Die Krise in Griechenland hat sich dramatisch zugespitzt: Bürger räumen ihre Konten leer, die Banken brauchen immer mehr Nothilfen von der Notenbank. Beobachter warnen vor einem Fass ohne Boden.
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Angesichts der chaotischen politischen Zustände im Land plündern offenbar immer mehr Griechen ihre Konten - und bringen dadurch die Banken selbst in Gefahr. Die griechische Zentralbank muss mit neuen Notkrediten für die Institute in die Bresche springen. Noch sind die Notenbanker bereit, diese Rettungspolitik fortzusetzen.

Doch im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt es bereits kritische Stimmen, die vor weiteren Milliardenspritzen warnen. Sie lehnen es ab, weiteres Geld in ein Fass ohne Boden zu leiten. "Irgendwann muss Schluss sein, wenn wir unsere Prinzipien nicht völlig verraten wollen", heißt es in Notenbankkreisen. Ohne frische Zentralbankmittel stünde das griechische Bankensystem jedoch vor dem Kollaps.

In den vergangenen Tagen hat die Sorge um die Zukunft der griechischen Banken weiter zugenommen. Kurz bevor Griechenlands Präsident Karolos Papoulias die Führer der zerstrittenen Parteien am Montag in seiner Residenz versammelte, um sie - vergeblich - zur Bildung einer Regierung zu bewegen, telefonierte er mit dem Chef der griechischen Zentralbank.

Bis vier Uhr nachmittags hatten griechische Unternehmen und Bürger bereits 700 Millionen Euro bei einheimischen Banken abgehoben oder ins Ausland überwiesen. Bis Bankschluss würden es wohl 800 Millionen Euro werden, informierte Bankchef Giorgios Povropoulos den Präsidenten. Dies sei noch kein Run auf die Banken - aber er habe Angst, dass es bald dazu kommen könne, sagte der Zentralbankchef laut dem Transkript der Krisensitzung.

Das Protokoll sorgte für Aufregung: Das Tempo der ohnehin seit zweieinhalb Jahren andauernden Kapitalflucht in Griechenland hätte demnach nach der Wahl vom 6. Mai dramatisch zugenommen hat.

Zweideutiges Sitzungsprotokoll

Zwar ist der Wortlaut des brisanten Sitzungsprotokolls im griechischen Original möglicherweise zweideutiger als zunächst vermeldet: Ein hoher griechischer Offizieller sagte Welt Online, der von Zentralbankchef Povropoulos erwähnte Kapitalabfluss von 700 Millionen Euro haben sich "nicht auf einen Tag bezogen, sondern auf die gesamte Woche seit der Wahl vom 6. Mai".

Demnach wäre der Kapitalabfluss kaum höher als in den vorangegangenen zweieinhalb Jahren: Seitdem sind jeden Monat bis zu vier Milliarden Euro von griechischen Bankkonten abgehoben worden.

Weitere Meldungen sprechen jedoch für eine wachsende Unruhe: Auch die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf Athener Bankiers, seit dem Wahltag vom 6. Mai seien täglich durchschnittlich 700 Millionen Euro von Griechenlands Bankkonten abgezogen worden. Das würde bedeuten, dass Griechenlands Banken seit der Wahl über sechs Milliarden Euro ihrer Einlagen verloren haben.

Zentralbankchef ist besorgt

Und der Zentralbankchef ist - wie auch immer seine Zahl gemeint war - ganz offensichtlich besorgt. "Die Gesundheit unserer Banken ist heute sehr schlecht", zitierte Griechenlands Präsident den Notenbanker gegenüber den Parteiführern. Das ist kein Wunder: Seit die griechische Krise Anfang 2010 Fahrt aufnahm, haben Griechenlands Banken 29 Prozent ihrer Einlagen verloren.

Vertrauten griechische Bürger, Firmen und der Staat einheimischen Banken im Dezember 2009 insgesamt 245 Milliarden Euro an, so waren es am 31. März 2012 der Bank von Griechenland zufolge noch 174 Milliarden Euro.

Freilich bedeutet der Abzug von den Konten nicht, dass die gesamte Summe ins Ausland geschafft würde. Viele Griechen müssen schlicht an ihre Ersparnisse, um in der Rezession ihre laufenden Rechnungen noch bezahlen zu können.

