Der aktuelle "Energiewende-Index" fällt besorgniserregend aus: Die deutschen Stromnetzbetreiber glauben offenbar selbst nicht mehr, dass sie die Stromversorgung noch lange stabil halten können.
Kerze
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Der "Deutsche Energiewende-Index" (Dex) ist eine Art Stimmungsbarometer für den Fortgang der Energiewende: Die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur erhebt den Wert gemeinsam mit der Beratungsfirma Ernst & Young einmal im Quartal. Rund 2000 Vorstände und Geschäftsführer verschiedener Branchen werden danach gefragt, wie sie den Fortgang der Energiewende bewerten, auf einer Skala zwischen 0 (sehr negativ) über 100 (neutral) bis 200 (stark positiv).

Der jetzt veröffentlichte Wert zum 3. Quartal 2012 sieht auf den ersten Blick unspektakulär aus. Branchen, die vom ökologischen Umbau der Energieversorgung profitieren, halten sich ungefähr die Waage mit den denen, die die Kosten tragen. Gesamturteil: 102,8 Dex-Punkte, also eine im Durschnitt leicht positive Bewertung der energiepolitischen Entwicklungen. Doch der Durchschnittswert täuscht.

Denn beim Aspekt der Versorgungssicherheit sind die Erwartungen dramatisch schlecht. Die meisten befragten Unternehmer und Manager erwarten für die kommenden zwölf Monate, dass die Sicherheit der Stromversorgung abnehmen wird. Der Index-Wert landet deutlich unter der neutralen 100 bei lediglich 79,8 Dex-Punkten.

Besonders alarmierend: Ausgerechnet die Stromnetz-Betreiber sind die pessimistischsten von allen. Befragt nach der zu erwartenden Versorgungssicherheit in den kommenden zwölf Monaten ergeben ihre Antworten einen Indexwert von gerade noch 54,7 Punkten.

Das ist ein deutlicher Einbruch um weitere 11,3 Punkte gegenüber den ohnehin schon pessimistischen Aussagen des letzten Quartals. Das aktuelle Ergebnis ("Verschlechterung") liegt nur noch um Haaresbreite über der 50-Punkte-Schwelle nach unten, ab der eine "starke Verschlechterung" der Versorgungssicherheit zu erwarten wäre.

Mit den Netzbetreibern sieht also gerade diejenige Branche für die Zukunft am schwärzesten, die die Blackout-Gefahr am besten beurteilen kann.

Kraftwerksreserve schwindet

Für das schwindende Zutrauen der Netzbetreiber, einen Blackout im kommenden Winter abwehren zu können, gibt es mehrere Gründe. So waren bereits im vergangenen Winter in Süddeutschland nicht mehr genug Reservekraftwerke vorhanden. Schon damals konnte die Stabilität der Stromversorgung nur durch Rückgriff auf teuer angemietete Kraftwerke im Auslands aufrecht erhalten werden. Mehrmals stand es da bereits Spitz auf Knopf: Obwohl der Winter eher milde und kurz ausfiel.

Der nächste Winter aber könnte frostiger und länger werden. Dann steigt auch der Strombedarf rapide an. Doch die deutschen Kraftwerksreserven sind nicht größer, sondern kleiner geworden. Eine Reihe von Energieversorgern hat nämlich die Stilllegung von Gaskraftwerken in Süddeutschland vollzogen oder angekündigt, weil sich der Betrieb der Anlagen gegen den Einspeisevorrang von Ökostrom nicht mehr rentiert.

Die Bundesnetzagentur hat selbst bereits mehrfach vor der Herausforderung des kommenden Winters gewarnt. Sie hat hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie man die Stromversorgung sichern könnte, wenn Millionen von deutschen Solarmodulen Anfang November ihre Produktion fast völlig einstellen. Umgesetzt wurde von den Vorschlägen noch nichts.

Jedenfalls werfen die Grünen im Bundestag der Bundesregierung bereits vor, zu wenig gegen drohende Stromausfälle im kommenden Winter zu unternehmen. Laut dem Grünen-Abgeordneten und Stromnetzexperten Oliver Krischer hat das Wirtschaftsministerium bislang keinen der Gesetzesvorschläge umgesetzt, die die Bundesnetzagentur empfohlen habe. Dies geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Abgeordneten hervor.

Krischer zeigte sich verärgert: "Wieder einmal äußert sich Schwarz-Gelb in Worthülsen. Passiert ist bisher nichts." Dabei müssten dringend die Herausforderungen der Energiewende angenommen und gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die zur Versorgungssicherheit beitrügen.

Industrie warnt vor lückenhafter Statistik

Unterdessen warnte die Industrie davor, die gegenwärtig noch gute Statistik in Bezug auf Stromausfälle überzubewerten. Die im Verband der Industriellen Kraftwirtschaft (ViK) zusammen geschlossenen Unternehmen reagierten auf die jüngst von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Zahlen.

Demnach habe es 2011 insgesamt 206.673 Stromausfälle in Deutschland gegeben, durchschnittlich 566 pro Tag. Damit sieht die Bundesnetzagentur "eine sehr gute deutsche Stromversorgungsqualität" als gegeben an. Der Industrieverband ViK weist jedoch darauf hin, dass nur Stromunterbrechungen mit mehr als drei Minuten Dauer in die offizielle Statistik eingeflossen sind. In Wirklichkeit seien es weit mehr gewesen. Gerade die gehäuft auftretenden "Mini-Blackouts" im Sekundenbereich verursachten große Probleme in vielen hoch spezialisierten industriellen Prozessen.