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Kabul - Im Alter von zwölf Jahren wurde sie verkauft, zwangsverheiratet und dann jahrelang malträtiert: Sechs Monate lang sperrten Familienmitglieder ihres Ehemanns sie in einer Toilette ein; sie drückten Zigaretten auf ihr aus, rissen ihr die Fingernägel aus. Es grenzte an ein kleines Wunder, dass der Fall der heute 15-jährigen Sahar Gul an die Öffentlichkeit und vor allem vor Gericht gelangte. Und eine Zeitlang gab es die Hoffnung, Sahars grausames Schicksal könnte Afghanistan für Frauen- und Kinderrechte sensibilisieren.

Doch nun werden die Uhren am Hindukusch wieder zurückgestellt: Das Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das Fälle wie jenen der 15-jährigen Sahar Gul aus den Gerichtssälen verbannen könnte. Dem Gesetzestext zufolge dürfen Verwandte von Verdächtigen nicht mehr vor Gericht aussagen. Auch die Opfer können so nicht befragt werden, wenn ihr Peiniger etwa der Ehemann, Vater oder Bruder ist. „Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, haben Frauen und Kinder keinen rechtlichen Schutz mehr gegen Angriffe oder Zwangsverheiratungen durch Verwandte“, schreibt Human Rights Watch. Auch Ehrenmorde an Verwandten, in Afghanistans Stammesgesellschaft verbreitet, könnten kaum verfolgt werden.

Angriffe auf Frauenrechte

Noch fehlt die Unterschrift von Hamid Karzai unter dem Gesetz. Menschenrechtsorganisationen flehen den Präsidenten an, es nicht zu unterschreiben. Wann und wie er sich entscheidet, ist ungewiss.

Der betroffene Artikel 26 ist auch unter Politikern umstritten: Nach dem Beschluss durch das Unterhaus wurde im Oberhaus eine veränderte Version verabschiedet, die nahelegt, dass Verwandte von Verdächtigen durchaus befragt werden können - sich aber eben entschlagen dürfen, wie das auch in europäischen Ländern der Fall ist. Doch eine Vermittlungskommission zwischen den beiden Kammern entschied zugunsten der ersten Variante. Für Menschenrechtsaktivsten passt die Entscheidung ins Bild: „Es liegt in Afghanistan im Trend, erkämpfte Frauen- und Kinderrechte zu beschneiden“, erklärte Heather Barr von Human Rights Watch gegenüber der Presse.

Im Mai 2013 etwa forderten Mitglieder des Unterhauses die Abschaffung der strafrechtlichen Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe sowie ein Ende des Verbots von Kinderheirat. Sie zielen dabei auf das Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Das 2009 beschlossene Konvolut ist eine der größten Errungenschaften im Post-Taliban-Afghanistan, auch wenn es bei der Implementierung in vielen Fällen hakt. Zwischen Oktober 2012 und September 2013 wurde es nach UN-Angaben nur in 109 von 1669 gemeldeten Fällen von Gewalt gegen Frauen angewendet. Auf dem Papier verbietet das Gesetz etwa das Schlagen oder Vergewaltigen von Frauen; Kinder- und Zwangsheirat sowie „baad“ (das Verschenken jungfräulicher Mädchen zur Schlichtung eines Konflikts).

Und dann war da noch der Fall der Sahar Gul. Die Verurteilung dreier Mittäter im Mai 2012 feierten NGOs als Durchbruch im Kampf für Frauen- und Kinderrechte. Im Sommer 2013 kamen Sahars Peiniger übrigens frei, ein Gericht schwächte die zehnjährige Haftstrafe wegen Folter und versuchten Mordes ab. Der Urteilsspruch liegt im Trend.