Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hat Drohbriefe an deutsche Unternehmen wegen dem deutsch-russischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 verfasst und sorgte damit für große Empörung in Berlin.
Reichstag Berlin
© CC BY 2.0 / Andy Hay / Reichstag, BerlinNord Stream 2: US-Botschafter lässt imperiale Muskeln spielen
Grenell drohte involvierten deutschen Unternehmern damit, dass sie von den USA mit Sanktionen belegt würden, sollten sie sich weiterhin an dem Projekt beteiligen.

Laut Sputnik zitierte die Bild am Sonntag aus dem Schreiben des US-Botschafters wie folgt:
"Wir betonen weiterhin, dass Firmen, die sich im russischen Energieexport-Sektor engagieren, sich an etwas beteiligen, das mit einem erheblichen Sanktionsrisiko verbunden ist", zitierte die Zeitung aus Grenells Schreiben. "Im Ergebnis untergraben Firmen, die den Bau beider Pipelines unterstützen, aktiv die Sicherheit der Ukraine und Europas."

~ Sputnik
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat daraufhin bereits zurückgegeben, dass dieses Projekt europäische Energiepolitik betrifft und dessen Belange daher nur seitens der beteiligten europäischen Länder entschieden werden sollten. Die USA hätten sich herauszuhalten, geschweige denn einseitige Sanktionen zu verhängen.

Andere deutsche Politiker äußerten sich weniger "diplomatisch" und noch klarer.

So meinte Fabio Di Masi, Vize-Vorsitzede der Linksfraktion im Bundestag laut einem Spiegel-Zitat von Sputnik:
"Der US-Botschafter hat offenbar den Eindruck gewonnen, er sei der Statthalter eines Imperators aus Washington in Deutschland", zitiert der Spiegel den Bundestagsabgeordneten. Extraterritoriale Sanktionen gegen deutsche Unternehmen seien völkerrechtswidrig.

~ Sputnik
Und der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Ralf Stegner, fragte in einem Twitter-Beitrag an:
"Ob Mister Grenell weiß, dass die Zeit der Hohen Kommissare in Deutschland vorbei ist?"

~ Sputnik
Er spielt damit laut Spiegel Online auf die Rolle der Repräsentanten der westlichen alliierten Besatzungsmächte an, welche diese 1949 in Westdeutschland auszuüben begannen.

Und Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, brachte an:
Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bezeichnete Grenells Briefe an deutsche Firmen als "eine neue und unakzeptable einseitige Verschärfung des Tons im transatlantischen Verhältnis". Im Anschluss daran betonte er, die Bundesregierung solle dagegen protestieren.

~ Sputnik
Die Reaktionen deutscher Politiker bringen genau auf den Punkt, was Grenell - als fleischgewordene Verkörperung US-imperialistischer Arroganz - mit seinem Verhalten ausdrückt: Dass die USA sich als Hegemonialmacht in Europa betrachten und Deutschland sowie andere europäische Staaten nichts anderes als ihre Vasallen sind - ähnlich den Provinzen im Römischen Reich wie Germanien, Gallien etc.

Natürlich fürchten die USA, ihr Vasall Deutschland könne ihnen politisch entgleiten, wenn er durch das Pipeline-Projekt einen engeren wirtschaftlichen Draht zu Russland entwickelt, das sie als oberste Bedrohung ihrer imperialen Stellung ansehen. An zweiter Stelle spielen natürlich US-Wirtschaftsinteressen eine Rolle: russisches Gas ist eine Konkurrenz für ihre eigenen durch Fracking gewonnenen Produkte, die für europäische Endverbraucher allerdings weit teurer wären als die russische Variante.

Ein Punkt, der in dem obigen Drohbrief-Zitat von Grenell aufgebracht wird, ist natürlich auch die Ukraine - Dreh- und Angelpunkt anti-russischer Interessen der USA in Europa:
"Im Ergebnis untergraben Firmen, die den Bau beider Pipelines unterstützen, aktiv die Sicherheit der Ukraine und Europas."
Es bleibt natürlich ein Rätsel, wie das Projekt Nord Stream 2 die Sicherheit der Ukraine und Europas eigentlich konkret untergraben soll. Die Ukraine ist natürlich in der westlichen Propaganda-Rhetorik gegen Russland in den vergangenen fünf Jahren immer als das "arme, schwache und misshandelte Opfer" angebracht worden - man könnte meinen, dass die Verwendung in diesem Kontext vermutlich an den "emotionalen Nerv" der im Brief Angesprochenen appellieren soll.

Was aber auch denkbar ist, laut Spiegel Online, dass die Ukraine und andere osteuropäische Staaten fürchten, dass ihnen Transitgelder entgehen, wenn der Durchfluss von Gas durch ihre Territorien nicht mehr genutzt werde.
Die USA und die Ukraine, aber auch einige östliche EU-Staaten wie Polen wollen das Projekt stoppen. Sie argumentieren mit der Bedrohung, die von Russland ausgehe. Für die Ukraine und andere osteuropäische Länder sind Transitgebühren für russisches Gas zudem eine wichtige Einnahmequelle.

~ Spiegel Online
In diesem Zusammenhang hatte Maas jedoch geäußert, dass Berlin Moskaus Zusicherung erhalten habe, dass der Gas-Transit auch nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 über die Ukraine (und andere Länder in Osteuropa) fortgeführt werde.

Was Grenell und seine Drohbriefe angeht, sollte es im Außen- sowie im Kanzleramt heute Beratungen geben, wie man weiter verfährt. Politiker hatten außerdem gefordert, den US-Botschafter einzubestellen.

In der Bundespressekonferenz heute wurde außerdem ein Resümee veröffentlicht, das impliziert, dass Deutschland - zumindest was Nord Stream 2 angeht - sich nicht von den USA an der Leine zerren lassen will. Wenn deutsche Politiker und die am Projekt beteiligten Unternehmen dieses auch bis zum Ende durchziehen, anstatt sich von derartigen Drohungen einschüchtern zu lassen, wäre das ein positiver Schritt. Denn diese wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland könnte dann auch eine solidere politische Wiederannäherung wahrscheinlicher werden lassen - vorausgesetzt, dass vernünftigere Politiker ihren Einfluss in Berlin geltend machen und die Interessen Deutschlands gegenüber denen der USA durchsetzen könnten.