Der staatliche Energieriese Rosneft will offenbar für mehr als 50 Milliarden Dollar den drittgrößten russischen Ölkonzern TNK-BP kaufen. Es wäre der zweitgrößte Deal in der Geschichte des Erdölgeschäfts. An der Spitze des Konzerns steht ein enger Putin-Vertrauter.
Putin
© imago stock&peopleRusslands Präsident Putin begrüßt Arbeiter auf der Rosneft Raffinerie in Tuapse, Russland.
Igor Setschin, Herr über Russlands Staatskonzern Rosneft, ist derzeit auf Einkaufstour. Wie die Financial Times und andere Medien berichten, hat er tief in die Tasche gegriffen. Rund 56 Milliarden Dollar möchte Putins Vertrauter auslegen, um seinem Konzern den Ölproduzenten TNK-BP einzuverleiben. Russlands ohnehin schon größter Ölförderer würde damit den drittgrößten des Landes schlucken und so an die Weltspitze aufsteigen. Es wäre der zweitgrößte Deal in der Geschichte des Erdölgeschäfts, seit Exxon 1999 Mobil übernahm.

Beiden bisherigen Eigentümern von TNK-BP hat Rosneft Angebote unterbreitet: zunächst in Moskau dem Konsortium AAR dreier russischer Oligarchen und am Donnerstag offenbar auch dem britischen BP-Konzern. Dafür reiste Setschin zu Verhandlungen nach London. Dort lief um neun Uhr Ortszeit die Frist ab, um Kaufgebote für die BP-Hälfte am russischen Joint Venture TNK-BP zu unterbreiten. Ein solches Angebot habe Rosneft gemacht, berichtet die Financial Times. Der Preis: 28 Milliarden Dollar, davon 15 bis 20 Milliarden in bar und den Rest in Rosneft-Anteilen. Die Summe entspricht dem Preis, den BP Berichten zufolge auch mit AAR ausgehandelt hat, um die andere Hälfte von TNK-BP zu erwerben.

Hohe Profite und viel Ärger

Dass Rosneft an den britischen Anteilen interessiert ist, wusste man schon länger. Erst im September hatte sich BP-Chef Robert Dudley mit Setschin und Präsident Wladimir Putin getroffen. Setschin hatte damals von einem Kauf gesprochen und eine Beteiligung von BP an Rosneft in Aussicht gestellt. Nun zeichnet sich ab, dass Rosneft den ganzen TNK-BP-Konzern kaufen will und nicht nur eine der beiden Hälften des Unternehmens.

Mit dem Kauf würde eine unruhige Partnerschaft im Ölgeschäft zu Ende gehen. Das Joint-Venture TNK-BP hat zwar immense Profite gemacht: Im Laufe von neun Jahren kamen 19 Milliarden Dollar zusammen. Es brachte aber auch viel Ärger. Denn keiner der beiden Partner kontrollierte das Unternehmen, und BP fiel die Kooperation mit der AAR-Gruppe um den Oligarchen Michail Fridman schwer. Der Konflikt verschärfte sich, Behörden mischten sich ein, Büros wurden durchsucht, und 2008 musste TNK-BP-Chef Dudley regelrecht aus dem Land fliehen.

Lieber hätte BP sich in Russland mit Rosneft zusammengetan als weiter mit den alten AAR-Partnern zu arbeiten, aber auch das scheiterte. Im Januar 2011 wurde in Putins Beisein ein Aktientausch zwischen BP und Rosneft angekündigt, der den Londonern Zugriff auf das Wertvollste gegeben hätte, was Rosneft zu bieten hat: das Recht, in der ölreichen russischen Arktis zu bohren. Es wäre für BP ein Befreiungsschlag gewesen, nachdem der Konzern durch das Umweltdesaster im Golf von Mexiko ins Gerede gekommen war. Aber es gelang AAR, den Deal vor Gericht zu unterbinden, unter Berufung auf die ältere Partnerschaft.

Graue Eminenz der Ölbranche

An deren Auflösung wurde seither gearbeitet. Aber so kompliziert die Ehe, so schwierig die Scheidung. Erst seit dieser Woche ist BP überhaupt frei, seine Anteile zu verkaufen. Bis dahin lief eine 90-Tage-Frist, in der ausschließlich Verhandlungen mit dem Konsortium AAR erlaubt waren. Die Oligarchen waren aber offenbar nicht in der Lage, das nötige Geld für einen Kauf des BP-Anteils aufzubringen. Das hatte auch damit zu tun, dass Großbanken bereits an Rosneft gebunden waren, das ebenfalls Mittel suchte. Die Verhandlungen mit den Banken hatte Setschin persönlich geführt, wie das Wirtschaftsblatt Wedomosti erfahren hat.

Setschin will seit langem Rosneft vergrößern. Er ist zwar erst seit diesem Jahr Konzernchef, mit einem Büro gleich gegenüber dem Kreml. Aber als enger Vertrauter Putins ist Setschin seit langem die graue Eminenz der russischen Erdölbranche - erst in der Kremlverwaltung und dann in der Regierung, als Putin dort Premier war. Setschin war es, unter dem Michail Chodorkowskis Yukos-Konzern zerschlagen und zum guten Teil Rosneft einverleibt wurde; Chodorkowski sitzt seither in Haft.

Mit der Übernahme wäre Rosneft mit einer Produktion von 4,5 Millionen Barrel Erdöläquivalent am Tag deutlich größer als Exxon-Mobil, schätzen Brachenfachleute. Zugleich würde sie den Anteil des Staates an der Energiebranche in Russland weiter deutlich erhöhen.