Andere Kunden bunkerten ihre Rücklagen schlicht als Bargeld zu Hause, berichten griechische Banker. Sie fürchten einen Zusammenbruch der Banken - oder hoffen, dass die Euro-Noten im Falle der Rückkehr zu einer schwachen Drachme ihren Wert behalten würden.

Flucht der Sparer gefährdet Banken

Von deutschen Unternehmen vor Ort kommen unterschiedliche Signale. Ein Konzern gibt an, von seiner griechischen Tochter so viele flüssige Mittel abzuziehen wie möglich. Dagegen geben die Sportartikelhersteller Puma und Adidas sowie die Bosch und Siemens Haushaltsgeräte GmbH an, kein Geld abzuziehen.

Für eine Bank ist eine Flucht der Sparer höchst gefährlich: Muss sie viele Einlagen auf einmal auszahlen, läuft sie Gefahr, schnell ohne flüssige Mittel dazustehen - und damit zahlungsunfähig zu sein. Das gilt umso mehr für die griechischen Kreditinstitute, die längst keine frischen Mittel von privaten Geldgebern bekommen.

Stattdessen finanzieren sie sich praktisch komplett über die Zentralbank. Doch auch an die klassischen EZB-Kredite kommen viele griechische Häuser kaum noch heran. Denn dafür müssen sie Sicherheiten bieten, also etwa Wertpapiere verpfänden.

Banken ohne Sicherheiten

Doch viele Banken haben schlicht keine Sicherheiten mehr zu bieten, die die Qualitätsanforderungen der EZB erfüllen, obwohl diese im Laufe der Krise schon weit heruntergeschraubt wurden. Diesen Banken stehen nur noch Notkredite der griechischen Notenbank offen, im EZB-Jargon "Emergency Liquidity Assistance" (ELA) genannt.

Das gilt auch für Banken, die die EZB nicht mehr als solvent einstuft, weil ihnen das nötige Eigenkapital fehlt - aus diesem Grund sind in letzter Zeit mehrere griechische Häuser aus der Standard-Finanzierung der EZB herausgefallen, wie die Zentralbank bestätigte.

So mancher Notenbanker fordert gar kompletten Schlussstrich. Für Banken, die mit negativem Eigenkapital operieren, dürfe es auch keine ELA-Kredit mehr geben, so der Tenor. Schließlich erhöht sich mit jedem neuen Notdarlehen der mögliche Verlust der Zentralbank, falls die gestützte Bank die Mittel nicht zurückzahlen kann.

Kein totaler Zahlungsstopp

Über ELA-Mittel entscheidet die nationale Zentralbank jedes Landes selbst, allerdings hat der EZB-Rat ein Vetorecht. Kurzfristig scheint ein totaler Zahlungsstopp aber nicht zu erwarten. Eine klare Mehrheit im Rat halte weitere Hilfen derzeit für vertretbar, sagten mehrere Zentralbanker Welt Online.

Zwar hätten einige griechische Banken derzeit tatsächlich viel zu wenig Eigenkapital - eine Rekapitalisierung ist jedoch im Rahmen der Hilfsprogramme für Griechenland ausdrücklich vorgesehen. Kommende Woche sollten die ersten Milliarden fließen, versicherte der Chef des griechischen Bankenstabilitätsfonds, Panagiotis Thomopoulos. "Solange diese konkrete Aussicht auf Rekapitalisierung besteht, kann man weitere Zentralbankkredite für diese Banken rechtfertigen", heißt es in Notenbankkreisen.

Die europäische Politik schiebt das Problem einstweilen weit von sich. Die Geldversorgung griechischer Banken sei keine politische Frage, die Unabhängigkeit der (EZB) ein hohes Gut, heißt es aus der Euro-Gruppe.

Die europäischen Entscheider haben bereits die neue Parlamentswahl in Griechenland am 17. Juni im Blick: Sie wird als Entscheidung für oder gegen die Euro-Mitgliedschaft des Landes gewertet. Die EZB dürfte sich wiederum schwertun, schon vorher ein Stück weit Fakten zu schaffen, indem sie die griechischen Banken kollabieren lässt. "Bei aller Unabhängigkeit der Notenbank", sagt ein Zentralbanker, "es ist schwer vorstellbar, dass die EZB hier in einer einsamen Entscheidung einfach mal den Stecker zieht."