Astronomen kennen Myriaden verschiedenster Galaxien und ordnen sie in unterschiedliche Klassen. Doch mit unserem eigenen Milchstraßensystem tun sie sich schwer. Eine Spiralgalaxie ist es allemal, aber was für eine nun genau? Das Problem: Wir können diese gigantische Welteninsel natürlich nicht von außen beobachten und sehen somit längst nicht alles. Jetzt wird allerdings ein schon altbekanntes Bild wiederbelebt, das zwischenzeitlich für tot erklärt worden war.

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Unsere Galaxis hat doch vier Arme! Sie winden sich vom Bereich des Zentrums mit seinem supermassiven Schwarzen Loch spiralförmig nach außen, um die mächtige Scheibe unseres Milchstraßensystems zu bilden. Genau das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die recht moderne Beobachtungen als Irrtum entlarvt.

Für gewöhnlich werden bei Spiralgalaxien nur zwei Arme beobachtet. In der jüngeren Zeit rechneten Astronomen auch unsere Galaxie zu solchen Objekten. Eigentlich könnte man meinen, sie ließe sich leichter erforschen als ihre weit entfernten Artgenossen. Doch unsere Position mitten im Sterngewimmel sorgt für einige Schwierigkeiten, mit denen Forscher seit Jahrhunderten kämpfen.

Eine der größten Errungenschaften der Antike war die Erkenntnis, das neblige Band, wie es die Milchstraße nachts über den Himmel wirft, müsse aus unzähligen weit entfernten Einzelsternen bestehen, so zahlreich, lichtschwach und fern, dass sie zu einem schimmernden Nebelhauch verfließen. Diese Idee stammt bekanntlich vom griechischen Philosophen Demokrit und somit aus dem 5. Jahrhundert vor Christus! Demokrit ist vor allem berühmt für seine verblüffend modern anmutende Vorstellung von den Atomen als winzigen, nicht mehr weiter teilbaren Partikeln, aus denen alle Materie besteht. Und irgendwie ähneln sich beide Konzepte Demokrits - das der Milchstraße und das der Atome.

Erst viel später versuchten Astronomen, auch die Gestalt der Milchstraße abzuleiten. Zunächst geschah das nur sehr grob, denn eigentlich fehlten alle wesentlichen Voraussetzungen dafür. Immerhin aber ließ die frühe »Stellarstatistik« einige Aussagen zu. Einige Forscher gaben sich der fordernden Aufgabe hin, die Sterne in den verschiedenen Himmelsrichtungen zu zählen, und versuchten sich auf Grundlage zunächst sinnvoll erscheinender Annahmen auch in der Entfernungsbestimmung. So entstand allmählich ein erster dreidimensionaler Eindruck des Ganzen. Der Deutsch-Engländer William Herschel zeichnete Karten vom Aufbau der Milchstraße und gelangte zu einem eher amorphen Gebilde, das kaum Ähnlichkeit mit einer typischen Spiralgalaxie besitzt.

Erst Messungen der Radiostrahlung neutralen Wasserstoffs halfen hier weiter. Wasserstoffwolken befinden sich vor allem in den galaktischen Spiralarmen, und so ließ sich jetzt doch ein weit vollständigeres Bild ermitteln. Allerdings sind viele Regionen unseres Milchstraßensystems von der Sonne und somit auch von der Erde aus nicht sichtbar. Hinter dem für uns undurchdringlichen galaktischen Zentrum und dessen Umfeld erstreckt sich ein ausgedehnter »Beobachtungsschatten«: Alles, was sich in diesem Sektor befindet, bleibt für uns unsichtbar.

