Immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen beweisen, dass »herkömmliche« medizinische Behandlungsmethoden, insbesondere bei Krebs, mehr schaden als nutzen können.
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Der jüngste Beweis kommt in Form einer wissenschaftlichen Studie, welche offenbar die Behandlung bei einer der häufigsten Krebserkrankungen - dem Prostatakrebs - infrage stellt. Nach den Einzelheiten der Studie, die in der britischen Zeitung The Independent beschrieben wurden, »hat die weltgrößte randomisierte Studie über Prostatakrebs ergeben, dass die übliche chirurgische Behandlung unwirksam ist«.

Bei der Studie hatten Wissenschaftler die radikale Prostatektomie - die chirurgische Entfernung der Prostata - verglichen mit dem »wachsamen Abwarten«, was so viel heißt wie gar nichts tun. Wie die Studie zeigte, verlängerte die Operation die Lebenserwartung nicht.

»Die einzig rationale Antwort auf diese Ergebnisse lautet«, so ein führender britischer Spezialist, der nicht namentlich genannt werden wollte, »nichts zu tun, wenn einem ein Patient mit Prostatakrebs vorgestellt wird«.

Nach wie vor viel Widerstand gegen die Methode des »Abwartens«

Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde "Center for Disease Control and Prevention" ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. Laut der amerikanischen Krebsgesellschaft werden in diesem Jahr 238 590 Männer an Prostatakrebs erkranken, von denen annähernd 30 000 der Krankheit erliegen werden.

Doch laut der neuen Studie wächst der Prostatakrebs in der Hälfte der Fälle nur langsam; selbst wenn er unbehandelt bleibt, können die Männer noch viele Jahre leben und schließlich an einer anderen Krankheit sterben. Tatsächlich verläuft das Wachstum derart langsam, dass sich einige Spezialisten bereits fragen, ob man bei solchen Fällen überhaupt von »Krebs« reden sollte.

Das sind einige der Ergebnisse der Studie "Prostata-Eingriff versus Beobachtung" (Prostate Intervention Versus Observation, PIVOT). Unter Leitung von Timothy Wilt wurde die Studie 1994 mit 731 Männern begonnen. Es zeigte sich, dass nach einer Beobachtungszeit von bis zu zwölf Jahren die Überlebenschance bei Patienten, die sich operieren ließen, nur um drei Prozent höher lag als bei denen, die gar nicht behandelt wurden. Tatsächlich war der Unterschied so gering, dass er als nicht signifikant und eventuell sogar als zufällig betrachtet werden konnte.

Im Independent hieß es:
Als die Ergebnisse im Februar beim Europäischen Urologenkongress in Paris, an dem 11 000 Spezialisten aus aller Welt teilnahmen, vorgestellt wurde, begegnete man ihnen mit fassungslosem Schweigen.

Ein Experte berichtete, die meisten Forschungsergebnisse seien von den Spezialisten im Publikum umgehend über soziale Medien verbreitet worden, doch in diesem Fall »habe ich keinen einzigen Urologen gesehen, der darüber enthusiastisch gewittert hätte«.
Trotz der Ergebnisse dieser neuen umfangreichen Studie gibt es Urologen, die nach wie vor an den alten Techniken festhalten. Diese Ärzte fänden die Vorstellung, nichts zu tun - einfach nur zu beobachten und abzuwarten - , inakzeptabel, so die Zeitung.

Doch auch eine Operation birgt Nebenwirkungen und Risiken. Tatsächlich kann sie eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bedeuten, denn die Hälfte der operierten Männer leidet danach unter Impotenz und zehn Prozent an Inkontinenz.

Weniger Behandlungsoptionen

Zu denen, die sich gegen das Beobachten und Abwarten aussprachen, gehörte Dr. Ben Challacome, beratender Urologe der britischen "Guys and St. Thomas-Kliniken". Er betont, viele der Männer bei der Studie seien älter - das Durchschnittsalter betrug 67 Jahre - und das Risiko sei geringer gewesen, so dass man ihnen in England ohnehin nicht zu einer Operation geraten hätte.

»Wir hätten "eine schonendere Behandlung" angeboten, wie Bestrahlung oder wachsames Abwarten. Wir sind besser darin, Männer auf Beobachtung zu setzen, als die amerikanischen Kollegen«, sagte er.

Es erübrigt sich zu betonen, dass viele Urologen sich mit den derzeitigen Behandlungsmethoden - Verbrennen, Schneiden, Vergiften - für Männer mit Prostatakrebs zufriedengeben. Viele behaupten sogar, die Prostatabehandlung sei heute vergleichbar der Brustkrebsbehandlung vor 25 Jahren, als die einzige Behandlung in der Mastektomie, der chirurgischen Entfernung der Brust, bestand.

Nur einen Teil der Prostata zu entfernen - wie bei der Lumpektomie, der brusterhaltenden Operation bei Brustkrebs - sei ebenfalls keine echte Option, so Dr. Joel Nelson von der urologischen Abteilung der Universität Pittsburgh. Prostatakrebs könne molekulare Veränderungen in der gesamten Drüse auslösen, die dann zu einer »malignen Transformation« führten.

Doch insgesamt geht es darum: Die Wissenschaft entdeckt immer häufiger, dass die derzeitigen Behandlungsmethoden bei Krebs überholt und ineffektiv sind. Wir werden in den nächsten Monaten und Jahren über jede Studie berichten, die diese Veränderung belegt.