Die Regierung schränkte das Demonstrationsrecht ein, Québecs Studenten scherte das nicht: Erneut gingen Zehntausende von ihnen gegen Repression und höhere Studiengebühren auf die Straße - und langsam reihen sich auch die Bürgerlichen bei den zornigen Studenten ein.
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Das neue Gesetz sollte Studenten ruhig stellen und hat das Gegenteil bewirkt: Am 100. Tag der Studentenproteste marschierten am Dienstag und Mittwoch bis spät in die Nacht Zehntausende durch die Städte in der kanadischen Provinz Québec, rund 400 Demonstranten wurden in der Nacht zum Donnerstag in Montréal festgenommen.

Die Demonstranten, nicht nur Studenten, trugen rote Banner und skandierten: "Unsere Straßen!" Gabriel Nadeau-Dubois, Sprecher der radikalen Studentenvereinigung Classe, freute sich über diese Unterstützung aus der Bevölkerung: "Diese Geste von Zehntausenden ist massiver und kollektiver ziviler Ungehorsam", sagte er. Auch in anderen Städten, unter anderem in New York, Paris und Vancouver, zeigten Menschen sich solidarisch und demonstrierten - wobei es dort maximal ein paar hundert waren.

Am Freitag hatte Québecs Provinzregierung ein Gesetz durch das Parlament gebracht, das die Demonstrationsfreiheit in Québec einschränkt. Seit drei Monaten demonstrieren in der kanadischen Provinz Studenten gegen eine Erhöhung der Studiengebühren, immer wieder kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen.

125.000 Euro Strafe für einen Unistreik

Das neue Gesetz schreibt Organisatoren von Demonstrationen mit mindestens 50 Teilnehmern vor, dass sie der Polizei mindestens acht Stunden im Voraus die geplante Proteststrecke mitteilen. Außerdem müssen diejenigen, die Kommilitonen durch Streikposten vom Studieren abhalten, bis zu 125.000 Dollar (rund 96.000 Euro) Strafe zahlen. Bis zum 01. Juli 2013 soll dieses Sondergesetz gelten. Zudem hat die Stadt Montreal eine neue Verordnung erlassen, die es Demonstranten verbietet, sich mit Masken zu verhüllen. Wer sich nicht daran hält, muss bis zu 3000 Dollar (rund 2300 Euro) zahlen.

Gewerkschaften und verschiedene Organisationen haben angekündigt, das Sondergesetz vor Gericht anzufechten. Ein solches Verfahren könnte jedoch Jahre dauern. Auch Oppositionspolitiker kritisierten das Gesetz erneut: "Dieses Gesetz hat leider nichts gelöst und wird auch nichts lösen", sagte Pauline Marois von der Oppositionspartei Québécois der Presseagentur "The Canadian Press". "Der Premier hat die Kontrolle über die Situation verloren."

Die Großkundgebung am Dienstagnachmittag verlief weitgehend friedlich. Erst bei Protesten am Abend stießen Polizisten und Demonstranten zusammen: Eine kleine Gruppe von größtenteils maskierten Demonstranten brannte Feuerwerkskörper ab und warf Flaschen auf die Polizei, die wehrte sich mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Es ist unklar, wie viele die Polizei daraufhin festgenommen hat. Einige Quellen sprechen von 11, andere von 50 Festgenommenen. Den meisten werde illegale Versammlung und das Tragen von Masken vorgeworfen, teilte die Polizei mit. Der Studentenvertreter Gabriel Nadeau-Dubois hatte am Freitag bereits angekündigt, dass sie bereit seien, das neue Gesetz zu brechen.

Volkszorn über "eingerahmte" Demonstrationen

Die öffentliche Meinung scheint indes zugunsten der wütenden Studenten zu kippen: Unterstützte zunächst eine Mehrheit der Menschen in Québec die Regierung bei ihrem Vorhaben, die Studiengebühren anzuheben, sind seit der Verabschiedung des Demo-Sondergesetzes viele Menschen in Québec verärgert über das Krisenmanagement von Provinz-Regierungschef Jean Charest.

In Québec sind die Studiengebühren im Vergleich zu anderen Teilen Kanadas besonders niedrig. Der derzeitige Plan sieht vor, dass sie in den kommenden sieben Jahren jährlich um 254 kanadische Dollar (etwa 195 Euro) steigen. Aus anfänglicher Ablehnung in der bürgerlichen Bevölkerung wird nun Unterstützung: Seit knapp einer Woche stellen sich im Zentrum Montreals allabendlich viele Menschen um 20 Uhr auf ihre Balkone oder vor ihrer Häuser und schlagen auf Töpfe und Pfannen, berichtet The Canadian Press.

Der Provinzminister für öffentliche Sicherheit, Robert Dutil, verteidigte das Sondergesetz: Es verhindere keine Demonstrationen, sondern rahme sie ein, sagte er. "In Frankreich braucht man 20 Tage vorher eine Genehmigung, in London eine Ankündigung sechs Tage im Voraus, in Genf 30 Tage."

Die Verhandlungen zwischen Studenten und Regierung stecken derzeit in einer Sackgasse. Bildungsministerin Michelle Courchesne ließ am Dienstag ausrichten, die Türen für Verhandlungen blieben immer offen. Der Sprecher der radikalen Studentenvereinigung Classe, Gabriel Nadeau-Dubois, sagte, es liege keine entsprechende Einladung der Regierung vor. Seine Organisation sei aber bereit zu verhandeln.

fln/AFP/AP