Wissenschaftler der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA haben die bisher genaueste Karte der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, also der fossilen Strahlung aus der "Zeit des Urknalls", präsentiert, die mit Hilfe des europäischen Weltraumteleskops "Planck" erstellt werden konnte. Während die neue Karte einen Großteil des bisherigen kosmologischen theoretischen Standardmodells bestätigt, rütteln andere mit dieser Karte gewonnenen Erkenntnisse zugleich an einigen Grundfesten unseres derzeitigen Verständnisses über das Universum.
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© ESA and the Planck Collaboration Die neueste und bislang genaueste vollständigen Himmelskarte der kosmischen Hintergrundstrahlung zeigt die Temperaturunterschiede der Hintergrundstrahlung (rot = wärmer / blau = kälter) und die Temperaturirregularitäten rund 380.000 Jahre nach der Entstehung des Universums.
Paris (Frankreich) - Das Bild, das die neue Karte zeichnet, basiert auf den Daten der ersten sich über 15,5 Monate erstreckenden Beobachtungen von Planck und stellt so die erste, den gesamten Himmel umfassende Abbildung der "ältesten" Lichtstrahlung im All dar, die ihren Abdruck am Sternenhimmel zu einer Zeit hinterließ, als unser Universum gerade einmal "380.000 Jahre alt war".

"Zu diesem Zeitpunkt bildete das Universum eine heiße, dichte Suppe aus zueinander in Wechselwirkung stehenden Protonen, Elektronen und Photonen bei einer Temperatur von etwa 2700 °C", erläuterte George Efstathiou von der Universität Cambridge auf der heutigen ESA-Pressekonferenz. "Als Protonen und Elektronen sich zu Wasserstoffatomen formten, wurde das Licht freigesetzt. Durch die Ausdehnung des Universums wurde auch dieses Licht bis heute auf Mikrowellen-Wellenlängen ausgedehnt und besitzt eine Temperatur von gerade einmal 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt."

Die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung weist jedoch winzige Temperaturunterschiede auf, die sich mit Regionen von geringfügig abweichender Dichte in der Frühzeit des Universums decken und so den Keim für alle künftigen Strukturen, nämlich die heutigen Sterne und Galaxien, in sich tragen.

Dem kosmologischen Standardmodell zufolge entstanden diese Fluktuationen unmittelbar nach dem Urknall, sind damit noch älter an die auf der Karte abgebildeten Strukturen selbst und wurden dann innerhalb eines kurzen Zeitraums beschleunigter Expansion, auch Inflation genannt, auf kosmologische Ausmaße ausgedehnt.

Planck wurde konzipiert, um genau diese Fluktuationen des gesamten Sternenhimmels mit bisher unerreichter Auflösung und Empfindlichkeit zu erfassen. Die Analyse der Eigenschaften und der Verteilung dieser Urstrukturen auf dem Planck-Bild der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ermöglicht nun Rückschlüsse in Bezug auf die Zusammensetzung und Entwicklung des Universums "von seiner Entstehung" bis zum heutigen Tag.

Insgesamt, so Efstathiou weiter, stellen die "mit der neuen Planck-Karte gewonnenen Erkenntnisse eine eindeutige und zudem die bisher präziseste Bestätigung des kosmologischen Standardmodells dar und setzen so neue Richtwerte für unser Bild von der Zusammensetzung des Universums."

Statt wie bislang vorhergesagt, besteht das Universum nicht zu 72,8 Prozent aus unbekannter "Dunkler Energie", 22,7 Prozent ebenso undefinierter "Dunkler Materie", die lediglich mit Gravitation interagiert und zu 4,5 Prozent aus "normaler" Materie, sondern zu 68,3 Prozent Dunkler Energie, 26,8 Prozent Dunkler Materie und 4,9 Prozent normaler Materie. Wenn auch nur gering, so bedeuten diese korrigierten Werte eine wichtige Grundlage für zukünftige Forschung, Arbeiten und unser "Verständnis" über die Zusammensetzung des Universums.
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© ESA and the Planck CollaborationDie Zusammensetzung des Universums vor (l.) und mit den Planck-Daten.
Dank der außerordentlichen Präzision der Planck-Karte konnten jedoch auch einige bisher ungeklärte Phänomene aufgedeckt werden, für deren Verständnis neue physikalische Erklärungsversuche erforderlich sein könnten.

"Die herausragende Qualität dieses Porträts, das uns Planck von einem noch in seinen Kinderschuhen stehenden All gezeichnet hat, ermöglicht uns, Schicht für Schicht bis zu seinem Ursprung vorzudringen, und macht uns gleichzeitig deutlich, dass unsere bisherige Vorstellung vom Kosmos alles andere als vollkommen ist. Voraussetzung für diese Entdeckungen waren die einzigartigen Technologien, die europäische Unternehmen für diese Mission entwickelt haben", so ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain.

"Seit 2010, als Plancks erstes den gesamten Himmel erfassendes Bild veröffentlicht wurde, waren wir damit beschäftigt, die Emissionen im Vordergrund, die den Blick auf das erste Licht des Universums bisher verstellt hatten, vorsichtig herausfiltern und zu analysieren, so dass sich die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung uns nun in ihren kleinsten, bisher unerkannten Details offenbart", fügt Efstathiou hinzu.

