Kappa Cassiopeiae ist ein Stern der Superlative. Trotz einer Entfernung von über 4000 Lichtjahren ist er mit bloßem Auge im berühmten »Himmels-W« zu sehen. Unsichtbar aber blieb bislang eine mächtige Stoßwelle, die dieser ungewöhnlich schnell dahinziehende Stern in seiner kosmischen Umgebung erzeugt. Jetzt gibt es faszinierende Infrarotbilder von diesem Phänomen.
Kappa cassiopaea
© NASA/JPL-Caltech
Wie von einem kraftvollen Impuls uralter Zeit getrieben, dreht sich unsere Galaxis seit Jahrmilliarden um ihre Achse und rührt dabei fortwährend einen gigantischen, glühenden Brei aus Staub, Gas und Sternen um. Unsere Sonne benötigt über 200 Millionen Jahre für einen vollständigen Umlauf um das galaktische Zentrum, das sich in beinahe 30 000 Lichtjahren Entfernung zu einem strahlenden Dom aus Licht aufwölbt. Verwirrende Dimensionen in Raum und Zeit, wie sie in der Astronomie auf der Tagesordnung stehen.

Doch auch auf dem Gebiet der Superlative gibt es noch ganz eigene Rekorde. Kandidaten hierfür sind nicht immer Schwarze Löcher, Quasare oder Supernovae, die das Übermaß bereits im Namen tragen. Einige Einzelsterne fallen durch exotische Eigenschaften auf, darunter auch ihr besonders hohes Tempo, mit dem sie durchs weite Sternenmeer ziehen. Sie werden »Schnellläufer« oder »Runaway-Sterne« genannt. Was sie ursprünglich in den galaktischen Galopp versetzte, bleibt vielfach ungeklärt. Doch genau die so energiereichen Supernovae kommen als potenzielle Verursacher infrage. Findet eine derartige gigantische Sternexplosion in der »unmittelbaren« Nachbarschaft eines Sterns statt, kann das die jeweils nächstgelegene Sonne ziemlich auf Trab bringen. Wenn sich in einem Doppelstern ungleiche Komponenten unterschiedlich schnell entwickeln und die massereichere zur Supernova mutiert, wird es besonders dramatisch. Überlebt der nahe Begleiter und wird er durch die Druckwelle beschleunigt, beginnt er ein Dasein als Schnellläufer.

Ein so heller wie schneller Stern ist HD 2905, besser bekannt als »Kappa Cassiopeiae«. Er zeigt einen geringfügigen Lichtwechsel, ist aber zu jeder Zeit bereits mit bloßem Auge oberhalb des mittleren Zackens zu sehen, der vom berühmten »Himmels-W« der Cassiopeia gebildet wird, einer in unseren Breiten auffallenden Zirkumpolar-Konstellation. Seine leichte Sichtbarkeit ist angesichts der Entfernung zur Erde umso erstaunlicher: Satte 4000 Lichtjahre trennen uns von dieser Riesensonne, die zur Leuchtkraftklasse der Überriesensterne zählt. Ihr Spektraltyp »B« ist zudem die Erkennungsmarke für einen heißen, bläulich-weiß strahlenden Giganten.

Dieser Runaway-Stern legt in jeder Sekunde 1100 Kilometer zurück. Das ist zwar selbst für einen Stern außergewöhnlich schnell. Trotzdem wäre ihm dieses Tempo kaum anzusehen. HD 2905 erreicht den 41-fachen Durchmesser unserer Sonne, somit rund 57 Millionen Kilometer. Um den eigenen Durchmesser mit der gegenwärtigen Geschwindigkeit im Raum zurückzulegen, benötigt Kappa Cas also etwa 14,5 Stunden. Unsere wesentlich kleinere Sonne benötigt aktuellen Erkenntnissen zufolge allerdings zwei Stunden länger!

