Die ersten Hinweise zum VW-Skandal in den USA kamen aus Deutschland. Es waren Forscher in Berlin, denen verdächtige Abgaswerte auffielen. Danach folgte eine monatelange Detektivarbeit.
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Mehr als ein Jahr lang war das renommierte Institut ICCT (International Council on Clean Transportation) dem Volkswagen-Konzern auf den Fersen. Die Forscher gehen seit Langem der umstrittenen Frage nach, wie viele Schadstoffe Dieselfahrzeuge wirklich ausstoßen. Vor allem Stickoxide in deren Abgasen stellen eine Gesundheitsgefahr dar, sie schädigen die Atemwege von Menschen.

Im vergangenen Jahr hatten sich bei einem Test europäischer Dieselmodelle der Hersteller Volkswagen und BMW Widersprüche ergeben. Peter Mock, Direktor von ICCT Europe, gab daraufhin den Vorgang an seine Kollegen in den USA weiter. Sollte man nicht die Tests dort wiederholen, wo die gesetzlichen Abgasgrenzwerte die strengsten der Welt sind? Die US-Modelle müssten doch die Emissionsprüfungen locker überstehen, das war die Annahme.

"Wir hatten keinen Grund für einen Verdacht", sagte John German, ICCT-Co-Direktor in den USA, "Bloomberg". "Wir dachten, die Autos wären sauber." Die Forscher des kleinen Umweltforschungsinstituts suchten sich Hilfe bei der West Virginia University. Deren Center for Alternative Fuels, Engines and Emissions verfügte über die nötige Technik: ein tragbares PEMS-Gerät für den Kofferraum, das über eine Sonde im Auspuff die Abgaszusammensetzung und zugleich Daten wie Geschwindigkeit, Beschleunigung und Abgastemperatur misst.

Der Testaufbau der Universität West Virginia und des ICCT:
  • Die Wissenschaftler nahmen sich die Modelle VW Jetta (2012), VW Passat (2013) und BMW X5 vor. Das gewünschte Mercedes-Modell stand ihnen zu jenem Zeitpunkt über Mietwagenfirmen nicht am Testort zur Verfügung, wie Mock sagte.
  • Die Universität West Virginia ging mit den PEMS-präparierten Autos auf fünf verschiedene Routen (Highway, Stadt, Land, bergauf, bergab). Das ICCT testete die Modelle auf dem offiziellen Prüfstand des California Air Resources Board (Carb), einer kalifornischen Umweltbehörde.
  • Der Passat wurde zusätzlich auf eine 4000 Kilometer lange Highway-Strecke zwischen den US-Bundesstaaten Kalifornien und Washington geschickt.
  • Der VW Jetta war mit einem NOx-Speicherkatalysator ausgestattet, der Stickoxide wie ein Schwamm bindet. Der VW Passat und der BMW X5 verfügten über einen sogenannten SCR-Katalysator, der mittels einer etwa AdBlue genannten Harnstofflösung die Stickoxide in Stickstoff und Wasser aufspaltet.
  • Alle Wagen wurden vor dem Test auf mögliche Defekte in Motor oder Steuerungssoftware überprüft.
Das Ergebnis: Die drei Autos bestanden ohne Weiteres die offiziellen Carb-Tests. Doch die Ergebnisse der Stickoxid-Messungen unter Realbedingungen überraschten John German:
  • Die von der West Virginia University gemessenen Stickoxidwerte lagen beim VW Jetta generell um das 15- bis 35-Fache und beim VW Passat um das 5- bis 20-Fache über dem gesetzlichen US-Grenzwert.
  • Der BMW X5 erfüllte die Stickoxid-Vorgaben im Allgemeinen und lag nur beim Bergauffahren darüber.
Der Verdacht einer Manipulation war geweckt.

Im Mai 2014 leiteten Carb und die US-Umweltbehörde Epa wegen der Studie eine offizielle Untersuchung gegen Volkswagen ein. Mehrere Monate lang fanden Gespräche statt, wie die Epa in einem Brief an VW vom 18. September beschreibt. VW versuchte, die Ergebnisse der Universität zu replizieren, und verkündete dann, den Fehler in der Motorsteuerungssoftware gefunden zu haben. Im Dezember 2014 rief der Hersteller fast 500.000 ihrer Autos in den USA zurück, ein Software-Update wurde eingespielt.

Die kalifornische Behörde Carb überprüfte nach dem Rückruf, ob die Programmkorrektur unter Realbedingungen Erfolg hatte: Fehlanzeige. Die Tests wurden ausgeweitet, um den Grund des schlechten Abschneidens der VW-Autos herauszufinden. Im Juli informierte sie die Epa und VW darüber. Zur gleichen Zeit mussten die US-Behörden über die Zulassung der 2016er Modelle von VW entscheiden - und zogen angesichts der Vorgänge die Notbremse. Solange der Fehler nicht gefunden sei, gebe es keine Zertifizierung.

Da knickte Volkswagen laut des Epa-Briefes ein: "Erst da gab VW zu, dass das Unternehmen in diesen Autos ein Abschaltgerät (defeat device) in Form eines hochentwickelten Software-Algorithmus' entwickelt und installiert hat. Dieses kann feststellen, ob das Auto gerade getestet wird." Oder wie die Epa-Vertreterin Cynthia Giles erklärt: "Einfach gesagt: Diese Autos hatten ein Programm, das die Abgasbegrenzung beim normalen Fahren ausschaltet und bei Abgastests anschaltet." Das Ergebnis der Manipulation: eine bessere Motorleistung auf Kosten der Umwelt.

Das Desaster, das die Zukunft von Volkswagen in den USA bedroht, wurde öffentlich. 482.000 Autos von sieben VW- und Audi-Modellen seit 2009 sind mit dem Defeat Device ausgerüstet - den Verkauf bestimmter Wagen des Modelljahrs 2015 hat der Konzern gestoppt. Volkswagen-Chef Martin Winterkorn kündigte umfassende Aufklärung und eine externe Untersuchung an.