "Regime Change"-Operation von 2003 ist es unentschuldbar, ein ähnliches Vorhaben in Nordafrika unterstützt zu haben.

Doch die Verantwortlichen für das Geschehene wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Der damalige britische Premierminister David Cameron wird für Brexit (von Remainers) verantwortlich gemacht, nicht aber für das, was er den Libyern angetan hatte. Das gilt auch für die Behauptungen, die er zur Rechtfertigung der Militäraktion aufgestellt hatte. Und das, obwohl ein Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Unterhauses fünf Jahre später zu dem Schluss kam, dass "die Behauptung, Muammar Gaddafi hätte das Massaker von Zivilisten in Benghazi angeordnet, durch keinerlei verfügbare Beweise bestätigt werden konnte".

Nicolas Sarkozy, der französische Präsident im Jahr 2011, steht vor einem Prozess (oder Gerichtsverfahren) im Zusammenhang mit drei unterschiedlichen Untersuchungen. Unter anderem wurde er dafür verantwortlich gemacht, seinen Wahlkampf von Gaddafi finanziell mittragen zu lassen, nicht aber für seine Rolle, die er im Krieg gespielt hatte.

Bernard-Henri Levy, der Philosoph, der von manchen als der intellektuelle Pate der westlichen Intervention angesehen wird - und der mit dem Auspruch prahlte, "wir sind die ersten, die sagen, dass Gaddafi nicht mehr der rechtmäßige Repräsentant ist", führt ein Ein-Mann-Anti-Brexit-Spiel auf, während das Land, zu dessen "Befreiung" er beigetragen hatte, in Flammen steht.

In Staaten und in "liberalen" Kreisen im ganzen Westen werden Barack Obama und Hillary Clinton dafür gefeiert, dass sie nicht Donald Trump sind, aber was das Duo Libyen angetan hat, ist viel schlimmer als alles, was Trump bisher gemacht hat.

Und die britische Innenministerin, eine gewisse Theresa May, unter deren Aufsicht Überwachungsbefehle gegen Mitglieder der libysch-islamischen Anti-Gaddafi-Kampfgruppe aufgehoben wurden, ist jetzt Premierministerin und versucht, die moralische Oberhand gegenüber Russland zu gewinnen. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird Jeremy Corbyn als Politiker, der sich 2011 gegen die NATO-Aktion aussprach, deswegen ständig von den Medien angegriffen und als völlig inakzeptabel dargestellt. Wie verkehrt ist das denn?

Um auf die aktuelle Gewalt zurückzukommen, wird von einem von der UNO ausgehandelten Waffenstillstand zur Beendigung der Kämpfe in Südtripolis berichtet, der zum Zeitpunkt der Ausarbeitung zwar eingehalten wird, aber nicht optimistisch stimmt, wenn man bedenkt, wie frühere Waffenstillstände gescheitert sind. Ein Teil des Problems ist, dass das Land mit Waffen übersät ist. Die traurige Wahrheit ist, dass Libyen in Trümmern liegt und wahrscheinlich nie wieder aufgebaut werden kann. Es wurde ein enormes Verbrechen begangen, was man aber niemals denken würde, wenn man die Medien konsumiert, die kaum etwas darüber berichten.

Wir hatten diesen Sommer in Großbritannien zahlreiche Diskussionen über Israels "Existenzrecht" - und ob dessen Anfechtung einen zum "Antisemiten" macht, während die Realität die ist, dass Libyen - als moderner, funktionierender Staat - bereits aufgehört hat zu existieren. Und das scheint die Vertreter elitärer, etablierter Kreise kein bisschen zu stören. Man muss nur mal vergleichen, wie viele Spalten Text der "Rettung" Libyens im Vorfeld der "humanitären" NATO-Intervention vor siebeneinhalb Jahren gewidmet wurden und wie wenig Stellungnahmen über das Land heute zu lesen sind.

Versuchen Sie, die Namen einiger der führenden medialen Kriegsfalken in Bezug auf "Libyen" zu googeln und Sie sehen, dass sie sich nach 2011 tendenziell zurückhalten - und ihre Aufmerksamkeit auf die "Regimewechsel"-Propaganda in Syrien richten. Daraus kann man nur schließen, dass das einzige, was sie an dem Land interessierte, der Sturz von Muammar Gaddafi war. Nachdem man das erreicht hatte, war alles andere ganz egal.
Neil Clark ist Journalist, Autor, Sendungssprecher und Blogger. Er hat für viele Zeitungen und Zeitschriften in Großbritannien und anderen Ländern geschrieben, darunter The Guardian, Morning Star, Daily and Sunday Express, Mail on Sunday, Daily Mail, Daily Telegraph, New Statesman, The Spectator, The Week und The American Conservative. Er ist eine regelmäßige Koryphäe für RT und ist auch im BBC-Fernsehen und Radio sowie bei Sky News, Presse-TV und der Voice of Russia aufgetreten. Er ist Mitbegründer der Kampagne für öffentliches Eigentum @PublicOwnership. Sein preisgekrönter Blog ist unter www.neilclark66.blogspot.com. zu finden. Er twittert über Politik und Weltpolitik unter @NeilClark66