Erfolgreicher sind die Egoisten, aber nur kurzfristig. Eine große Studie ergab: Wer selbstlos anderen Menschen hilft, lebt länger.
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© dpaWie Sex oder gutes Essen: Wer verschenkt, den belohnt das Gehirn mit Wohlgefühlen

Geben ist seliger als nehmen, behauptet nicht nur das Neue Testament, sondern seit einiger Zeit auch die Wissenschaft.

Eine groß angelegte US-Studie um Stephanie Brown vom Institute for Social Research konnte 2002 nämlich nicht nur zeigen, dass soziale Kontakte den Zeitpunkt der Sterblichkeit erheblich hinausschieben können, sondern auch, dass besonders die selbstlosen Menschen profitieren und sie sich darüber hinaus auch noch langfristig besser fühlen.

Helfende leben also länger und glücklicher, und zwar ganz unabhängig davon, wie sie sonst gestrickt sind. Denn Einkommen, Bildungsstand, berichteter Stress oder die Persönlichkeitsstruktur spielten für das Glück des Gebens keine besonders große Rolle.

Doch viele Wissenschaftler waren zunächst recht skeptisch: Selbstlosigkeit als Schlüssel zum Lebensglück passte nicht so recht zur evolutionsbiologisch geleiteten Überzeugung vieler Forscher. Die gingen eher davon aus, dass wer sich selbst der Nächste ist, in der Regel weitaus größere Überlebensvorteile hat als selbstlose Menschen.

Doch tatsächlich belohnt das Gehirn selbstlose Handlungen mit Wohlgefühlen ähnlich denen, die durch Drogen, Sex oder gutes Essen ausgelöst werden können. Das konnten auch bildgebende Verfahren in einer erst kürzlich erschienenen Studie um Naomi Eisenberger von der University of California zeigen.

Selbstlose Menschen haben Überlebensvorteile

Psychologen, Biologen und Ökonomen haben nun in den vergangenen zehn Jahren auf ihre Weise untersucht, warum Selbstlosigkeit auch evolutionär einen tieferen Sinn für das Überleben des Menschen haben muss.

So ist es nach der Theorie der Verwandtenselektion des Biologen William Hamilton sinnvoll, das Wohl eines anderen vor das eigene zu stellen, wenn es sich dabei um Verwandte handelt. Demnach ist es wichtiger, das Überleben des Genpools zu sichern als das des eigenen Körpers.

Es klingt zwar schlüssig, der eigenen Familie selbstlos einen Überlebensvorteil zu verschaffen, allerdings beschränkt sich das Helfen im Alltag ja nicht nur auf Eltern, Geschwister und die eigenen Kinder. Und genau genommen hätte es diese doch recht kleine Familie für sich in Zeiten vor der Moderne auch schwer gehabt, allein zu überleben.

Die Spendenbereitschaft der Deutschen

Computersimulationen zeigen in vielen Studien eindrucksvoll, dass sich kooperatives Verhalten unter bestimmten Bedingungen in Gruppen immer ganz automatisch entwickelt, ganz egal, ob die Gruppenmitglieder miteinander verwandt sind oder nicht.

Die Dynamik in einer Gruppe entscheidet darüber, ob der Einzelne überlebt, und wie er das am besten kann. In einem simplen Modell, in dem aufopfernde Altruisten gegen Egoisten im Kampf um das Überleben antreten, bleiben nach einigen Generationswechseln nur Egoisten übrig.

Sie nutzen die Altruisten aus und erhöhen so ihre eigene Fitness, während die Altruisten im wahrsten Sinne des Wortes bald arm dran und ausgestorben sind.

Das ändert sich jedoch rasant, wenn Wissenschaftler dazu die Umweltbedingungen von Jäger-Sammler-Gesellschaften simulieren. Wenn Krankheiten sich ausbreiten, das Gelände schwer bewohn- und bewirtschaftbar wird und Fleisch nur dann und wann jemandem in die Hände fällt, stehen die Egoisten dumm da.

Weil sie nicht abgeben und helfen, sterben ihre potenziellen Mitbewohner an Krankheiten, ihr gehortetes Fleisch verrottet ungenutzt, und ihre eigene Fitness reicht nicht aus, um das unwegsame Gelände zu bewohnen.

