Sie retten Flüchtlinge, die mit ihren Schlauchbooten vor Griechenland in Seenot geraten sind. Doch die freiwilligen Helfer werden von den Behörden schikaniert - sie werden als Störenfriede bei der "Sicherung der Außengrenze" gesehen.
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"Offiziell fahren wir ja nur nach Skala Sikamineas, um einen Kaffee zu trinken. Und unterwegs gucken wir, ob jemand in Seenot ist", sagt Skipper Philipp Grözinger. Er steuert das Schnellboot der Hilfsorganisation Sea-Watch vor der Nordküste der griechischen Insel Lesbos. Der deutsche Seemann mit den schulterlangen blonden Haaren erklärt, dass die freiwilligen Helfer ihre Einsätze zur Rettung von Flüchtlingen fortsetzen - trotz neuer Auflagen und Schikanen. Denn griechische Behörden beschneiden seit jüngstem den Aktionsradius von NGOs, die Flüchtlingen helfen, halbwegs sicher die Küste von Lesbos zu erreichen.

Organisationen, die wie Sea-Watch über Rettungsboote verfügen, ist es nämlich verboten zu "patrouillieren". Zu einem Rettungseinsatz dürften sie nur dann auf See, wenn sie darum gebeten würden, teilte die griechische Küstenwache den NGOs in einer schriftlichen Anweisung mit.

Die Inselpolizei schloss zum Beispiel am 13. Januar auf den Klippen der Nordküste eine Funkstation, die von Ärzte ohne Grenzen und Greenpeace betrieben wurde. Von dort hatten diese die Schlauchboote der Flüchtlinge geortet und Rettungseinsätze koordiniert. Gegen die Betreiber läuft jetzt ein Ermittlungsverfahren, weil sie angeblich keine Genehmigung für das Aufstellen der Antenne und des Wohnmobils hatten. Dabei war das NGO-Hauptquartier seit November aktiv, ohne dass es jemanden gestört hätte. Die "Spotter" haben ein paar Hundert Meter weiter ein neues Hauptquartier improvisiert, neben einem verlassenen Wachstand des griechischen Militärs. "Sie wollen uns hier weghaben", sagt Greenpeace-Mann Paul Earnshaw im Interview mit dem ARD-Magazin "Panorama". Dann sucht er wieder das Meer mit einem Fernrohr nach Schlauchbooten ab.

Ebenfalls am 13. Januar nahm die Küstenwache fünf Rettungsschwimmer an der Ostküste fest. Ihnen wird vorgeworfen, beim Grenzübertritt von Flüchtlingen über die türkisch-griechische Seegrenze geholfen zu haben. Die Freiwilligen aus Dänemark und Spanien sollen als Schlepper angeklagt werden. "Ist das der Dank dafür, dass wir so viele Menschen gerettet haben?", fragt der Hauptbeschuldigte Salam Aldeen. Er bestreitet, in türkischen Gewässern unterwegs gewesen zu sein. Der Däne kam gegen Kaution auf freien Fuß. Sein Boot wurde beschlagnahmt, sodass er den Flüchtlingen vorläufig nur beim Anlanden helfen kann.

Was hat das Vorgehen gegen die NGOs zu bedeuten? Werden die freiwilligen Helfer als Störfaktor bei der "Sicherung der Außengrenze" betrachtet, weil ihre Präsenz die Flüchtlinge womöglich zu der gefährlichen Überfahrt ermuntert? Falls europäische Regierungen demnächst Flüchtlinge auf See zurückweisen wollen ("Pushbacks"), wären die NGOs lästige Zeugen.

Schikanen gegen NGOs

Deutschland und Österreich drängen Griechenland, den Zustrom der Migranten von der Türkei zu stoppen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte es beim Treffen der EU-Amtskollegen in Amsterdam zur Priorität, "Druck auf Griechenland auszuüben". Dass die Schritte gegen NGOs auf Lesbos etwas mit der europäischen Großwetterlage zu tun haben, kann man vermuten, lässt sich aber nicht beweisen.

Die griechische Regierung bestätigt, dass gegen die fünf vorübergehend festgenommenen Rettungsschwimmer aus Dänemark und Spanien wegen "Verstoßes gegen das Ausländergesetz" ermittelt werde. Aber in einer zweiten Stellungnahme schiebt sie einen Tag später nach, dass "die Zusammenarbeit mit den NGOs notwendig war, ist und bleibt."

Deutlicher kann man kaum zugeben, dass die Behörden auf die freiwilligen Helfer angewiesen sind, wenn die Meerenge zwischen der Türkei und Lesbos nicht zu einem Massengrab werden soll. An der Nordküste der Insel, die teilweise nur acht Seemeilen vom türkischen Festland entfernt ist, verfügen die NGOs über acht Rettungsboote - die griechische Küstenwache und Frontex haben jeweils nur eins. Den besten Überblick über das Geschehen in der Meerenge haben also die NGOs, deren Kommunikationssystem nach den "Panorama"-Recherchen sogar regelmäßig von Küstenwache und Frontex genutzt wird. Egal welche Befehle von der Regierung kommen: In der von Winterstürmen gepeitschten See vor Lesbos kooperieren Grenzschützer und freiwillige Retter.

"Auf diesen Rest Menschlichkeit sind wir auch ein bisschen stolz"

Gemessen an der Zahl der auf Lesbos ankommenden Flüchtlinge gab es hier in den vergangenen Wochen weniger Todesfälle als in anderen Abschnitten der türkisch-griechischen Seegrenze. Havarien mit mehr als 50 Ertrunkenen ereigneten sich zuletzt vor den weiter südlich gelegenen Inseln Farmakonisi, Kalolimnos und Kos, wo NGO-Netzwerke wie auf Lesbos fehlen.

"Ich verstehe, dass es für Europa schwierig ist, all diese Menschen aufzunehmen und zu integrieren", sagt die Juristin Giorgia Linardi von Sea-Watch. Angesichts der jüngsten Schikanen vor Lesbos habe sie allerdings eine Botschaft an die Entscheidungsträger in Europa: "Sie sollen mal zwei Wochen herkommen und die Kinder in den Arm nehmen, die hier durchnässt und halb erfroren ankommen."

"Wir retten jeden Tag Leben, und auf diesen Rest Menschlichkeit sind wir auch ein bisschen stolz", sagt Skipper Philipp Grözinger. Gerade kamen bei zwei Grad Lufttemperatur und Windstärke fünf acht überfüllte Schlauchboote heil an der Nordküste von Lesbos an.

Die brenzligste Situation erlebte die Crew der Sea-Watch, als ein Flüchtlingsboot auf die felsige Steilküste steuerte. "Die wollten auf dem kürzesten Weg an Land. Aber die wären ins Wasser gefallen, und es hätte Todesopfer gegeben", ist sich der Seemann sicher. Im letzten Moment waren die Freiwilligen zur Stelle und lenkten das Schlauchboot zu einem Strand, wo es von anderen Helfern in Empfang genommen wurde. "Im Grunde ist jedes dieser Flüchtlingsboote ein Seenotfall, in dem das Retten Pflicht ist", sagt der Skipper.