trockenheit
© EPA (CHAICHAN CHAIMUN)
Die Modelle, in denen die Zukunft eingefangen werden soll, sind so komplex geworden, dass ihre Aussagekraft sinkt und sie regionalem politischen Handeln immer weniger Orientierung bieten können.

Wie wird sich die globale Erwärmung auf die Pegelstände im Delta des Mekong auswirken? Droht Flut oder Dürre, soll die Regierung Dämme hochziehen oder Reservoirs anlegen? Beide Prognosen bzw. Ratschläge lassen sich aus ein und demselben Klimamodell ableiten - dem UK Met Office's HadCM3 - , wenn man nur die eingegebene Temperatur variiert: Dann bringen, über das ganze Jahr gerechnet, kleine Veränderungen größere Folgen als große - 1,5 Grad plus lassen die Pegel stark schwanken, sechs Grad plus fast nicht - , und das eine Mal kommt ein Rückgang des Wassers um 5,4 Prozent heraus, das andere Mal eine Zunahme um 4,5. Will man gar über die einzelnen Monate Bescheid wissen, erhöht sich die Bandbreite auf minus 16Prozent vs. plus 54 (Hydrol. Earth Syst. Sci., 15, S.1459).

„Ernsthaftes Problem mit dem Image“

Und HadCM3 ist nur eines von über 20 „generellen Zirkulationsmodellen“, die den Blick in die Klimazukunft schärfen sollen. Offenbar sind sie an ihren Grenzen bzw. am Wendepunkt, sie schwächen den Blick und geben unschärfere Entscheidungsgrundlagen denn je. So bilanzieren es zumindest Mark Maslin und Patrick Austin (Environment Institute and Department of Geography, University College London), und zwar nicht irgendwo, sondern auf den Kommentarseiten des Flaggschiffs Nature (486, S.183): Wenn nächstes Jahr der nächste Bericht des UNO-Klimabeirats IPCC kommt, „wird die Ungewissheit der Prognosen eher eine höhere als eine schmalere Bandbreite haben“, prognostizieren Maslin/Austin: „Das wird ein ernsthaftes Problem mit dem öffentlichen Image bringen. Öffentlichkeit und Politiker werden den Eindruck haben, dass das wissenschaftliche Verständnis des Klimawandels eher weniger klar wird als mehr.“

Krähen dann die Supercomputer der Klimaforscher wie die Hähne auf dem Mist? Natürlich nicht, die steigende Ungewissheit hat Gründe: Immer mehr Variablen gehen in die Modelle ein, inzwischen werden schon „bekannte Unbekannte“ berücksichtigt, etwa die Geschwindigkeit, mit der Eiskristalle durch Wolken fallen, oder die Rate, in der unterschiedlicher Pflanzenbewuchs das Treibhausgas CO2 aufnimmt. Dabei sind solche Fragen noch naturwissenschaftlich klärbar, bei anderen hilft nicht einmal die Kristallkugel: Wer etwa das Klima in 100 Jahren vorhersagen will, muss zumindest grob wissen, wie viel fossile Energie dann verbraucht wird, also wie es den Volkswirtschaften geht. Aber den Beinahezusammenbruch des Weltfinanzsystems 2008 - der eine kurzfristige Entlastung an der CO2-Front brachte - hat ein Jahr zuvor noch niemand kommen sehen.

Zudem steht im Herzen aller Modelle eine Unwägbarkeit, die „Klimasensitivität“. Sie gibt an, um wie viel Grad die Temperatur sich erhöht, wenn der CO2-Gehalt in der Atmosphäre sich verdoppelt. Dafür gibt es kein Experiment, das kann man nicht messen, man kann es nur umwegig schätzen: Das Spektrum reicht von 0,1 bis 9,3Grad, der IPCC setzt auf drei Grad (Schwankungsbreite: zwei bis 4,5), der bisher letzte Befund kam auf beruhigendere zwei Grad (1,7 - 2,6).

So weich ist der Kern, und die Probleme potenzieren sich, je feiner räumliche und zeitliche Auflösung werden, das zeigt das Beispiel des Mekong, das zeigt auch das Beispiel der Alpen, in denen sich nach jüngsten Analysen von Reinhard Böhm (ZAMG) in den letzten 150 Jahren zwar die Temperaturen erhöht haben. Aber die in Modellen und der allgemeinen Wahrnehmung befürchteten Konsequenzen - häufigere Klimaextreme: Hitzewellen, Starkregen etc. - blieben aus, die Messungen der letzten 250 Jahre zeigen das gerade Gegenteil: Die Variabilität der saisonalen und jährlichen Temperaturen und Niederschläge ist gesunken.

Das hat Böhm selbst überrascht, die Mekong-Befunde hingegen tun es nicht: „Die Klimamodelle sind gut für globale großräumige Aussagen vor allem über die Temperatur, weniger beim Niederschlag. Aber beim Downscaling auf kleinere Räume und Zeitskalen bekommen sie Probleme, wenn die politisch Handelnden wissen wollen, was sie zur lokalen und regionalen Anpassung an den Klimawandel tun sollen. Mit dieser Unsicherheit müssen wir leben: Wir können nicht sagen, ob es in 100 Jahren noch natürlichen Schnee in Schladming gibt. Und wir dürfen nie sagen: ,So wird es sein.‘ Sondern immer nur, mit welchem Modell und welchen Annahmen darin prognostiziert wird.“


Kommentar: Wenn es um Klima-Prognosen geht, wird ungern im Konjunktiv argumentiert:

Prognose: Temperatur in Deutschland soll um vier Grad steigen bis 2100


Und wie soll man nun mit der sich ausweitenden Unsicherheit umgehen? Maslin/Austin sehen den Ausweg in der Quadratur des Kreises („Die politischen Akteure sollten aufhören, nach weiterer Klarheit zu rufen, und stattdessen schlicht handeln.“), und sie schlagen vor, die ganze Botschaft sublim umzuformulieren („subtly rephrase“).

Verzicht aufs Auto ist auch gut fürs Herz

Das heißt zum einen, dass man bei den Unwägbarkeiten mehr „den Zeitpunkt betont, an dem Dinge geschehen werden, und weniger, ob sie überhaupt geschehen werden“. Zum anderen möge man auf „Win-win-Strategien“ setzen: Wenn zum Klimaschutz weniger Wälder abgeholzt werden, hat schließlich auch die Biodiversität etwas davon, und: „Maßnahmen, die den Autoverkehr einschränken, lassen die Leute mehr zu Fuß gehen und Fahrrad fahren, was umgekehrt Dickleibigkeit und Herzattacken reduziert.“

Zurück zum breiteren Blick

Energiedienstleistung hieß ein Schlagwort in den 1980ern, es meinte, dass niemand x Liter Heizöl und y Liter Benzin braucht, aber jeder eine warme Stube und bequemen Transport. Das brachte eine weite Perspektive für Optimierungen. Aber dann kam der „Klimawandel“, er verengte den Blick (vor allem auf die Reduktion des Treibhausgases CO2). Der jetzige Vorschlag öffnet ihn wieder und verknüpft das Klima mit anderen Problemen.