Mehr Resistenzen gegenüber gängigen Medikamente bei Infizierten und Erkrankten als bislang angenommen

Eine aktuelle Studie aus Tansania lieferte erschreckende Hinweise auf rasant ansteigende Resistenzen gegenüber den gängigen HIV-Medikamenten insbesondere unter älteren Infizierten und Erkrankten. Forscher aus Würzburg, Tansania und Südafrika glauben, dass die WHO auf der Basis falscher Zahlen operiert und befürchtet gewaltige Auswirkungen ihres Befundes.

Für die Region um den Viktoriasee in Tansania sind die Zahlen eindeutig: Rund 19 Prozent der Erwachsenen über 25, die sich mit HIV infiziert haben, tragen Viren in ihrem Körper, die gegen die in Afrika gängigen Medikamente resistent sind. Das haben Forscher der Universität Würzburg und der Missionsärztlichen Klinik gemeinsam mit Kollegen aus Tansania und Südafrika herausgefunden. Die Wissenschafter haben dafür Patienten des Bugando Medical Center in Mwanza, der Partnerstadt Würzburgs in Tansania, untersucht.

Was die Zahl so brisant macht: Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die verantwortlich ist für die Richtlinien einer HIV-Behandlung auf dem afrikanischen Kontinent, geht bisher von einem deutlich niedrigeren Wert aus. Sie rechnet aufgrund ihrer Erhebungen mit Resistenzen in weniger als fünf Prozent der Fälle. Der Grund für die unterschiedlichen Zahlen könnte einfach sein: Die derzeitigen Richtlinien der WHO schließen einen Großteil der Bevölkerung von den Stichproben-Untersuchungen aus.

HIV-Therapie in Tansania

Seit dem Jahr 2004 gibt es in Tansania ein landesweites Therapieprogramm für HIV-Infizierte. Die Patienten erhalten ihre Medikamente in rund 200 Therapiezentren. Ende 2007 waren mehr als 165.000 Patienten in das Programm aufgenommen. HIV-positive Schwangere bekommen zusätzlich das Angebot einer speziellen Behandlung, um eine Übertragung auf das Neugeborene zu verhindern. Anders als in den industrialisierten Ländern, wo für HIV-Infizierte eine ganze Batterie von Medikamenten für eine maßgeschneiderte Therapie in den Apotheken steht, müssen sich die Mediziner in Afrika mit wenigen Medikamenten begnügen, die aus unterschiedlichen Hilfsprogrammen finanziert werden.

Die Gefahr dabei: Unter der Therapie können sich leicht resistente Viren bilden, die sich dann in der Bevölkerung ausbreiten. Wer sich mit solchen Viren infiziert, hat deutlich schlechtere Chancen, später selbst erfolgreich therapiert werden zu können. Der Anteil an Patienten, die sich mit resistenten Viren infiziert haben, wird damit zum Gradmesser des Therapieerfolgs der kommenden Jahre. Um diese Erfolgschancen zu kontrollieren, hat die WHO dazu aufgerufen, Teile der Bevölkerung Afrikas regelmäßig auf Resistenzen zu untersuchen.

Falsche WHO-Annahmen

Allerdings: "Die WHO empfiehlt in ihren Richtlinien, dass nur Patienten unter 25 in diese Untersuchungen aufgenommen werden", sagt Carsten Scheller. Scheller ist Privatdozent und Gruppenleiter am Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität und maßgeblich beteiligt an der Würzburger Studie. Der Grund für diese Beschränkung in der Auswahl klingt plausibel: Da es erst seit wenigen Jahren überhaupt eine Therapie gegen die HI-Viren in Tansania gibt, sollte man die Übertragung resistenter Viren lediglich bei den Patienten beobachten, die sich erst vor Kurzem mit HIV infiziert haben. Und diese frischen Infektionen - so die Überlegung der WHO - sollte man am ehesten in der jüngeren Bevölkerungsgruppe finden. "Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass mit dieser Auswahl die tatsächliche Verbreitung therapieresistenter Viren in der Bevölkerung dramatisch unterschätzt wird", sagt Scheller.

Den ersten Verdacht, dass die WHO-Zahlen zu optimistisch sein könnten, haben Kliniker aus Afrika geäußert. "Sie mussten feststellen, dass in manchen Gegenden beinahe jeder dritte Patient nicht mehr auf die Medikamente anspricht", sagt der Virologe. Deshalb beschlossen die Würzburger Wissenschaftler, eine Studie durchzuführen, in die sie auch Patienten älter als 25 Jahre aufnahmen.

Die Ergebnisse

88 bisher unbehandelte Patienten haben die Wissenschafter untersucht; 68 von ihnen waren älter als 25 Jahre. Während bei den unter 25-Jährigen nicht eine einzige Resistenz gegen die in Tansania verwendeten Medikamente gefunden wurde, waren bei den älteren Patienten erschreckende 19 Prozent mit resistenten Viren infiziert. Insgesamt entspricht dies einer Häufigkeit von rund 15 Prozent in der gesamten Stichprobe. "Besonders schlimm ist, dass fast 90 Prozent der Patienten, die mit resistenten Viren infiziert sind, auch bereits Resistenzen gegen die Reservetherapie tragen. Wenn diese erst einmal nicht mehr wirkt, gibt es nichts, was die Ärzte den Patienten noch anbieten können", sagt Scheller.

Die Ursache für diese hohe Resistenzrate ist bisher noch ein großes Rätsel. Neben der Übertragung bereits resistenter Viren bei der Ansteckung könnten eventuell auch andere Mechanismen eine Rolle spielen. So fanden die Forscher in zwei Proben Rückstände von HIV-Medikamenten, obwohl die Studienteilnehmer erklärt hatten, zuvor noch nie gegen HIV behandelt worden zu sein. "Das deutet darauf hin, dass sich zumindest einige Patienten selbst mit Medikamenten versorgen", so Scheller. Die Dunkelziffer könnte allerdings deutlich höher liegen, so die Vermutung der Forscher.

Therapiekonzepte neu überdenken

Noch ist nicht klar, ob die Zahlen aus Mwanza auf ganz Afrika hochgerechnet werden können. Dafür wollen die Forscher in einer weiteren Studie zusätzliche Regionen in das Untersuchungsprogramm aufnehmen. Klar ist allerdings: "Wenn unsere Zahlen flächendeckend gelten, stehen wir in Zukunft vor einem gewaltigen Problem", sagt Scheller. Dann müsse das bisherige Therapiekonzept für Afrika neu überdacht und um wichtige Elemente aufgestockt werden. Nach Meinung der Forscher sei aber bereits jetzt eine Ausweitung der WHO-Richtlinien hin zu einer altersübergreifenden Kontrolle der Verbreitung von resistenten Viren sinnvoll.

(red)

Abstract
PLoS ONE: HIV Drug Resistance (HIVDR) in Antiretroviral Therapy-Naïve Patients in Tanzania Not Eligible for WHO Threshold HIVDR Survey Is Dramatically High