Bild
© GIANLUIGI GUERCIA/AFP/Getty ImagesEin Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) in der Nähe von Homs
Damals Srebrenica, heute Homs. Die Welt darf nicht mehr zuschauen, wie ein Volk massakriert wird.

Tag für Tag betrachten wir nun die Bilder von der Belagerung und Bombardierung der Stadt Homs durch die Armee und die Sicherheitskräfte des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Sie rufen bei denjenigen besonders lebhafte Erinnerungen hervor, die diese Kriege im ehemaligen Jugoslawien miterlebt haben. Gerade Bosniern ist das grauenvolle Gemetzel des modernen Belagerungskrieges nur allzu gut vertraut. Die gnadenlosen Angriffe auf das syrische Volk können nicht länger hingenommen werden.

Wie schon im Fall von Bosnien und Herzegowina vor zwei Jahrzehnten bestand auch in Syrien angesichts der anschwellenden Katastrophe einer der ersten Schritte der Europäischen Union darin, dass sie ein Waffenembargo verhängte. Aber die Vorstellung, dass umso weniger Tote zu beklagen sein werden, je weniger Waffen sich im Umlauf befinden, hat bereits die bosnische Erfahrung widerlegt. Sogar Douglas Hurd, damals britischer Außenminister und wichtigster Befürworter des Waffenembargos der Vereinten Nationen, hat sich über seine Bemühungen, auf dem Schlachtfeld Chancengleichheit herzustellen, nachträglich mit Reue geäußert. Aufseiten der Jugoslawischen Volksarmee und ihrem bosnisch-serbischen Arm herrschte für den Einsatz gegen ihren de facto unbewaffneten Gegner, die Armee der Republik Bosnien und Herzegowina, niemals ein Mangel. Auch ohne die Unterstützung, die Baschar al-Assad aus Russland und dem Iran erhält, würde er heute in Syrien ein faktisches Monopol auf todbringende Waffen besitzen - nicht anders als seinerzeit der mit seinem Vater Hafis al-Assad verbündete Slobodan Milošević.

Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Baschar al-Assads Regime in Syrien begeht, sind nichts anderes als eine Neuauflage jener Praktiken ethnischer Säuberung, die in den neunziger Jahren auf dem Balkan angewendet wurden. In Libyen intervenierten der Westen und einige arabische Staaten im vorigen Jahr wirksam, um Zivilisten zu schützen und zu helfen, die Bevölkerung von Diktator Gaddafi zu befreien. Ein moralischer Unterschied zu Libyen besteht im aktuellen Fall Syrien nicht. Zwar trifft es zu, dass in Syrien enorme menschliche Opfer zu beklagen sind, dennoch führt die Rede von einer »humanitären Krise« in die Irre. Wie zuvor in Libyen setzt in Syrien ein Unrechtsregime jedes nur mögliche Mittel einschließlich der Verfolgung, Folterung und Ermordung normaler Bürger ein, um sich an der Macht zu halten.

Russischer und chinesischer Widerstand gegen eine militärische Intervention kann keine Ausrede für Untätigkeit sein.

