Brennende Gebäude, lodernde Polizeiautos, geplünderte Geschäfte, Pflastersteine auf Polizisten. In Baltimore herrscht nach der vergangenen Nacht Ausnahmezustand. Die Angst geht um, dass auch in anderen Städten der USA bald solche Unruhen ausbrechen. Die Furcht ist berechtigt. Und die Gefahr wird gezielt geschürt.

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Jetzt ist auch die Nationalgarde angerückt. Nach dem Begräbnis für den 25-jährigen schwarzen Amerikaner Freddie Gray, der am 12. April festgenommen worden war und im Gewahrsam der Polizei zu Tode kam − eskalierten Plünderungen, Proteste und Polizeieinsätze.

Vielen Städten im sozial gespaltenen, rassistischen und von militarisierter Polizei geplagten Amerika drohen Straßenschlachten und Aufstände wie in Baltimore. Sie kommen keineswegs überraschend. Seit Jahren wird davor gewarnt.

Das Verhalten der Polizei in Baltimore hat sogar einen schlimmen Verdacht geweckt. Im US-Fernsehen hagelte es gestern Abend heftige Kritik an der Vorgehensweise der lokalen Polizei, die sich am späten Nachmittag und frühen Abend zunächst auffallend im Hintergrund hielt.

Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake erklärte in einer - laut Kritikern viel zu spät angesetzten - Pressekonferenz am Abend, es habe eine bewusste Entscheidung gegeben, »denen, die auf Zerstörung aus waren, Raum zu geben«. Das sei die beste Möglichkeit gewesen, um zu »de-eskalieren«.

Doch diese Zurückhaltung bot Plünderern und organisierten Gruppen stundenlang die Chance, die zunächst friedlichen Proteste für ihre Straftaten zu nutzen. Das wiederum spielte der politischen Kaste und dem Sicherheitsapparat in die Hände.

Dem Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, sowie der Bürgermeisterin und den Mainstream-Medien lieferten die Plünderungen den Vorwand, den sie wollten: Sie können für die Unruhen »Kriminelle« verantwortlich machen und - wie Larry Hogan - behaupten, die Gewalt sei nicht von Protestlern und Demonstranten ausgegangen, sondern von »Gangs und Dieben«.

Mit der Kriminalisierung der Proteste lässt sich wunderbar davon ablenken, worum es in Baltimore wirklich geht: Es ist die übliche Ghetto-Bildung und soziale Spaltung, die überall in den Ballungsräumen Amerikas zu beobachten ist.

Hinzu kommen weit verbreiteter Rassismus, Polizeigewalt und ein menschenverachtendes Wirtschaftsmodell, das Familien zerstört und die Gefängnisse des Landes fast ausschließlich mit Schwarzen füllt.

Diese Zerrissenheit ist weniger sichtbar für Touristen, die sich meist nur die Sehenswürdigkeiten und Museen anschauen, oder - im Falle von Baltimore − an der Chesapeake Bay in einem der vielen leckeren Seafood-Restaurants essen gehen.

Aber die Spaltung des Landes ist allgegenwärtig in den Statistiken und in Stadtteilen, in die sich nicht einmal Polizeistreifen vorwagen. Es gibt sie sogar in der Hauptstadt Washington, östlich der Parlaments-Meile »Capitol Hill«.

In Baltimore sieht das so aus: Eine vergleichsweise besser situierte - überwiegend weiße - Innenstadt und eine schwarze, aber völlig verarmte, verwahrloste »Westside«, in der 16 000 Häuser leer stehen und 25 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen.

Während die Wirtschafts-Ikonen der Stadt - darunter die Football-Millionäre der Baltimore »Ravens« und die Baseball-Legenden der »Orioles« − Steuerprivilegien genießen und Geld nachgeworfen bekommen, damit sie die Stadt nicht verlassen, bleibt der schwarze Teil Baltimores im Würgegriff miserabler Billiglöhne, lausiger Infrastruktur und heruntergekommener Schulen gefangen.

Das ist der Grund, warum der Soziologie-Professor und bekannte Radio-Moderator Michael Eric Dyson schon zu Beginn der Unruhen am Montag im TV-Sender MSNBC vorhersagte: »Viele LIVE-Berichte der Medien werden später ausgiebig Hooligans und Schlägertypen zeigen, aber das große Bild dahinter werden sie ausblenden.«

Genauso ist es gekommen.

Das vom sozialen und moralischen Verfall heimgesuchte Amerika will gar nicht wahrhaben, was seine eigentlichen Probleme sind. Sie werden in den Medien sorgsam ausgeblendet und schaukeln sich derweil weiter hoch.

Dabei entsteht eine Dynamik, wie wir sie in Europa von der Staatsschuldenkrise kennen. Sie lässt sich eine Weile ausblenden, schmort aber weiter und bläht sich ständig auf - bis sie sich eines Tages explosionsartig entlädt.

Die Eliten wissen das.

Und sie bereiten sich darauf gezielt vor. In den USA mit großen Übungen von Heimatschutz-Ministerium und Nationalgarde, wo der Aufstand von Zivilisten - und dessen Niederschlagung - bereits eifrig geübt wird. Die aktuelle Großübung »Jade Helm« ist ein ausgezeichnetes Beispieldafür, wie die Eliten Amerikas den Krieg gegen das eigene Volk einstudieren.

Aber trotz solcher Übungen steht der Staat am Ende ziemlich unvorbereitet da. Er rechnet mit Aufständen wie in Baltimore. Aber er hat keine Ahnung, wo und wie es am Ende losgehen wird, wenn das soziale Pulverfass explodiert.

Die ersten Vorbeben waren jedenfalls klar zu erkennen, nicht nur in Baltimore. Wir haben sie auch in Ferguson im vergangenen Sommer gesehen, dazu bei großen Protesten in Metropolen wie New York, Chicago, Detroit und Los Angeles.