Ein Netz aus Altruisten jedoch führt dazu, dass alle Ressourcen bestmöglich verteilt werden und alle voneinander profitieren. Anders formuliert: Auch wenn die Egoisten den Kampf gegen die Altruisten gewinnen können, können Altruisten eher den Kampf um das Überleben gewinnen.

Damit das funktioniert, müssen sich jedoch möglichst alle Bewohner altruistisch verhalten. Je länger sie zusammen an einem Ort bleiben und demnach auch öfter mit denselben Personen zu tun haben, desto wichtiger ist das, wie die Modelle zeigen

Ein Weg dahin führt über soziale Normen, zum Beispiel des Teilens und Aufteilens. Schon Kleinkinder im Alter von 15 Monaten nehmen an, dass Essen fair unter den Anwesenden aufgeteilt wird, und reagieren erstaunt, wenn das nicht passiert.

In Gruppen zeigen Menschen einen großen Gerechtigkeitssinn

Dass der Sinn für Gerechtigkeit tief im Menschen verankert ist, zeigt auch die Reziprozitätsnorm, ein anderes Mittel, das kooperatives Verhalten in Gruppen etabliert.

Beim sogenannten reziproken Tauschen hilft man jemandem oder stellt eigene Interessen zurück, ohne eine unmittelbare Gegenleistung zu erwarten. Kommt man jedoch in eine ähnliche Situation, erwartet man das gleiche Verhalten auch vom Gegenüber - es soll sich erinnern, dass ihm auch schon mal geholfen wurde. Hält sich jemand nicht daran, muss er dem moralischen Druck der Gruppe standhalten.

Wissenschaftler nennen dieses Verhalten altruistische Bestrafung. Sie soll zusammen mit der Reziprozitätsnorm verhindern, dass Einzelne die Selbstlosigkeit der anderen Gruppenmitglieder ausnutzen.

In anderer Form gilt die Reziprozität sogar für gänzlich Fremde, mit denen es nur einen einzigen Kontakt gibt und die deshalb auch in der Zukunft nichts zurückgeben können. Auf diese Norm des generalisierten Tausches verlassen wir uns zum Beispiel, wenn wir auf der Straße jemanden nach dem Weg fragen.

Auch wenn der Befragte dann einen einseitigen Gefallen tut, kann er sich dennoch einigermaßen darauf verlassen, in der gleichen Situation ebenfalls Hilfe von jemandem zu bekommen.

Soziale Situation entscheidet oft über selbstloses verhalten

Natürlich hilft man trotz all dieser Normen nicht immer und unter allen Umständen. So helfen Menschen mit größerer Empathie eher und öfter als andere. Verschiedene Studien konnten auch zeigen, dass häufig die jeweilige Situation darüber entscheidet, ob selbstloses Verhalten letztendlich zustande kommt oder nicht.

Unter Beobachtung etwa verhalten sich viele Menschen weitaus kooperativer, denn natürlich hilft selbstloses Verhalten auch dabei, vor anderen gut dazustehen.

Eine Studie von Wissenschaftlern der University of Queensland konnte zeigen, dass Autofahrer dann am ehesten auf ihr Vorfahrtsrecht verzichten, wenn sie Mitfahrer haben. War der Fahrer dagegen allein, trat er für andere 25 Prozent seltener auf die Bremse.

Und auch Zeit und gute Laune machen hilfsbereiter. So halfen in einer anderen Studie Passanten einem scheinbar Verletzten am Straßenrand in 63 Prozent der Fälle, wenn sie nicht gerade unter Zeitdruck standen, und in nur vier Prozent der Fälle, wenn sie es eilig hatten.

Und Fußgänger, die zuvor eine Münze im Rückgabefach eines öffentlichen Telefons fanden, halfen zu 84 Prozent einem Mann, seine verlorenen Papiere wieder einzusammeln. Ohne den unverhofften Fund waren dazu jedoch nur vier Prozent bereit. Sogar Schuldgefühle machen hilfsbereit: Vor der Beichte spenden Katholiken nämlich mehr Geld als danach.

Angesichts der vielen sozialen Belohungen für kooperatives Verhalten gibt es die ganz echte Selbstlosigkeit in der Realität wohl nur äußerst selten.

Auch wenn diese Erkenntnis ein wenig ernüchternd ist - Geschenke verschenken macht trotzdem Spaß und ungeachtet der Motive dahinter auch glücklich, und zwar alle Beteiligten.