Hitzige Debatten in Moscheen, Tränengas in Alexandria - vor der finalen Abstimmung über die Verfassung hatte die Polizei Mühe, die Kontrahenten zu trennen.

Einen Tag vor der entscheidenden Runde des Verfassungsreferendums hat es in Ägypten zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Mohammed Mursi Krawalle gegeben. In der Hafenstadt Alexandria trommelte die Mursi unterstützende Muslimbruderschaft ihre Anhänger zusammen. Aus deren Reihen flogen Steine auf andere Demonstranten, die gegen die neue, islamistisch geprägte Verfassung auf die Straße gingen. Augenzeugen berichteten, junge Männer hätten mehrere Busse angezündet, mit denen die Islamisten angereist waren. Insgesamt wurden in den Straßenschlachten nach Informationen des Nachrichtensenders Al-Arabija 68 Menschen verletzt. Dem Gesundheitsministerium zufolge gab es 32 Verletzte.

Die Polizei schleuderte Tränengas gegen die Mursi-Gegner. Anders als vor einer Woche gelang es den Beamten in der zweitgrößten Stadt des Landes weitgehend, die Rivalen auseinanderzuhalten. Am vergangenen Freitag hatte es in der Al-Kaid-Ibrahim-Moschee der Stadt schwere Ausschreitungen gegeben.

Die Polizei riegelte den Bereich ab. Die in größerer Zahl vertretenen Islamisten riefen "Gott ist groß", als die Auseinandersetzungen mit den Mursi-Gegnern begannen.

Die beiden Lager sind durch den Verfassungsentwurf entzweit, den Mursi schreiben ließ und der von den islamistischen Machthabern geprägt ist. In der ersten Abstimmungsrunde am 15. Dezember hatte eine Mehrheit von 57 Prozent zugestimmt.

Minderheitenrechte nicht berücksichtigt

Obwohl Wahlpropaganda in Gotteshäusern in Ägypten verboten ist, mischten sich auch wieder Prediger in die Politik ein. Berichten zufolge gab es in mehreren Moscheen in Suez Streit zwischen dem Prediger und den Betenden. Ein Prediger habe den Gläubigen sogar gesagt, wer mit "Ja" stimme, komme ins Paradies.

Mursi und seine Anhänger sehen in dem neuen Grundgesetz einen entscheidenden Schritt in Richtung Demokratie. Die Opposition kritisiert die Verfassung als Gefahr: Sie spalte die Gesellschaft tiefer und führe zu noch mehr Gewalt. Sie bemängelt, dass die Rechte von Frauen sowie von Minderheiten - darunter zehn Prozent Christen - nicht berücksichtigt sind.

Machtzuwachs per Dekret

Das zeigte sich auch auf den Straßen Alexandrias: "Die Leute wollen die Einführung der Scharia", skandierten die Islamisten. "Unsere Seelen und unser Blut opfern wir dem Islam." Auf der anderen Seite sagte ein Demonstrant, er lehne die Verfassung ab, Mursi habe seine Legitimität verloren und werde gestürzt.

Die Proteste hatten begonnen, als der Präsident Ende November seine Macht per Dekret verstärkte und den Verfassungsentwurf durch das zuständige Gremium drückte. Mursi kam durch die erste Präsidentenwahl nach Sturz des langjährigen Präsidenten Hosni Mubarak ins Amt.

Am Samstag werden die Ägypter in den ländlichen Regionen ihre Stimme abgeben. In der ersten Runde vor einer Woche hatten die Bürger der Großstädte votiert. Auf dem Land haben die Islamisten noch stärkeren Rückhalt, sodass in der zweiten Runde von einem klaren Ja auszugehen ist.

DPA, afp, tst