Indogermanische Sprachfamilie
© mpi.nlKarte zu den zwei konkurrierenden Theoriemodellen der Entstehung der indogermanischen Sprachfamilie. Während die eine den Ursprung der indogermanischen Ursprache in der russischen Steppe (blau) vermutet, geht die andere von Anatolien (gelb) als Mutterregion der weltweit größten Sprachfamilie aus.
Nijmengen (Niederlande) - Mit etwa drei Milliarden Muttersprachlern bilden die auch als indoeuropäisch bezeichneten indogermanischen Sprachen die heute sprecherreichste Sprachfamilie der Welt. Während die "jüngere" Geschichte dieser seit etwa 2000 Jahren auch geschriebenen Sprachen relativ ausführlich erforscht und nachgewiesen ist, streiten sich Wissenschaftler bislang immer noch über den Geburtsort dieser Sprachfamilie. Eine Analyse internationaler Wissenschaftler hat nun die bislang nur von einer Minderheit von Sprachforschern favorisierte Theorie, nach der die indogermanische Ursprache in Anatolien entstand, bestätigt.

Wie die Wissenschaftler um Quentin Atkinson von der University of Auckland und Michael Dunn vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik (MPI) im niederländischen Nijmengen aktuell im Fachmagazin Science berichten, vermutete die Mehrheit der Sprachwissenschaftler bislang den Ursprung der großen Sprachfamilie vor rund 6.000 Jahren in der pontischen Steppe in der heutigen Ukraine.

Die neuen Untersuchungen stützen nun jedoch die bislang nur von wenigen Forschern favorisierte Theorie, nach der die indoeuropäischen (indogermanischen) Sprachen, zu deren Hauptzweigen die keltischen, die germanischen, die italischen sowie die slawischen und die indo-iranischen Sprachen gehören, ihren gemeinsamen Ursprung vor 8.000 bis 9.000 Jahren im heute türkischen Anatolien haben, von wo aus sich die Sprachfamilie gemeinsam mit der Landwirtschaft ausgebreitet haben soll.

In ihrer Analyse der beiden Theorien untersuchten die Wissenschaftler aus insgesamt 103 der indogermanischen Sprachvarianten 6000 Wörter, die sich aus jeweils einem gemeinsamen Ursprungsbegriff entwickelt haben, sogenannte Kognate. Bekannte Beispiele für derartige "urverwandte" Wörterpaare- und Gruppen sind das französische Wort "fils" (Sohn) und das italienische Wort "figlio", da sie beide auf das lateinische Wort filius zurückgehen. Auch "Mutter", das englische "Mother" und "Madre" haben sind urverwandt (kognat).

Anhand von rund 200 Wörtern mit nahezu universellen Bedeutungen wie etwa Vater, Mutter, Feuer, Wasser und Verben grundlegender Bewegungen und Handlungen (laufen, gehen, tragen, usw.) analysierten die Forscher deren Entwicklung und verfolgten durch die Nutzung der vom MPI entwickelten "Indo-European Lexical Cognacy Database" (IELex) deren geographische und zeitliche Verteilung die aus dieser Arbeit entstehenden geografischen wie chronologischen Sprach-Stammbäume.

Das Ergebnis dieser Ausarbeitung stützt die Vorstellung von der Entstehung der indogermanischen Ursprache in Anatolien, wohingegen die "Steppentheorie", nach der sich die Sprachfamilie von dort aus nicht vor der Verbreitung des Rades, ausgebreitet habe, anhand der neuen Daten "sehr unwahrscheinlich" sei.

Kritik an der Schlussfolgerung der Sprachwissenschaftler findet sich ebenfalls in der aktuellen Science-Ausgabe, wenn etwa der US-Archäologe David Anthony vom Hartwick College in Oneonta anmerkt, dass man sich in der Studie lediglich auf Wörter konzentriert und Sprachstruktur, Grammatik und ähnliches ignoriert habe. Archäologische Belege für die Steppentheorie seien von den Forschern zudem schlicht und einfach in ihrer Bewertung nicht berücksichtigt worden.

Quellen: mpi.nl, ru.nl, sciencemag.org