Spannend ist nun aber vor allem eine neue Entdeckung, die erstmals im Bild festhält, wie Kappa Cassiopeiae eine regelrechte Bugwelle in die umliegende interstellare Materie hinein rammt. Die Medien berichten bereits über den rasenden Stern, der »die Galaxis schockt«. Ganz so wild ist es zwar nicht, aber dennoch ungeheuer faszinierend. Die in der Astronomie als »Bow Shock« bezeichneten Stoßfronten lassen sich bei sichtbaren Lichtwellenlängen nicht nachweisen, sehr wohl aber im Infrarotbereich. In der vergangenen Woche wurden spektakuläre Aufnahmen des Weltraumobservatoriums Spitzer veröffentlicht, die das Phänomen sehr eindrucksvoll erfassen.

Sie zeigen ein verblüffendes Wechselspiel zwischen abgestoßener Sternmaterie und diffusem, sonst unsichtbarem galaktischem Gas sowie den vermengten Staubmassen des interstellaren Raumes. Der Aufprall sorgt für die Freisetzung von Energie und ein Infrarot-Aufleuchten der Materie. Dadurch verrät sowohl der beteiligte Stern als auch das Umgebungsmaterial einige Eigenschaften, die für Wissenschaftler sonst unzugänglich im Dunkel blieben.

Die Bugwelle prallt in rund vier Lichtjahren Distanz von Kappa Cas auf die Teilchen im kosmischen Ozean. Vier Lichtjahre, das ist in etwa die Entfernung zum nächsten Nachbarstern der Sonne: Alpha Centauri!

Auf der infraroten Aufnahme des Spitzer-Teleskops zeichnet sich die Stoßfront als rötliches, bogenförmiges Gebilde ab, dazwischen leuchtet es geheimnisvoll grün. Diese Farbcodierung indiziert einen anderen Anteil kosmischer Materie: Es handelt sich um kohlenstoffhaltige Moleküle in Wolken zwischen dem vergleichsweise fernen Überriesen und unserer Sonne. Sie werden von anderen Sternen der Galaxis angestrahlt und reflektieren das Licht ins All.

Auch langsamere Sterne haben Bow Shocks. Unter anderem der Rote Riese Beteigeuze im Orion. Dieser ausladende Stern befindet sich am Ende seines Daseins und wird, astronomisch gesehen, wohl bald zur Supernova. Glücklicherweise ist er weit genug von uns entfernt, um nach allem, was man heute weiß, keine Gefahr darzustellen. Er könnte im Extrem aber so hell wie der Vollmond am Himmel strahlen und bliebe dennoch weiterhin ein winziger Lichtpunkt. Die Strahlung wäre daher dermaßen intensiv, dass ein direkter, ungeschützter Blick auf diese Supernova wohl schwere Augenschäden verursachen würde.

Wann Beteigeuze explodiert, lässt sich nicht berechnen. Heute ist dieser wahrhaft gigantische Stern etwa 100 000-mal leuchtkräftiger als die Sonne, und sein langperiodisch variabler Durchmesser kann sie um das Tausendfache übertreffen. Ins Zentrum des Sonnensystems gesetzt, würde seine Oberfläche die Gefilde der Riesenplaneten erreichen. Beteigeuze bewegt sich zwar mit nur etwa 30 Kilometern pro Sekunde durch sein Umfeld, doch wie das Herschel-Weltraumteleskop ebenfalls im Infrarot zeigen konnte, erzeugte auch er bereits mehrere runde Bögen in der interstellaren Materie.

Interessant: In rund 12 000 Jahren dürfte Beteigeuze dann auf eine bislang von ihm unabhängige »Materiewand« prallen, ein leuchtendes Filament, das auf den Herschel-Aufnahmen eindeutig nachgewiesen werden konnte. Ob die Begegnung irgendwelche Folgen haben wird, lässt sich aber derzeit wohl kaum sicher prognostizieren. Die neuen Beobachtungen um Kappa Cassiopeiae belegen jedenfalls sehr deutlich, dass Runaway-Sterne noch in überraschend großen Entfernungen klare Auswirkungen haben können.