Zu den wohl überraschendsten Ergebnissen zähle die Tatsache, dass die Fluktuationen bei den Temperaturen der Hintergrundstrahlung auf großen Winkelskalen nicht den im Standardmodell vorhergesagten Werten entsprechen: "Ihre Signale sind nicht so stark, wie dies von der von Planck entdeckten kleinmaßstäbigeren Struktur zu erwarten gewesen wäre", so die ESA-Forscher.

Ebenfalls verblüffend ist die Asymmetrie der Durchschnittstemperaturen an den entgegengesetzten Hemisphären des Himmels, da dies der im Standardmodell postulierten grundsätzlichen Ähnlichkeit des Universums widerspricht, ganz gleich in welche Richtung man blickt.

Darüber hinaus erstreckt sich ein kalter Fleck über ein Areal am Himmel, das wesentlich größer ist als erwartet.

Bereits Plancks Vorgänger, die NASA-Mission WMAP, gab Hinweise auf die Asymmetrie und den kalten Fleck, jedoch schenkte man ihnen aufgrund der Zweifel an ihrem kosmischen Ursprung kaum Beachtung.
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© ESA and the Planck CollaborationGrafische Darstellung der nun gemessenen "Planck-Anomalien"
"Die eindeutige Erfassung dieser Anomalien durch Planck und somit durch ein zweites von WMAP unabhängiges Instrument lässt keine weiteren Zweifel an ihrer Existenz zu. Sie können nun nicht mehr als Messfehler betrachtet werden. Wir müssen sie als Tatsachen hinnehmen und nun nach einer plausiblen Erklärung suchen", bekräftigen Efstathiou und Paolo Natoli von der italienischen Universität Ferrara.
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© ESA and the Planck Collaboration; NASA / WMAP Science TeamVergleich der Auflösung von Planck zur Vorgängermission WMAP.
"Stellen Sie sich vor, Sie untersuchen das Fundament eines Hauses und stellen dabei einige Schwachstellen fest. Auch wenn Sie nicht sagen können, ob diese das Haus irgendwann zum Einsturz bringen, werden Sie zumindest versuchen, möglichst rasch neue Stützen zu errichten", erklärte bildlich François Bouchet vom Pariser Institut für Astrophysik.

Eine mögliche Erklärung für diese Anomalien wäre laut den Wissenschaftlern die Hypothese, dass das Universum in Wirklichkeit in einer größeren als der von uns beobachtbaren Skala nicht nach allen Richtungen hin gleich geartet ist. In diesem Szenario hätte das Licht der Hintergrundstrahlung einen wohl etwas komplizierteren Weg durch das Universum als bisher gedacht zurücklegen müssen, was zu einigen der ungewöhnlichen Beobachtungsergebnisse führen würde.

"Unser Fernziel sollte es sein, ein neues Modell zu entwerfen, das die Anomalien nicht nur vorhersagt, sondern auch zueinander in Beziehung setzt. Wir befinden uns jedoch gerade erst am Anfang und können noch nicht sagen, ob dies überhaupt möglich sein wird und welche neuen physikalischen Erklärungsversuche hierzu nötig wären. Es wird auf jeden Fall spannend", zeigt sich Efstathiou begeistert.


Kommentar: Wie sich herausstellt, kann das elektrische Modell des Universums viele dieser Anomalien nicht nur vorhersagen, sondern auch erklären und reproduzieren.Lesen Sie hierzu den Kommentar weiter unten.


Von den beschrieben Anomalien einmal abgesehen stünden die Planck-Daten jedoch in erstaunlicher Übereinstimmung mit dem erwarteten, relativ einfachen Modell des Universums und "ermöglichen" den Wissenschaftlern damit, die einzelnen Steine seines Bauplans nun auch bis ins kleinste Detail zu beschreiben.

Zu guter Letzt lässt sich anhand der Planck-Daten auch ein neuer Wert für die Hubble-Konstante ermitteln, d. h. der Geschwindigkeit, mit der sich das Universum heute "ausdehnt", nämlich 67,15 km/s/Megaparsec. Dies liegt deutlich unter dem derzeitigen, in der Astronomie verwendeten Standardwert. Aus diesen Daten lässt sich für das All auf ein "Alter von 13,82 Milliarden Jahren" "zurückschließen".

"Mit diesen bisher präzisesten und ausführlichsten Karten des Himmelszelts im Mikrowellenspektrum schafft Planck ein neues Bild vom Universum und führt uns gleichzeitig an die Grenzen unseres Wissens, was die aktuellen kosmologischen Theorien angeht", so Jan Tauber, ESA-Projektwissenschaftler für Planck.

"Wir stellen eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem kosmologischen Standardmodell fest, wenn auch einige rätselhafte Phänomene uns keine andere Wahl lassen, als gewisse grundsätzliche Annahmen zu überdenken. Wir stehen erst am Anfang eines neuen Unterfangens und sind zuversichtlich, dass unsere kontinuierlichen Studien der Planck-Daten weiteres Licht auf diese Rätsel werfen werden."