Eine wirksame Reaktion auf das Massaker, das in Syrien an der eigenen Bevölkerung begangen wird, muss einige grundlegende Elemente enthalten: die Anerkennung des Syrischen Nationalrates, die Bewaffnung und luftgestützte Versorgung der Freien Syrischen Armee sowie die Anklage Baschar al-Assads und seiner willigen Gefolgsleute wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Freie Syrische Armee wurde gegründet, um unbewaffnete Demonstranten vor Assads Soldaten zu schützen. Sie zu bewaffnen würde zu einem Ende des Blutvergießens beitragen, denn in welchem Verhältnis die Waffen unter den Konfliktparteien verteilt sind, ist von größerer Bedeutung als ihre schiere Menge. Die Fähigkeit, Gebiete einzunehmen und gegen Angriffe zu verteidigen, würde die Versuche der Aufständischen erleichtern, sich auf ein einheitliches politisches Programm für ein neues, vereintes und demokratisches Syrien zu verständigen. Im Laufe des vergangenen Jahres scheint es den Rebellen gelungen zu sein, die ethnischen und religiösen Spaltungen zu überwinden, die die syrische Gesellschaft durchziehen. Dauern die Gewalt und die ethnischen Säuberungen allerdings an, so werden sich diese Trennlinien wieder vertiefen. Hinzu kommt: Die Bewaffnung der Opposition ist die Voraussetzung dafür, dass der Kampf auf Syrien begrenzt bleibt. Die Freie Syrische Armee im Stich zu lassen hieße, die Anfälligkeit dieser Kräfte für radikale Ideologien und fragwürdige Bündnispartner zu verstärken. Das könnte den syrischen Kampf für die Freiheit völlig umprogrammieren und auf Jahrzehnte hinaus verhindern, dass in Syrien der Aufbau einer demokratischen und prosperierenden Gesellschaft gelingt.

Der Westen muss seine Luftüberlegenheit einsetzen

Auch hier ist der Fall Bosnien lehrreich: Selbst in einer dafür weitaus weniger förderlichen Umgebung wandten sich vor zwei Jahrzehnten einige Teile der bosnischen Gesellschaft extremistischen Ideologien zu. Innerhalb der bosnischen Armee, die als säkulare und multiethnische Formation gegründet worden war, führte dies dazu, dass sich exklusive muslimische Einheiten mit Emiren und Imamen bildeten. Von ausländischen und einheimischen »Mudschahedin« begangene Kriegsgräuel ließen tief sitzende Ängste und Ressentiments entstehen, die nationalistische Politiker bis heute für ihre Zwecke nutzen.

Der Fall Libyen zeigt, dass der Westen seine Luftüberlegenheit mit durchschlagender Wirkung einsetzen kann, um einen Volksaufstand zu unterstützen. Eine Anklage gegen Assad und seine Henker würde das Regime nicht nur weiter diskreditieren und die Straflosigkeit beenden, mit der es bislang seinen brutalen Feldzug betrieben hat. Sie könnte auch von weiteren Gewalttaten abschrecken und auf diese Weise mit unmittelbarer Wirkung Menschenleben retten.

Ihre Befehle, auf unbewaffnete Demonstranten und Oppositionelle zu schießen, erteilen Assads Generäle in der Annahme, sie hätten keine Strafverfolgung zu befürchten. Dasselbe galt für die Generäle von Slobodan Milošević und Radovan Karadžić, die in den neunziger Jahren in Bosnien ethnische Säuberungen und Völkermord betrieben.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat sich auf das internationale Bekenntnis »Verantwortung zum Schutz« (»responsibility to protect«) geeinigt, um diejenigen Völker zu schützen, deren Regierungen sie nicht schützen können oder wollen. Als Begründung der westlichen Intervention in Libyen erklärte der amerikanische Präsident Barack Obama, es verlaufe eine direkte Linie von den Stränden der Normandie bis nach Bengasi. Jetzt muss der Westen wieder wirksam eingreifen, nicht zuletzt, indem er entscheidendes Beweismaterial an den Internationalen Strafgerichtshof weitergibt, um die Anklage gegen die Anführer des Assad-Regimes zu unterstützen. Sonst wird von Homs und anderen unter Beschuss geratenen syrischen Städten eine andere Linie verlaufen - jene nämlich, die 1995 in Srebrenica ihren Ausgang nahm.
Emir Suljagic

ist ein Überlebender des Massakers von Srebrenica und Autor des Buches Notizen aus der Hölle.

Reuf Bajorovic

ebenfalls gebürtiger Bosnier, arbeitet als politischer Analyst in Washington. Vorher beriet er lange Jahre die bosnischen Sozialdemokraten.
Aus dem Englischen von Tobias Dürr