optische täuschung, doppelbild
Zwei neue Entdeckungen durch Wissenschaftler des Dartmouth College stellen offenbar das bisherige Bild der Individualgenetik gänzlich auf den Kopf: Zum einen können die Forscher zeigen, dass eine einzige Person mehrere DNA-Mutationen in unterschiedlichen Körperteilen aufweisen kann, während die Original-DNA sozusagen ruht. Dies führt wiederum dazu, dass eine Einzelperson mehrere Genotypen besitzen kann. Zum anderen entdeckten die Wissenschaftler, dass ein und die selbe genetische Mutation in völlig von einander unabhängigen und nicht miteinander verwandten Personen auftauchen kann. "Bislang dachten wir, dass die DNA einer Person einzigartig ist. Wenn nun aber ein Individuum mehr als nur einen Genotyp haben kann, könnte dies unsere Vorstellungen darüber, was es heißt, Mensch zu sein verändern", so die Genetiker. Zudem wird die Entdeckung wahrscheinlich Auswirkungen für die Anwendung der DNA-Analyse in der kriminalistischen Forensik, für Vater- und Elternschaftstests und/oder für das sogenannte genetische Screening auf vorhandene Krebsrisiken haben. Die erstaunliche Entdeckung legt nahe, dass - im Gegensatz zur bisherigen medizinischen Lehrmeinung - genetische Mutationen nicht immer rein zufällig stattfinden und offenbart damit u.a. faszinierende Möglichkeiten der Krankheitsfürsorge.

Hanover (USA) - Die sensationellen Ergebnisse hat der Genetik-Professor Dr. Scott Williams vom Institute for Quantitative Biomedical Sciences (iQBS) an der Dartmouth's Geisel School of Medicine gemeinsam mit Prof. Dr. Jason Moore und Kollegen von der Vanderbilt University aktuell im Fachjournal PLoS Genetics (DOI: 10.1371/journal.pgen.1003929) publiziert.

Genetische Mutationen können sich in Zellen einstellen, die von den Eltern an die Kinder übergeben werden und so etwa zu Geburtsfehlern führen. Andere genetische Mutationen stellen sich nach der Befruchtung der Eizelle, während der Kindheit oder auch erst im Erwachsenenalter ein, wenn Menschen beispielsweise Sonnenlicht, Strahlung, krebserregenden Stoffen, Viren oder anderen die DNA-schädigenden Faktoren ausgesetzt werden. Diese späteren sog. "somatische Mutationen" beeinflussend jedoch nicht die Sperma- oder Eizellen und werden somit also nicht von den Eltern auf die Kinder übertragen bzw. vererbt. Somatische Mutationen müssen aber nicht zwangsläufig immer zu Krebs und anderen Krankheiten führen.

Teilen sich die mutierten Zellen jedoch weiterhin, so kann Gewebe mit einer zum sonstigen Körper unterschiedlichen DNA-Sequenz entstehen. "Philosophisch gefragt: Was bedeutet es eigentlich, dass wir von uns als Person, als Individuum sprechen, wenn wir in unserem (genetischen) Innern doch unterschiedlich sind?", so Williams.

Noch bis vor kurzem gingen Wissenschaftler davon aus dass jene Person auch nur eine und somit absolut individuelle DNA-Sequenz besitzt. Durch die erst seit vergleichsweise kurzer Zeit zur Verfügung stehende Rechnerkapazität neuster genetischer Analyseinstrumente können Forscher auch wirklich alle Gene eines Individuums untersuchen und dadurch auch systematisch nach somatischen Variationen suchen.

"Was macht uns zu einer Person - einem Individuum? Ist es unsere Erinnerung? Unsere Gene? Bislang haben wir immer gedacht, dass Genom sei individuell einzigartig. Aber unsere neuen Erkenntnisse und Daten zeigen nun, dass das so nicht ganz richtig ist."

Die nun nachgewiesenen Möglichkeit, dass durch Mutationen gleich mehrere Genotypen in einem einzigen Körper existieren können sei in etwa Analog mit sog. Chimärismus, also jenem Zustand (etwa in Folge einer Organtransplantation oder eine Blutspende, durch die Schwangerschaft zwischen Mutter und Kind oder Zwillingen), in dem eine Person Zellen einer anderen Person in ihrem Körper haben kann. Derartige Umstände haben schon in der Vergangenheit zu berühmten Fällen von DNA-Analysen geführt, in denen ein entsprechender Test offenbarte, dass eine Mutter vermeintlich überhaupt nicht mit zwei ihrer drei biologischen Kinder (genetisch) verwandt war.

Auch wenn es sich nur um eine vergleichsweise kleine Studie handele, so betont Williams, zeige diese dennoch, dass "es noch viel mehr zu entdecken gibt, als wir bislang wissen" und bezeichnet die Ergebnisse als "in gewisser Weise erstaunlich eigenartig."

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© plosgenetics.orgDNA-Analyse offenbart Mutationen.
Da somatische Veränderungen bislang als völlig zufällig galten, erwarteten Wissenschaftler bislang auch nicht, dass zwei mit einander nicht verwandte Personen die gleichen somatischen Mutationen aufweisen könnten. Williams und seine Kollegen haben in ihrer Untersuchung 10 gleiche Gewebeproben von zwei unterschiedlichen Personen analysiert und darin zu ihrem eigenen Erstaunen gleich mehrere identische Mutationen gefunden. Darüber hinaus haben sie festgestellt, dass sie diese sich wiederholenden Mutationen nur in Gewebe aus Nieren, Leber und dem Skelettkörper finden konnten.

Da sich ihre Analyse ausschließlich auf die sogenannte mitochondriale DNA (mDNA) und damit auf DNA konzentrierte, die nur von Seiten der Mutter vererbt wird, sollten technisch gesehen auch alle Frauen die mDNA einer gemeinsamen Urahnin in sich tragen und miteinander teilen. Allerdings haben Mutationen zu den heute vorhandenen Unterschieden geführt.

Die Bedeutung der Ergebnisse des Teams um Williams liegen nun u.a. darin, dass diese gewebespezifischen, wiederkehrenden und gemeinsamen Mutationen in der mDNA unterschiedlicher und nicht miteinander Verwandter Probanden, nur extrem unwahrscheinlich durch rein zufällige Prozesse entstanden und aufrecht erhalten werden können. "Das Ergebnis legt die Notwendigkeit eines völlig unterschiedlichen Modells nahe. Ein entschieden nicht-zufälliger Prozess, der in besonderen Mutationen und nur in speziellen Geweben abläuft", so Williams.

Dr. Mark Israel, Direktor des Norris Cotton Cancer Center und Professor für Pädiatrie und Genetik an der Geisel School of Medicine zeigt sich angesichts der neuen Entdeckung optimistisch: "Die Tatsache, das somatische Mutationen in der mitochondrialen DNA offenbar eben nicht zufällig sondern nach Mustern ablaufen, ermöglicht eine völlig neue Arbeitshypothese auch für den Rest des Genoms. Sollte diese Nicht-Zufälligkeit allgemeingültig sein, so könnte dies Auswirkungen auf Krebsrisiken haben, wie wir sie uns bislang gar nicht vorstellen und sie vorhersagen können. Diese Erkenntnisse könnten einen wirklich elementaren Einfluss auf unser Wissen über unsere Anfälligkeit für Krankheiten sein und diese vollkommen verändern.


Quelle: geiselmed.dartmouth.edu