Trotz der Unmöglichkeit, einen wirklich kompletten Überblick zu erhalten, kristallisierte sich vor allem durch die Beobachtung der galaktischen Gaswolken eine vierarmige Spiralform heraus. Und rund fünf Jahrzehnte lang durfte diese Beschreibung als korrekt gelten. Dann kam das Weltraumteleskop Spitzer und ermöglichte hervorragende Infrarotbeobachtungen. Astronomen peilten eine große Zahl relativ »kühler« und massearmer Sterne an. Davon gibt es besonders viele. Insgesamt 110 Millionen fremde Sonnen nahm Spitzer ins Visier. Die Auswertung ergab eine völlig veränderte Gestalt der Galaxis. Demnach schien sie einer typischen Spirale zu entsprechen, mit lediglich zwei Armen. Sie setzten offenbar nicht direkt am Zentrum an, sondern an zwei physisch realen »Balken«, die sich von gegenüberliegenden Punkten des galaktischen Kerns in den Raum erstreckten. Von ihren verdichteten Enden begannen sich dann die beiden Arme nach außen zu winden. Einige Beobachtungen legen schon länger nahe, dass es sich bei unserer Galaxis um eine solche Balkenspirale handelt.

Das Phänomen ist von zahlreichen anderen Galaxien bekannt. Es stellt anscheinend sogar eine recht dauerhafte Phase der Galaxienentwicklung dar, denn bis zu zwei Drittel aller Spiralgalaxien sind Balkenspiralen. Das Spitzer-Infrarotteleskop war vor einigen Jahren erstmals in der Lage, die dichten Wolken interstellaren Staubes zu durchdringen, die den Kern der Galaxis umgeben, und auf diese Weise den Balken im »Auge« der Galaxis konkret nachzuweisen.
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Der Balken erstreckt sich laut den Daten von Spitzer über 27 000 Lichtjahre und ist damit länger als vermutet.

Doch was unsere »ver-armte« Galaxis betrifft, die den 2008 veröffentlichten Beobachtungen jenes speziellen Weltraumteleskops zufolge lediglich zwei Spiralarme aufweist, erheben einige Astronomen jetzt Einspruch. Und das mit gutem Grund. Das Teleskop lieferte zwar korrekte Daten, immer noch spielte aber ihre Interpretation durch die Fachleute die entscheidende Rolle. Genau die Beobachtung der sehr zahlreich vorkommenden massearmen, kühlen Sterne hat einen Haken: Denn sie werden sehr alt. Schön für sie, nicht aber für die Messung. Denn im Lauf ihres langen Lebens entfernen sie sich weit von ihrer Geburtsstätte. Sie verteilen sich im System und »verschmieren« damit auch das Ergebnis. Besser ist es, sich einer kleineren Zahl sehr leuchtkräftiger Sonnen zu widmen, die ihre Energie extrem schnell verfeuern. Sie sind sehr jung und kaum vom Ort ihrer Entstehung abgewandert. Somit erhalten ihre Positionen repräsentativen Charakter, denn Sterne entstehen nun einmal in den riesigen Gas- und Staubwolken der galaktischen Spiralarme. Die Riesensterne markieren also die Lage der Spiralarme.

Im Fachblatt Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlichte nun eine internationale Forschergruppe um Melvin Hoare von der Universität Leeds eine neue Studie, die genau diese Fakten berücksichtigt und sich der Verteilung von 1650 stellaren Riesen in der Galaxis widmet. Während die kühlen »Spitzer-Sterne« ähnlich unserer Sonne etliche Milliarden Jahre alt werden, sterben die jetzt untersuchten Riesensterne innerhalb von nur rund zehn Millionen Jahren! Sie liefern gleichsam ein klares Standbild unseres Milchstraßensystems und bestätigen die alten Ergebnisse der 1950er Jahre buchstäblich glänzend. Unsere Galaxis besitzt doch vier Arme! So wird das lange bestehende und schließlich abgelöste Schema nun rehabilitiert« - »neuer« muss also nicht immer auch »besser« heißen.

Insgesamt haben aber die Beobachtungen die »Landkarte« unseres galaktischen Systems verfeinert. In Zukunft könnte es interessant werden zu untersuchen, welche Bedeutung der Unterschied von vierarmigen gegenüber zweiarmigen Galaxien eventuell auch für das Leben haben könnte. Wie laufen potenzielle Dichtewellen durch diese Galaxien, gibt es Unterschiede bei den Sternentstehungsraten, wie stabil sind die verschiedenen Systeme, und liegen letzten Endes möglicherweise sogar abweichende Bedingungen für die Entwicklung von Leben vor? Scheinbare Belanglosigkeiten könnten also plötzlich eine entscheidende Bedeutung haben. Auch hier muss die Natur ihre Geheimnisse erst noch preisgeben.